Dreist: Kurz gibt Opposition die Schuld für „Lockdown-Verlängerung“
Weil sich herauskristallisierte, dass die Opposition das umstrittene „Freitesten“-Gesetz im Bundesrat blockieren wollte, ließ Sebastian Kurz (ÖVP) verlautbaren, dass der Lockdown nun für alle Österreicher bis zum 24. Jänner dauern würde.
Wien. – Was der türkise Kanzler offiziell als Verlängerung des Lockdowns bezeichnete, bedeutet in Wirklichkeit nur, dass es bei dessen Ende keine Bürger erster und zweiter Klasse mehr gibt. Unter Setzung einer beispiellos kurzen, dreitägigen Frist von Silvester bis zum gestrigen Sonntag hatte die türkis-grüne Regierung das Gesetz in Begutachtung geschickt. Demnach wäre es möglich gewesen, dass sich Bürger am Wochenende vor dem 18. Jänner „freitesten“ könnten.
Opposition kündigte Blockade im Bundesrat an
Dass dies nicht kommt, schiebt er nun der Opposition zu. Diese hatte sich nämlich geschlossen gegen das Gesetz geäußert – aus unterschiedlichen Gründen. Während die Freiheitlichen und die NEOS mit der Ungleichbehandlung der Bürger und mit den Grund- und Freiheitsrechten argumentierten, sah die SPÖ angesichts weiterhin hoher 7-Tages-Inzidenzen im gesamten Bundesgebiet keinen Anlass, über eine Lockerung nachzudenken.
Im Bundesrat wollten die Parteien daher das Gesetz blockieren. In der Länderkammer des Parlaments besitzen die Oppositionsparteien nämlich derzeit 31 von 61 Mandaten und damit eine knappe Mehrheit. Dies hätte das Gesetzesvorhaben um bis zu zwei Monate verzögern können. Aufgrund der Fristläufe hätte Türkis-Grün nicht einmal ein Beharrungsbeschluss geholfen – das Thema wäre de facto vom Tisch gewesen. Nun nahm es Kanzler Kurz selbst vom Tisch.
Breite Kritik an der Schuldzuweisung
Allerdings nicht, ohne der Opposition dafür die Schuld zu geben. Auch zahlreiche Leitmedien schrieben eine Version, die den sprichwörtlichen Schwarzen Peter bei den drei Parteien sucht. Diese hätten ihr Ja zum Freitesten „verweigert“, Kurz hoffe allerdings noch auf ein „Einlenken“ und erhöhe daher den Druck auf die Opposition. Das Kalkül hinter der Aktion: Diese wollte sicherlich nicht als Buhmann dastehen.
Die Reaktion auf die Schuldzuweisungen fielen deutlich aus. Der Tiroler SPÖ-Obmann bezeichnete dies als „skandalös und wider jede Vernunft“. Beim Druckmittel der Kurz-Regierung handle es sich um eine „Drohgebärde“. FPÖ-Chef Norbert Hofer nahm die Debatte überhaupt zum Anlass, ein „ehestmögliches“ Lockdown-Ende zu fordern. Man solle sich lieber auf den Schutz der Risikogruppen konzentrieren.
FP-Abwerzger: Kurz wie „unreifer Teenager in der Trotzecke“
Auch sonst waren die Freiheitlichen die stärksten Kritiker der Schuldzuweisung durch die Regierung. Der Tiroler FPÖ-Obmann Markus Abwerzger etwa erkannte einen Kanzler der „wie ein unreifer Teenager in der Trotzecke“ sitze. Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch wiederum stellte den Lockdown insgesamt in Frage. Zudem schreibe das Covid-Gesetz eigentlich vor, dass Maßnahmen nur bei knapper Kapazität in Krankenhäusern zulässig seien. Diese läge aktuell aber nicht vor.
Klare Worte fand auch der steirische Landesparteisekretär Stefan Hermann. Anstatt eines Umdenkens stelle türkis-grün „kurzerhand eine unreflektierte Verlängerung der freiheitsberaubenden Maßnahmen“ in den Raum. Die „rücktrittsreife“ Regierung trage die alleinige Verantwortung für den Lockdown. Auch die heimischen Betriebe verdienten es, „das Jahr 2021 nicht mit denselben Bürden zu beginnen“, mit denen das alte Jahr endete. Schon im Vorfeld hatten blaue Spitzenpolitiker wie Susanne Fürst an der „Freitest“-Idee kein gutes Haar gelassen.
Gesundheitsexperten halten wenig vom „Freitesten“
Aber nicht nur die Opposition, sondern auch Gesundheitsexperten – auch jene aus dem Beraterstab der Regierung – hatten mit den Plänen keine Freude. Nachdem der Innsbrucker Infektionloge Günter Weiss schon vor Wochen den Massentests eine Abfuhr erteilte, zweifelte auch die Wiener Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl an der Sinnhaftigkeit des „Freitestens“.
Sie führte im ZiB2-Interview am Sonntag aus, dass ein Antigen-Test eine Momentaufnahme darstelle. Dennoch hätten Getestete einen „Freibrief“ für eine Woche bekommen – zumindest in der Gastronomie. Für Kulturveranstaltungen darf er nämlich nicht älter als 48 Stunden sein. Und etwa bei einem Besuch im Altersheim darf er nicht älter als 24 Stunden sein – was als generelle Länge der Aussagekraft gilt.
Über 9.000 Stellungnahmen binnen drei Tagen
Auch bei den Bürgern war die Maßnahme nicht sonderlich beliebt. Wie Tagesstimme berichtete, gingen tausende Stellungnahmen auf der Webseite des Parlaments ein. Am Ende schafften es, trotz mehrerer Server-Ausfälle, insgesamt 9.137 solche Dokumente auf die Homepage. Viele davon hatten zwar einen ähnlichen Wortlaut und unterschieden sich inhaltlich kaum. Dennoch wurde durch die veritable Flut an Wortmeldungen deutlich, dass die geplante Maßnahme für viel Unmut im Volk sorgte.
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