Dritte Welt: Der Klimawandel als bequemer Sündenbock
Der Tschadsee in Afrika schrumpft. Nigerias Präsident macht dafür den Klimawandel verantwortlich. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Volker Seitz, dass der Klimawandel und die angebliche Austrocknung des Sees jedoch nur als Vorwand dienen, um soziale Konflikte zu überdecken.
Judith Curry war bis vor kurzem Professorin für Klimawissenschaften und Vorsitzende der School of Earth and Atmospheric Sciences am Georgia Institute of Technology. Sie sagt: „Der Klimawandel ist zu einem bequemen Sündenbock geworden. Infolgedessen vernachlässigen wir die wahren Ursachen für diese Probleme (…).“ Der Tschadsee in Afrika schrumpft. Der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari macht dafür Sie-wissen-schon-was verantwortlich. „Der Klimawandel“, verkündete er, „ist weitgehend für das Austrocknen des Tschadsees verantwortlich“. Aber das ist nicht der Fall.
Der Klimawandel hat wenig mit dem sinkenden Wasserstand des Tschadsees zu tun. Vielmehr mit schlechten Entscheidungen von Menschen. Der Klimawandel ist nur eine bequeme Ausrede, hinter der sich schlechtes Management und schlechtes Regieren verbergen. Das Bevölkerungswachstum, wo und wie die Menschen leben, sowie die Art und Weise, wie die Regierungen mit den Ressourcen umgehen, schaffen viel eher die Voraussetzungen für Katastrophen als das Klima selbst. Wir hatten schon immer Wirbelstürme, Dürren und Überschwemmungen, und wir werden sie auch immer haben. „Das größte Problem des Klimawandels ist nicht der Klimawandel an sich, sondern die Art und Weise, wie wir mit ihm umgehen.“
Hilfsgelder durch gewisse Schlagworte
Für die meisten armen Länder steht der Klimawandel weit unten auf der Prioritätenliste. Es sind die Themen Armut, Beschäftigung, niedrige Bildungsqualität, Korruption, schlechte Regierungsführung, zuverlässige Energie, Infrastruktur und Gesundheit, die die Menschen in diesen Ländern beschäftigen. Es ist sehr bequem von den Schreibtischen in Wien, Berlin oder Brüssel, das Klima als Priorität zum Beispiel für Afrika zu betrachten. Natürlich hat der nigerianische Präsident erkannt, mit welchen Schlagworten er weitere Hilfsgelder generieren kann. Da kommt ihm das angebliche Austrocknen des Tschadsees gerade recht.
Die Region um den Tschadsee ist binnen weniger Jahre mit insgesamt fast 2,3 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen zu einem gefährlichen Krisenherd geworden. Der Klimawandel wird seit Jahren für die Krise um den Tschadsee in der Sahelzone verantwortlich gemacht. Immer wieder wird behauptet, dass der See austrocknen wird. Zwar ist durch Dürren und Hitzeperioden ein erheblicher Teil der Wasseroberfläche verdampft, aber der See schrumpft nicht mehr. Trotzdem halten sich hartnäckig in den Medien derartige Berichte. Weil das plausibel erscheint, schreiben Journalisten voneinander ab. Die sollten aber von Berufs wegen besonders skeptisch und faktentreu sein.
Die falschen Berichte haben neben dem wirtschaftlichen auch einen politischen Hintergrund. Die angeblich drohende Umweltkatastrophe könne nur durch einen Kanal, der Wasser vom Kongobecken zum Tschadsee führt und so den See wieder auffüllt, abgewendet werden. Nur so könne Hunger beendet und Arbeitsplätze geschaffen werden, und nur so hätte die Region eine Zukunftschance. Ein prominenter Befürworter des Projekts – unter Beteiligung italienischer Firmen – ist Romano Prodi, ehemaliger italienischer Ministerpräsident und ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission. Heute betätigt sich Prodi als Lobbyist, zum Beispiel für Kasachstan. Honi soit qui mal y pense.
Klimawandel als Vorwand
Das Forschungs- und Beratungsinstitut Adelphi in Berlin hat sich auf die Themen Klimawandel, Umwelt und Entwicklung spezialisiert. Es arbeitete im Auftrag des niederländischen Außenministeriums und an einer Studie über das Tschadseebecken. Es sollte skizzieren, welche Risiken und Elemente die Krise in dieser Region hat. Die Studie war die erste ihrer Art in der Tschadseeregion. Die Forschungsarbeit ist das Ergebnis von zwei Jahren unabhängiger, interdisziplinärer Forschung in den Anrainerstaaten Kamerun, Niger, Nigeria und im Tschad. Sie vereint Daten hydrologischer Langzeituntersuchungen aus dem Tschadseebecken mit jüngsten Analyseergebnissen aus zwanzig Jahren Satellitenbeobachtungen. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt bestätigt die Messungen. Es gebe ein Auf und Ab, aber in den letzten 18 Jahren keinen Trend, dass der See weiter schrumpft. Nach den Forschern könnte der See sogar wieder wachsen, weil von den Quellen des Sees ausreichend Wasser zum See gelangt.
Die wichtigsten Zuflüsse des Tschadsees sind der Chari mit seinem Nebenfluss Logone und der Komadougou-Yobe. Die intermittierenden Flüsse El Beid und Yedseram spielen in regenreichen Jahren ebenfalls eine wichtige Rolle, weil ihr Abfluss dann groß genug ist, um den See zu erreichen. Forscher vermuten, dass sich unterhalb des Sees Grundwasserreservoirs befinden, die den Tschadsee wieder auffüllen könnten. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine substanzielle Menge des Grundwassers jährlich durch Überflutung beziehungsweise aus dem Niederschlag erneuert wird. Die Anrainerstaaten nehmen den Klimawandel und das angebliche Austrocknen des Sees als Vorwand, um soziale Konflikte zu überdecken.
Die Machtelite nutzt den Klimawandel, um Missstände zu rechtfertigen. Sie verstecken sich hinter dem Klimawandel und behaupten, der sei für die sozialen Ungerechtigkeiten verantwortlich. Die externen Faktoren könnten sie nicht beeinflussen. Die Region am Südrand der Sahara ist von Armut, niedrigem Bildungsstand und schwacher sozioökonomischer Entwicklung geprägt. „Die Ursachen, die der Unsicherheit in der Region zugrunde liegen, sind jedoch weitaus komplexer und tief verwurzelt in der Geschichte der Tschadsee-Region. Ungleichheit, über einen langen Zeitraum hin andauernde politische Marginalisierung und der Ausschluss der Bevölkerung am Tschadsee von der übrigen Gesellschaft sind einige der Faktoren, die den Konflikt mitverursacht haben“, schreibt Janini Vivekananda, Hauptautorin des Berichts und Senior Advisor bei Adelphi.
Worum es eigentlich geht
Gruppen wie Boko Haram kontrollieren Territorien und schwächen die Ökonomie in der Region. Sie zerstören die Ernte und die Infrastruktur wie Straßen, was es den Händlern unmöglich macht, ihre Waren zu transportieren. Dies hat verheerende Folgen für die Lebensmittelsicherung in der Region, wo 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung von Landwirtschaft, Fischerei und Viehzucht leben. Wenn im Zusammenhang mit der Situation des Tschadsees von Umwelt- und Klimakatastrophen die Rede ist, muss man sich vor Augen führen, worum es überhaupt geht. Wer an der Klimadiskussion teilnimmt, sollte vorher sein Wissen vertiefen.
Wolfgang Behringer, bis 2023 Professor für Geschichte an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, zeigt in seiner Kulturgeschichte des Klimas, wie das Klima die Menschheitsgeschichte schon immer nachhaltig beeinflusst hat, Zusammenbrüche ganzer Kulturen eingeschlossen. Damit soll das Problem des Klimawandels – den Behringer nicht infrage stellt – nicht verharmlost werden. Aber die Darstellungen können doch helfen, das Problem in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Wer sich seriös, aber auch vergnüglich über den Klimawandel unterrichten möchte, empfehle ich das Buch Bier: Die ersten 13000 Jahre der beiden Historiker Hirschfelder und Trummer zu lesen.
Michael Klonovsky hat vor wenigen Tagen auf seinem Blog Acta diurna auch auf das großartige Buch hingewiesen. Er schreibt: „Ein Kapitel widmet sich dem Klimaoptimum (ungefähr vom 9. bis 11. Jahrhundert). In diesen ca. 250 Jahren wurde es in Mitteleuropa auf einmal schlagartig wärmer, und zwar um mehrere Grad Celsius. Die Durchschnittstemperaturen in Deutschland lagen damals sogar höher als heutzutage. Bis zum 9. Jahrhundert hatte sich die Bierbrauerei bereits über das Gebiet des heutigen Deutschlands verbreitet.
Es gab Brauvereine und Kommunen, die Braulizenzen bekamen und die Bevölkerung mit mehr oder weniger gutem Bier versorgten. Diese ganze Entwicklung des Brauwesens kam dann, bedingt durch die plötzliche Erwärmung, zum Stillstand. Denn es gab ja damals keine Kühltechnik. Es wurde zu warm, um Bier zu brauen. Es gab noch keine Eiskeller wie in Franken, und Kühlanlagen schon gar nicht.“
Zur Person:
Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv 11. Auflage 2021, war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt tätig. Er schreibt für verschiedene Medien wie Achgut und Pragmaticus.