Türkischer Kulturverein empfiehlt: „Wählt nicht die Systemparteien“
Bei der Bundestagswahl am Sonntag sind rund 1,5 Millionen türkischstämmige Bürger wahlberechtigt. An sie hat sich jetzt ein türkischer Kulturverein mit einer Wahlempfehlung gewandt, die bei einigen Beobachtern für Stirnrunzeln gesorgt haben dürfte.
Rund 1,5 Millionen türkischstämmige Wahlberechtigte dürfen bei der Bundestagswahl am Sonntag ihre Stimme abgeben.
© IMAGO / EHL MediaBerlin. – Der türkische Kulturverein „Kulturtreff Deutschland“ hat wenige Tage vor der Bundestagswahl einen Wahlaufruf auf Facebook veröffentlicht – allerdings einen anderen, als viele vielleicht vermuten würden. Darin wird die türkischstämmige Community in Deutschland nämlich aufgefordert, die etablierten Parteien explizit nicht zu wählen. Als Hauptkritikpunkte nennt der Verein die außenpolitische Ausrichtung Deutschlands, die Unterstützung der NATO sowie die wirtschafts- und migrationspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung.
Ablehnung der Regierungs- und Oppositionsparteien
Die Wahlprogramme der Regierungsparteien und der größten Oppositionspartei böten keine neuen Lösungsansätze, heißt es in der Erklärung. „Wir rufen die türkische Gemeinschaft in Deutschland dazu auf, diesen Parteien keine Stimme zu geben, die atlantische Politik unterstützen, die zu hoher Inflation, Energiekrise und irregulärer Migration geführt hat“, schreibt der Verein. Besonders kritisiert wird die Zustimmung zu NATO-Erweiterungen und die finanzielle und militärische Unterstützung von Kriegen.
Ein weiteres Anliegen des Kulturvereins ist die geopolitische Ausrichtung Deutschlands. „Deutschland und Europa werden von den USA abhängig gemacht“, heißt es in der Stellungnahme. Zudem werfen die Autoren den etablierten Parteien vor, „Massaker und den Genozid in Palästina“ zu bejubeln.
Türkische Wählerschaft als politischer Faktor
Ein weiterer zentraler Punkt des Aufrufs ist die Kritik am Umgang deutscher Parteien mit der Türkei und bestimmten Organisationen. Der Kulturverein wirft ihnen vor, „die Terrororganisationen PKK und FETÖ zu unterstützen“. Außerdem wird kritisiert, dass „Türken in Deutschland durch einen Parlamentsbeschluss als angebliche Völkermörder an den Armeniern verurteilt“ worden seien.
Abschließend fordert der Verein eine Neuausrichtung der Außenpolitik: „Frieden sofort für Europa – sofortige Verhandlungen mit Russland“ sowie „Keine Stimme den NATO-Vasallen“, ist am Ende der Stellungnahme zu lesen. Ob der Aufruf bei den türkischstämmigen Wählern ankommt, wird sich bei der Bundestagswahl zeigen. In Deutschland leben jedenfalls rund 1,5 Millionen wahlberechtigte türkischstämmige Menschen. Der „Kulturtreff Deutschland“ betont, dass diese Wählergruppe sich der politischen Programme bewusst sein sollte.
Aufruf „bemerkenswert“
Der Politikwissenschaftler und Autor Benedikt Kaiser nannte den Aufruf jedenfalls „bemerkenswert“. Es sei mutig, dass erstmals eine internationale Kultureinrichtung ausschere, „um vor dem destruktiven Treiben der Altparteien zu warnen“, so Kaiser gegenüber FREILICH. „Und schon allein deswegen, weil türkische Migration zahlenmäßig die Hauptmigration in der BRD darstellt, ist es wichtig, dass das patriotische Lager endlich ins Gespräch mit nonkonformen Kräften dieses großen Milieus kommt“, betont er. Man könne freilich nicht in allem inhaltlich übereinstimmen, „aber gegenseitiges Verständnis schafft erst die Grundlage für politikfähigen Austausch“.