Joachim Paul: „Kein Bewusstsein für deutsche Minderheiten im Ausland“
Polen kürzt die finanziellen Mittel für den Sprachunterricht der deutschen Minderheit. Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul spricht im Interview über die Lage der deutschen Minderheit, das fehlende Interesse der deutschen Politik und mögliche Lösungen.
TAGESSTIMME: Sehr geehrter Herr Paul, der muttersprachliche Unterricht der deutschen Minderheit in Polen soll gekürzt werden. Wie stehen Sie zu diesem Schritt? Kam er überraschend? Hätte die Regierung vielleicht schon präventiv Schritte einleiten müssen? Wie bewerten Sie das Verhalten der Regierung hinsichtlich der deutschen Minderheiten im Ausland?
Joachim Paul: So sehr wir die konsequente Grenzsicherung der polnischen Regierung, die uns und ganz Europa zu Gute kommt, begrüßen, müssen wir doch auch feststellen, dass die Regierungspartei PIS leider unter national-konservativer Politik eben auch die Benachteiligung der deutschen Minderheit versteht. Es gab in den letzten Jahren immer wieder politische Übergriffe auf unsere Landsleute. In Polen leiden unsere Landsleute unter dem immer noch starken nationalpolnischen Sentiment, das weit zurückreicht. Natürlich spielen die Erfahrungen, die Polen im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Besatzung gemacht haben, eine noch große Rolle. Die Rahmenbedingungen sind also nach wie vor schwierig, auch weil eine polnische Regierung leider noch immer damit punkten kann, wenn sie sich in der Lage dazu sieht, einmal mehr antideutsche Ressentiments zu bedienen bzw. der Minderheit dieses eine zu streichen, jenes andere zu erschweren.
Ungeachtet dessen ist aber auf manchen Ebenen auch eine Art Normalisierung festzustellen: So wurde meine Burschenschaft, 1817 in Breslau gegründet, offiziell in der dortigen Universität empfangen – sie gehöre auch zu ihnen, sagte der Dekan damals in einer sehr bewegenden und würdigen Ansprache. Übrigens ist Breslau wieder eine Perle, man hat sehr viel in die Erhaltung der alten Bausubstanz investiert und damit bewusst an die deutsche Vergangenheit der einstmals zweitgrößten Stadt Preußens angeknüpft. Es gibt also sowohl Schatten wie auch Licht. Die Spannungen an dieser Stelle sind – vorsichtig ausgedrückt – nicht unlösbar.
„Der Horizont der polnischen Rechten ist an dieser Stelle wohl zu klein. Schade.“
Eigentlich sollte die polnische Rechte begreifen, dass die Unterstützung nationaler Minderheiten, die einen Kulturraum über viele Generationen hinweg prägte, angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die an Europas Haustür klopfen, nämlich Massenmigration, Islam, Werteverfall, wohl das geringste Problem sind. Mehr noch: konservativ im besten Sinne ist die Bewahrung europäischen Kultur. So wie Deutschland die Sorben in der Lausitz unterstützt. Der Horizont der polnischen Rechten ist an dieser Stelle wohl zu klein. Schade.
In Berlin schweigt man, nur der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten meldete sich mit einer uninspirierten und inhaltslosen Pressemitteilung zu Wort, in den Medien gibt außer kurzen nüchternen Berichten so gut wie keine Aufmerksamkeit für das Thema, selbst innerhalb des konservativen Lagers ist die Resonanz gering. Warum? Werden die Belange der deutschen Minderheit in Polen fahrlässig ignoriert oder sogar bewusst übergangen? Gibt es vielleicht ein mangelndes Problembewusstsein in Deutschland und im konservativen Lager bezüglicher dieser Belange?
Paul: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass das Bewusstsein für autochthone Minderheiten in Deutschland nicht sehr stark ausgeprägt ist. Häufig wird der Unterschied zwischen einer alteingesessenen Minderheit und Zuwanderergruppen nicht mehr gesehen, selbst in konservativen Kreisen. Davon profitiert ja auch die regierungsoffizielle polnische Argumentation, in welcher die polnischen Einwanderer in Deutschland mit der deutschen Minderheit in Polen gleichgesetzt wird. Leider ist die deutsche Minderheit in Polen in der deutschen Öffentlichkeit völlig aus dem Blickfeld geraten. Die Regierungspolitik tut nichts dazu, diesen unbefriedigenden Zustand zu ändern. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Außenminister der Bundesrepublik unsere Landsleute in Oberschlesien besucht hat. Sie können sicher sein, dass bei einer Diskriminierung der polnischen Minderheit in Litauen die polnische Regierungselite umgehend Wilna einen Besuch abstatten würde.
„Baerbock und Scholz sind linkssozialisierte Deutschlandüberwinder, die sich wahrscheinlich noch nie mit dem Schicksal unserer Landsleute beschäftigt haben – und das auch nicht wollen.“
Was könnten eventuelle Lösungen oder konkrete Reaktionen sein? Was schlagen sie der AfD oder der deutschen Minderheit in Polen vor? Wie könnte eine Position der AfD aussehen? Und: Kann ein Patriot in Deutschland was in dieser Lage für die Deutsche Minderheit tun?
Paul: Aus meiner Sicht müssten Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock mit einem zeitnahen Besuch der deutschen Minderheit in Oberschlesien zum Ausdruck bringen, dass die Bundesregierung die Diskriminierung der deutschen Minderheit nicht hinnehmen wird. Gerade unsere Außenministerin, die überall in der Welt Menschenrechtsverletzungen anprangert, sollte bei unserem Nachbarland nicht wegsehen. Aber bleiben wir in der Wirklichkeit: Baerbock und Scholz sind linkssozialisierte Deutschlandüberwinder, die sich wahrscheinlich noch nie mit dem Schicksal unserer Landsleute beschäftigt haben – und das auch nicht wollen. Wenn das Schicksal der deutschen Minderheiten von den überhaupt Altparteien angesprochen wird, so sind das tatsächlich nur mehr Einzelfälle. Hinsichtlich der jüngsten Mittelkürzung zu Lasten der deutschen Minderheit in Polen, ist mir eine kurze Stellungnahme eines Bundestagsabgeordneten der SPD im Rahmen seines Rundbriefes bekannt. Ansonsten Schweigen im Walde.
Eine wahrhaftig konservative oder patriotische deutsche Regierung würde Polen mit Entschlossenheit dazu auffordern, die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen, die in Polen seit 1999 in Kraft ist, einzuhalten. Wir sind in der EU der größte Netto-Zahler, Polen ist der größte Netto-Empfänger. Da kann es nicht sein, dass unseren Landsleuten elementare Minderheitenrechte vorenthalten werden. Was kann ein Patriot in Deutschland für die deutsche Minderheit in Polen unternehmen? Ich empfehle die Unterstützung der Protestaktion des Bundes der Jugend der deutschen Minderheit in Polen. Im Internet können unter #niemaMowy #sprachlos Schwarzweiß-Fotos mit verschleiertem Mund geteilt werden. Das ist sehr kreativ, denn die Reduzierung des muttersprachlichen Unterrichts von drei auf nur noch eine Wochenstunde führt langfristig zum Verlust der Sprache des Herzens.
Ich habe mich für den AfD-Bundesverband mit einer Pressemeldung zu Wort gemeldet, sie wurde auch in der polnischen Botschaft zur Kenntnis genommen, wie ich weiß. Mir ist die Botschaft wichtig, dass zweisprachige Ortsschilder nicht genug sind – der polnische Staat muss endlich in Schulen deutschsprachigen Unterricht und viel günstigere Rahmenbedingungen für die Kulturpflege anbieten. Ich erinnere daran, dass unter anderem in Rheinland-Pfalz das Erlernen der polnischen Sprache in der Schule gefördert wird, ebenso in Brandenburg. Obwohl es keine polnische Minderheit in Deutschland gibt.
Dass das Schicksal der deutschen Minderheiten selbst der Rechten nicht mehr so stark bewusst ist, liegt an einem insbesondere staatlich zu verantwortenden Bildungsmangel. Wer erfährt heute in der Schule noch, dass man in Deutschland einmal zwischen Marburg an der Lahn und Marburg an der Drau – slowenisch Maribor – unterscheiden musste, dass unsere Landsleute in Oppeln eine sehr zeitgemäße und kreative Kulturarbeit leisten und dass nahezu 100 Millionen Europäer Deutsch zur Muttersprache haben.
Aber es liegt eben auch daran, dass es genug Online-Germanen gibt, die lieber Theoriedebatten führen als klassische Volkstumsarbeit zu leisten, wozu dann auch ein Verlassen der Komfortzone erforderlich wäre – zugespitzt und bewusst provokant formuliert. Ich habe die Volkstumsarbeit bzw. die Minderheitenfrage übrigens in der Deutschen Burschenschaft gelernt und zwar samt jenen rechtlichen Rahmenbedingungen, die für Minderheiten in Europa gelten. Wer sie kennt, kann richtig einschätzen, wie man eine minderheitenfeindliche Politik nationaler Regierungen politisch anfechten oder bei im Grunde gutwillig gestimmten politischen Verantwortlichen auf eine Änderung der Politik drängen kann. Letztlich brauchen wir in diesem Bereich so etwas wie eine Bildungsoffensive – die Gegenuni könnte hier sehr wertvolle Arbeit leisten und Lücken schließen.
„Man sollte hier aber mit Augenmaß agieren und immer daran denken, dass unsere Minderheiten, die auf langfristigen Wandel und Dialog setzen, nicht brüskiert werden dürfen. Krawall schadet!“
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten neben politisch-parlamentarischer Initiativen: Spenden, Besuche und die Verbreitung von Publikationen unserer Minderheiten. Hier muss in der Rechten endlich ein anderes Bewusstsein einkehren! Auch Kundgebungen und Mahnwachen vor den Vertretungen der Länder halte ich für ein angemessenes Mittel – man sollte hier aber mit Augenmaß agieren und immer daran denken, dass unsere Minderheiten, die auf langfristigen Wandel und Dialog setzen, nicht brüskiert werden dürfen. Krawall schadet!
In Slowenien wird die Anerkennung der deutschen Minderheit als nationale Minderheit verweigert, in Polen schleift man die nationalen Minderheitsrechte. Es sieht also für die deutschen Minderheiten schlecht aus. Gibt es positive Gegenbeispiele? Warum verweigern sich Warschau und Laibach einer harmonischen Zusammenarbeit mit den deutschen Minderheiten vor Ort? Kann man diese Konflikte vielleicht in einen größeren Zusammenhang stellen?
Paul: In Slowenien ist die Lage etwas anders: Hier hat insbesondere unter der Regierung Jansa eine kritische Aufarbeitung des Tito-Kommunismus begonnen. Angesichts der zahlreichen lokalisierten Massengräber, in denen Volksdeutsche, Oppositionelle und Kriegsgefangene liegen, die die Tito-Kommunisten ermordet haben, hat eine schmerzhafte Debatte um die verklärte Zeit seiner Staatsführung auch zu einer in Teilen neuen Sicht auf den Umgang mit der deutschen Minderheit und ihrem kulturellen Erbe geführt. Immerhin gehören sie seit Jahrhunderten zu Land und Leuten.
Ich habe mich im letzten Sommer zusammen mit den Kollegen Norbert Kleinwächter, Prof. Harald Weyel und Siegbert Droese in Laibach über ihre Situation informiert, auch bei der deutschen Botschaft vor Ort. In Laibach besuchte ich auch den deutschen Soldatenfriedhof. Es gibt in diesem Land wunderbare Orte, in denen die deutsche Prägung förmlich mit den Händen zu greifen ist. So in Laibach, Marburg an der Drau, Cilli (Celje) und dem Gottscheer Land. Auf der Höhe Tolmeins (Tolmins) liegt am Isonzo (Soca) das deutsche Beinhaus, das in sehr gutem Zustand erhalten wird.
Nach der Wiedergründung der Laibacher Zeitung gibt es nun auch eine Jugendgruppe der deutschen Minderheit – das ist sehr erfreulich. Es fehlt aber noch an einer großräumigen Vertretung, die als Kulturzentrum für Veranstaltungen genutzt werden kann. Im Landtag haben wir mehrfach im Europaausschuss auf die Lage der deutschen Minderheit hingewiesen, steter Tropfen höhlt den Stein. Aktuell ist die Lage so: Ungarn und Italiener werden als nationale Minderheiten anerkannt, ihre Muttersprachen sind durch die Verfassung geschützt, zudem haben sie laut Verfassung Anspruch auf jeweils einen Sitz im Parlament in Laibach. Diese Art von Schutz und Vertretung fehlt unseren Landsleuten bislang.
Zur Person:
Joachim Paul ist Abgeordneter für die AfD im Landtag Rheinland-Pfalz. Er interessiert sich für die Digital- und Bildungspolitik.