Blind im Neuland Internet: AfD-Führung überfordert mit Sozialen Medien

In der nordrhein-westfälischen AfD tobt ein Machtkampf zwischen Martin Vincentz und Matthias Helferich. In seinem Kommentar für FREILICH analysiert Johannes K. Poensgen die Lage und weist auf eine Strategie hin, die sinnvoller wäre, als parteipolitische Ordnungsmaßnahmen zur Bekämpfung der eigenen Gegner zu missbrauchen.

Kommentar von
28.6.2024
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4 Minuten Lesezeit
Blind im Neuland Internet: AfD-Führung überfordert mit Sozialen Medien
© IMAGO / Sven Simon

Ich will die Äußerung des Landesvorsitzenden Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz einmal zum Nennwert nehmen. Das ist mehr, als andere einem Mann zugestehen werden, der zurzeit an einer internen Säuberung seines Landesverbandes arbeitet.

Ich nehme Vincentz weder aus Herzensgüte noch um eines argumentativen Effektes Willen zum Nennwert, sondern weil in seinen Äußerungen jenseits der Rechtfertigung seiner persönlichen Handlungen ein allgemeines Problem der Führungsstruktur der Alternative für Deutschland enthalten ist. Dieses Problem bliebe der Partei auch ohne Martin Vincentz erhalten.

Parteiausschlussverfahren als Mittel des internen Machtkampfes haben die Alternative für Deutschland seit ihrer Gründung geplagt. Dass sich nun ein Landesvorsitzender offen darüber beschwert, dass dieses äußerste Mittel des Parteienrechts nicht willkürlich eingesetzt werden kann, hat Gründe. Und ja, nicht anderes macht Vincentz, wenn er das „einfachere Parteienrecht in Österreich“ lobt, dank dessen die FPÖ es angeblich vermochte „sich falscher Propheten zu erwehren“. Spielen wir doch mit offenen Karten! Wenn Vincentz beklagt, dass das deutsche Parteienrecht „Hasardeure mit umfangreichen Abwehrrechten ausstattet“, dann meint er den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich.

Die Macht der Sozialen Medien

Nur mit den „Propheten“, ob echt oder falsch, muss eine Parteiführung leben. Dass die Führung der AfD es nicht kann, offenbart eine fundamentale Schwäche: Jeder Politiker besteht im Grunde aus zwei Teilen: Zum einen gibt es seine offiziellen Posten und Funktionen. In dieser wird er gewählt oder anderweitig berufen. Sie geben ihm amtliche Befugnisse, seien diese nun vom Staat oder von der Partei verliehen. Daneben gibt es auch immer sein Bild in der Öffentlichkeit.

Beides verleiht einem Politiker Bedeutung, Macht und Einfluss. Allerdings müssen sich die Bedeutung, die Macht und der Einfluss, den ein Politiker aus einer dieser Quellen erhält, nicht mit denen aus der anderen Quelle decken. Es gibt Politiker, die kaum einer kennt, und die dennoch über gewaltigen Einfluss verfügen. Parlamentarische Geschäftsführer und Kanzleramtsminister sind die klassischen Beispiele dafür. Sie zählen zu den wichtigsten Personen in der Politik und dabei weiß der Durchschnittswähler noch nicht einmal, dass es diese Ämter überhaupt gibt. Am anderen Ende dieses Spektrums stehen Politiker, deren mediales Profil weit über die Bedeutung ihrer Ämter hinausragt. Matthias Helferich ist so einer. Maximilian Krah ein anderer. Der erste ein fraktionsloser Bundestagsabgeordneter, der zweite ein delegationsloser Europaabgeordneter; haben beide es geschafft, ihre politische Bedeutung durch gute Medienarbeit weit über ihre bloßen Amtsbefugnisse zu steigern. Auch Höcke ist durch sein Medienprofil weit wichtiger, als es ein bloßer Landesvorsitzender wäre.

Dieses Phänomen ist ganz normal. Es gibt in jeder Partei Politiker, die öffentlichkeitswirksamer sind, als ihre Ämter, und andere Politiker, die wichtigere Ämter bekleiden, als es ihr Profil in der Öffentlichkeit vermuten ließe. Das ist einfach eine Tatsache des politischen Lebens. Relativ neu dagegen ist, dass ein Politiker heute viel mehr Einfluss auf sein Bild in der Öffentlichkeit hat als noch vor fünfzehn Jahren. Früher musste mediale Bedeutung vom Kartell der etablierten Medien zugesprochen werden. Was nicht im Fernsehen lief und nicht auf der Titelseite stand, fand nicht statt. Im Zeitalter der Sozialen Medien können medial geschickte Politiker das Kartell umgehen und sich direkt an ihre Zielgruppen wenden. Damit ist die persönliche Medienkompetenz einzelner Politiker ein stärkerer Machtfaktor, als sie es früher gewesen wäre.

Hierarchien in den Parteien

Einige Führungspersonen in der AfD haben große Probleme, damit umzugehen. Ich verstehe ja das Problem Vincentz: Da ist in seinem Landesverband und nun auch im Landesvorstand ein Mann, der nach der Ämterhierarchie ein einfacher Bundestagsabgeordneter wäre, der aber ein größeres Medienprofil hat, als er selbst. Tatsächlich ist es so, dass der jüngste Bekanntheitsschub Martin Vincentzs darauf zurückzuführen ist, dass er versucht, Helferich aus der Partei auszuschließen. Hätte er diese Fehde mit dem bekannteren Helferich nicht vom Zaun gebrochen, dann wäre er außerhalb Nordrhein-Westfalens weiterhin unbekannt.

Natürlich ist es für einen Landesvorsitzenden unangenehm, sich mit einem Rangniederen herumschlagen zu müssen, der bekannter ist, als er selbst und der eine andere innerparteiliche Strömung vertritt. Nur mediales Geschick ist genauso eine legitime Quelle politischer und auch innerparteilicher Macht, wie Ämter. Das passt Vincentz nicht. Seine Forderungen und sein Handeln laufen auf nicht weniger hinaus, als dass sich die AfD selbst kastriert, indem sie über Parteiordnungsmaßnahmen bis hin zum Parteiausschluss ihre medialen Zugpferde abschießt. Denn diese Zugpferde sind die „falschen Propheten“ und „Hasardeure“, vor denen Vincentz warnt und denen er am liebsten ihre Abwehrrechte gegen den Missbrauch innerparteilicher Ordnungsmaßnahmen wegnehmen will. Alles, damit weniger medienaffine Parteikader ein ruhigeres Leben haben.

Es wird immer ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den Politikern geben, die ihre Macht vor allem ihren Ämtern und denen, die ihre Macht vor allem ihrer Bekanntheit verdanken. Beide Machtquellen sind an sich legitim. Das Verhältnis zwischen ihnen muss immer neu austariert werden. Das ist gerade in der AfD schwierig, weil diese Partei nun einmal nicht auf einen einzelnen, sehr bekannten Politiker als Führungsfigur zugeschnitten ist, wie etwa Reform UK auf die Person Nigel Farages. Gerade der Bundesvorstand hat hier moderierende Aufgaben, denen er zurzeit nur unzureichend nachkommt.

Mehr Kleinwächter wagen!

Was nicht legitim ist, ist der Missbrauch parteilicher Ordnungsmaßnahmen zur Bekämpfung eigener Rivalen. Nun ist es in der AfD leider so, dass die Spannung zwischen innerparteilichen Amtsträgern und Medienzugpferden parallel zur Spannung zwischen dem liberalen und dem nationalen Lager verläuft. Einfach deshalb, weil das nationale Lager sich bisher als medienaffiner erwiesen hat und die Liberalen dabei ins Hintertreffen geraten sind.

Die Reaktion von liberaler Seite kann aber nur der Ausbau der eigenen Medienfähigkeit sein. Genau das macht etwa ein Norbert Kleinwächter. Ihn hat man immer wieder im Newsfeed. Einen Vincentz nicht. Wenn der liberale Flügel in der AfD sich am medialen Machtungleichgewicht stört, dann kann die Antwort nur sein: mehr Kleinwächter und weniger Vincentz!


Zur Person:

Johannes K. Poensgen, geboren 1992 in Aachen, studierte zwei Semester Rechtswissenschaft in Bayreuth, später Politikwissenschaft und Geschichte in Trier. Erreichte den Abschluss Bachelor of Arts mit einer Arbeit über die Krise der Staatsdogmatik im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Befasste sich vor allem mit den Werken Oswald Spenglers und Carl Schmitts. Er bloggt auf seiner Netzseite „Fragen zur Zeit“.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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