BVT: Ex-Chef Polli beklagt „Netzwerk von Günstlingen“ und „Führungsmangel“
In der Affäre um eine Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sehen Kritiker eine politische Dimension. Der Gründer und erste Direktor des Amtes, Gert-René Polli, widerspricht dieser Auffassung. Ambitionen auf eine Rückkehr an die Spitze der Rückkehr habe er jedoch keine.
In einem Interview mit der ZiB-24 gab der langjährige Chef des BVT zu Protokoll, dass die Probleme im Ablauf der Behörde bereits länger bestünden. Dies sei auf Korruption auf der einen, aber auch Führungslosigkeit auf der anderen Seite zurückzuführen.
Polli: „Organisation über Jahre korrumpiert“
Konkret sprach er an, dass innerhalb des BVT bereits seit geraumer Zeit Menschen tätig seien, die nicht aufgrund fachlicher Qualifikation, sondern aufgrund ihrer Seilschaften an ihre Position gelangt wären.
„Was wir über viel Jahre beobachten, ist nichts anderes als Führungsmangel auf der einen Seite und die Herrschaft eines Netzwerks, und das ist nicht so sehr das parteipolitische Netzwerk, das ist ein Netzwerk eigentlich rund um Personen, die sich als Günstlinge sehen. Das ist die Art und Weise, wie diese Organisation über viele, viele Jahre korrumpiert wurde.“
Führungspositionen teils „außer Parteibuch keine Qualifikation“
Dem Vorwurf der Oppostion, die neue türkis-blaue Regierung wolle möglicherweise die Behörde „umfärben“, erteilte Polli eine Absage. Vielmehr seien politische Besetzungen im BVT unter seinem Nachfolger Peter Gridling, seit 2008 im Amt, salonfähig geworden:
„Das hat nichts mit dem jetzigen Innenministerium zu tun, es hat nichts mit den Freiheitlichen zu tun, nichts mit der Person des Innenministers. Das ist eine Entwicklung, die schon 2009, 2010 und 2013 eingesetzt hat. Hauptsächlich dadurch, dass Personen in Führungspositionen gebracht wurden, die außer dem Parteibuch selbst keine Qualifikation aufwiesen.“
Die Konsequenz dieser Vorgänge sei „die Korruption der Behörde auch in fachlicher Hinsicht“. Es ginge im Wesentlichen um einen Zustand, der schon viele Jahre herrsche. Man habe innerhalb des BVT „zwei Arten von Leuten“ – solche, welche sich fachlich bemühten, und solche welche das System „über Jahre ausgenützt und korrumpiert“ hätten.
Experte verteidigt Einsatz von Einheit für Straßenkriminalität
Zum Einsatz der Einheit für Straßenkriminalität im vorliegenden Fall äußerte der ehemalige Verfassungsschützer hingegen Verständnis. In der Vergangenheit habe man mehrfach erleben müssen, dass Hausdurchsuchungen in wesentlichen Fällen „plötzlich publik geworden“ seien. Deshalb sei es lauter, auf „nicht korrumpierte Strukturen“ zurückzugreifen.
Zur Nachfrage des Moderators, wonach der Chef der Einheit angeblich FPÖ-Mitglied sei, entgegnete Polli, dass er nicht glaube, dass die Staatsanwaltschaft die politische Richtung der Einsatzkräfte beurteilt habe. Es sei freilich klar, dass sich die Opposition „auf diesen Punkt versteife“.
Kritik an medialer Berichterstattung
Berichte von profil und Standard, wonach man mit der Razzia womöglich Informationen über Burschenschaften oder Identitäre beschlagnahmt habe und diese Gruppen damit schützen wolle, dementierte der Experte:
„Es wird zu viel Unsinn in den Medien, darf ich das ganz forsch sagen, verbreitet“.
Inbesondere sei es seit Jahren schon nicht mehr Usus, ganze Festplatten zu beschlagnahmen, sondern nur mehr einzelne Dateien. Die Anordnung der Durchsuchung sei auf Anraten der Staatsanwaltschaft geschehen. Auch wenn „unter diesen Zusammenhängen die Optik vielleicht nicht sehr günstig gewählt“ sei, könne er sich nicht vorstellen, dass irgendwelche Polizisten oder Einheiten im Besitz der Daten seien:
„Die Leute, die die Razzia durchgeführt habe, haben nur für die Rahmenbedingungen gesorgt. Das muss man ganz strikt und deutlich auseinander halten.“
Aussagen von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), wonach ihm mangels Kenntnis der Sachlage keine Beurteilung der Causa zustehe, qualifizierte Polli als glaubwürdig. Es sei eine Routineangelegenheit, dass sich der Staatsanwaltschaft nicht mit dem Innenminister abspreche. Eine solche Vorgehensweise wäre vielmehr „völlig kontraproduktiv.“
Nachrichtendienste: Polli sieht beginnende „Vertrauenskrise“
Vielmehr beklagte er, dass die gegenwärtige Berichterstattung über die Razzia die Arbeit „einer der wichtigsten Sicherheitsbehörden“ künftig erschweren könnte. Das BVT sei nicht nur für Personenschutz, sondern auch für Erhebungen zu Rechts- und Linksextremismus sowie Terrorismusbekämpfung und Spionageabwehr zuständig und vertraue bei seiner Quelleninformation auch auf ausländische Dienste.
Diesbezüglich sei bereits die Nichteinladung der österreichischen Nachrichtendienste zur Sicherheitskonferenz in München ein Alarmsignal. Man habe es hier nämlich mit dem Beginn respektive vorläufigen Höhepunkt „einer Vertrauenskrise der Zusammenarbeit“ europäischer Nachrichtendienste zu tun.