Strukturelle Grenzen der Wählerschaft: Warum die AfD an ihre Grenzen stößt

Nach den Wahlerfolgen in den ostdeutschen Bundesländern strebt die AfD ähnliche Ergebnisse auch im Westen an. Wie Daniel Fiß in seiner Analyse für FREILICH ausführt, zeigen jedoch parteiinterne Konflikte über die strategische Ausrichtung sowie strukturelle Barrieren in der Wählerschaft, dass der Weg dorthin schwierig bleibt.

Daniel Fiss
Analyse von
24.10.2024
/
5 Minuten Lesezeit
Strukturelle Grenzen der Wählerschaft: Warum die AfD an ihre Grenzen stößt

Die AfD will nun auch im Westen Deutschlands durchstarten.

© IMAGO / fossiphoto

Kurz nach den Wahlerfolgen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen erneuerte der AfD-Bundeschef Tino Chrupalla seinen Appell, dass die AfD nun auch in Westdeutschland ähnliche Wahlerfolge feiern wolle wie im Osten. Schon mit dem letzten Bundesvorstand und nach Stagnationsphase in den Umfragen Anfang 2022 wollte die Partei für den Westen eigenständige strategische Schwerpunkte setzen.

Strategiedebatte zwischen Ost und West

Die Ost-West-Strategiedebatte ist ein alter Hut in der AfD und auch immer wieder Auslöser innerparteilicher Konflikte. Meist beschränken sich diese Streitigkeiten jedoch auf die kommunikativen Performances. Ostverbände werfen den Westverbänden eine zu defensive Kommunikationsstrategie vor und umgekehrt würde die Wahrnehmung der AfD im Osten für viele potenzielle Wähler im Westen abschreckend wirken.

Doch diese innerparteilichen Konfliktlinien übersehen oftmals die strukturellen Dimensionen und Barrieren innerhalb der eigenen Wählerpotentiale, die sich sowohl im Osten und Westen gleichermaßen zeigen.

Vier zentrale soziale Konfliktlinien

Politische Strategiebildung und Kampagnenmanagement verlangen nach einer möglichst realistischen und ungeschönten Analyse der eigenen Ressourcen und Potenziale. Mit den Wahlerfolgen im Osten stellt sich unweigerlich die Frage nach weiteren Wachstumspotentialen, wo man doch mit knapp 30 Prozent in Wahlergebnissen und Umfragen innerhalb eines zunehmend fragmentierten Parteisystems, das Kernpotential ausgeschöpft zu haben scheint. Die AfD ist im Wählerspektrum rechts von der Mitte bereits der parteipolitische Hegemon und kann auf verschiedene Milieus und soziale Gruppen zugreifen.

Dennoch dominiert die Partei in der sozialen Basis ihrer Wählerschaft nur jene räumlichen und demografischen Indikatoren, die vom absoluten Stimmengewicht eher nachteilig wirken. Mit der zunehmenden Stärke der AfD lassen sich vier zentrale soziale Konfliktlinien identifizieren: Alt vs. Jung, Stadt vs. Land, Arbeiter vs. Akademiker, Mann vs. Frau. Über diese gesellschaftlichen Dichotomien spalten sich jeweils die Mobilisierungsrouten zwischen der AfD in dem Block der etablierten Altparteien. Diese sozialen Spannungslinien konstituieren den aktuellen parteipolitischen Raum in zwei Blöcke, über die sich schließlich wiederum lebensweltliche und einstellungsbezogene Faktoren voneinander abgrenzen.

Alt vs. Jung

Spätestens seit den Europawahlen bestätigte sich mit der hohen Jungwählermobilisierung der AfD ein Trend, der sich zuvor schon in vereinzelten Studien und Umfragen abzeichnete. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird die AfD in der Alterskohorte der 18-30-Jährigen jeweils zur stärksten Kraft. Ein starker Erfolg, der insbesondere auf der symbolischen Ebene die parteipolitisch disruptive Kraft der AfD in ihrer vitalen und dynamischen Kraft unterstreicht. Die Jugend ist ein prägender Faktor für das Meinungsklima und kulturelle Trendimpulse. Solche „Soft-Power-Faktoren“ müssen als Machtressource in der vorpolitischen Verankerung und der Basisarbeit vor Ort stets integriert und organisiert werden.

Jungwähler in benachteiligter Position

Dennoch sind die Jungwähler aus absoluter Wachstumsperspektive im Wählerraum aufgrund ihres demografischen Gewichts strukturell in einer benachteiligten Position. In Sachsen leben knapp 270.000 Menschen zwischen 18 und 24 Jahren. Demgegenüber stehen mehr als das Vierfache an älteren Wahlberechtigten, um die 1,1 Millionen Menschen. In Thüringen und Brandenburg sind die Verhältnisse ähnlich. Jedem potenziellen Jungwähler zwischen 18 und 30 Jahren stehen in der Generation 60+ ca. drei ältere Wähler gegenüber. In Brandenburg erhielt die AfD 438.000 Zweitstimmen.

Laut Wahlnachbefragungen hatte die Partei in der Altersgruppe der über 60-Jährigen einen Stimmenanteil von 23 Prozent. Nimmt man nun die durchschnittliche Wahlbeteiligung (die in höheren Altersklassen sogar traditionell höher ist) so kommt die AfD auf ca. 140.000 Stimmen in der 60+ Alterskohorte. Knapp ein Drittel der AfD-Wählerschaft in Brandenburg rekrutiert sich demnach aus den höheren Altersklassen. Noch viel stärker wirken diese Stimmenbatterien logischerweise für die großen Volksparteien SPD und CDU, deren verbleibende Stärke vordergründig auf die zuverlässige Stammwählermobilisierung in den 60+ Generationen aufbaut.

Alte Blockschablonen weiter wirkmächtig

Auch wenn wir bei den Daten zur engen Parteiidentifikation- und Gebundenheit seit vielen Jahren einen Abwärtstrend erleben, so sind vor allem innerhalb der älteren fest gebundenen Kernmilieus von SPD und CDU immer noch die alten politischen Blockschablonen sehr wirkmächtig. Das Vertrauen in diese Parteien mag durchaus sinken und die herkömmlichen Milieustrukturen (Katholiken → Union, Arbeiter → SPD) verlieren an Bedeutung und dennoch sind diese beiden Parteien für viele ältere Wähler im Rahmen ihrer politischen Sozialisierung in den 70er- und 80er-Jahren fester Bestandteil des bundesrepublikanischen Parteisystems.

Stadt vs. Land

Bei den letzten Wahlabenden im Osten haben die meisten vor allem die großen blau-eingefärbten Wahlkarten mit vereinzelten jeweils roten (Brandenburg) oder schwarzen (Thüringen) Inseln gesehen. Die AfD zeichnet sich im Osten durch eine Flächendominanz aus, während sich für die etablierten Parteien die Stimmengewichte eher auf die urbanen Zentren konzentrieren.

Der Stadt-Landkonflikt war insbesondere in der Frühphase des industriellen Zeitalters ein zentraler Gesellschaftskonflikt, über den sich erste klassisch konservative Bauernparteien und liberale Parteien herausbildeten. Über die Jahre haben sich die sozioökonomischen Bedingungen zwischen Stadt und Land weitgehend angeglichen. Ideologisch und lebensweltlich werden heute jedoch wieder die Unterschiede deutlicher. Die Städte sind die räumlichen Zentren der kulturellen Hegemonie. Jeder geschulte Metapolitiker weiß um die Kraft der Ideologieproduktion in den Universitäten, Schulen, Theatern, Bibliotheken, Kinos und Museen. Ich habe hierzu schon im Frühjahr 2023 in einem Artikel die metapolitische Bedeutung der urbanen Zentren geschrieben.

Herausforderungen im Westen

Auch in der Stadt-Land-Beziehung wird in den absoluten Stimmenverteilungen das Ungleichgewicht deutlich. Aus der Politologie der USA ist das Sprichwort „Land doesn't vote – People do“ immer wieder Gegenstand der dortigen Auseinandersetzungen um das Wahlsystem, welches die sogenannte „Popular-Vote“ zu wenig berücksichtigen würde.

Der Ländlichkeitsgrad und die Einwohnerdichte sind zwei Indikatoren, die das AfD-Wahlergebnis sowohl in Ost als auch West entscheidend beeinflussen. In urbanen Regionen schneidet die Partei traditionell schlechter ab als in den ländlichen Gegenden und Kleinstädten. Auch hier schaut die Partei somit auf eine schwierige strukturelle Dysbalance innerhalb ihrer Wählerschaft, die sie aufgrund der höheren Bevölkerungsdichte im Westen vor Herausforderungen stellt.

Arbeiter vs. Akademiker

Eine weitere deutliche räumliche Diskrepanz zeigt sich beim Akademikeranteil in einem Wahlkreis. Nach der Ländlichkeit war der Anteil der Menschen mit akademischem Abschluss in einem Wahlkreis auf Platz 2 der signifikanten Indikatoren. Manche linke Boomer sehen in der geringen Akademikerdichte der AfD-Wählerschaft zwar einen Beleg für das angeblich niedrige Bildungsniveau unter den AfD-Anhängern und offenbaren damit jedoch nichts anderes als ihre Verachtung gegenüber den einfachen Leuten und dem Abschied linker Klassenpolitik.

Das Akademiker-Arbeiter-Verhältnis mag in absoluten Stimmengewichten noch eher zugunsten der Arbeiter ausfallen. Die Daten aus den Nachwahlbefragungen zeigen schließlich, dass sich die AfD in diesem Milieu bereits in größeren Nischen verankert hat. Dennoch fehlt es an Zugriff auf akademische Milieus, die oftmals auch mit dem urbanen Faktor korrespondieren.

Strukturelle Limitierungen

Vor dem Hintergrund der Erweiterung von AfD-Wählerspektren muss sich die Partei auch aktueller struktureller Limitierungen bewusst sein. Diese werden auch nicht ad-hoc durch kleinere Zielgruppenkampagnen durchbrochen. Wir leben zwar in parteipolitisch fragmentierten und fluiden Zeiten. Doch die Bindungs- und Beharrungskräfte innerhalb sozialer Milieus sollten nicht unterschätzt werden. Es wird viel Organisation und Strukturaufbau benötigen, um die AfD auch in sozialen Gruppen zu festigen, die bisher der Partei skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Über den Autor
Daniel Fiss

Daniel Fiss

Daniel Fiß wurde 1992 geboren und studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Seit 2020 betreibt er den „Feldzug Blog“, auf dem er regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation veröffentlicht.

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