Trump-Sieg und Abschied von alter Weltordnung: Was folgt für Europa, China, Nahost?

Trumps Rückkehr ins Weiße Haus ist eine Krise und eine Chance für die Weltordnung. Denn: Trump will die USA von ihren internationalen Verpflichtungen befreien und die US-Außenpolitik auf das Prinzip des Eigeninteresses zurückführen. Der Politikwissenschaftler Seyed Alireza Mousavi analysiert die neue Weltlage nach der US-Wahl.

9.11.2024
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Trump-Sieg und Abschied von alter Weltordnung: Was folgt für Europa, China, Nahost?

Trump während seiner ersten Amtszeit im Oval Office.

© IMAGO / Newscom World

Die wirtschaftliche Dominanz Chinas, das wachsende Selbstbewusstsein des globalen Südens und die schwindende Machtbasis der USA haben die „regelbasierte“ westliche Weltordnung längst auf den Kopf gestellt. Donald Trump will die USA nun aus ihren internationalen Verpflichtungen im Rahmen supranationaler Organisationen lösen und die US-Außenpolitik wieder auf das Prinzip des Eigeninteresses zurückführen. Mit anderen Worten: Weltpolizist wollen die US-Amerikaner nicht mehr sein. Welche Auswirkungen wird die neue protektionistische Agenda der USA auf die Weltordnung haben?

Die Situation in Europa

Europa durchlebt seit dem Krieg in der Ukraine schwierige Zeiten. Wenn der neu gewählte US-Präsident seinem Naturell und seinen Ankündigungen folgt, werden sie noch schwieriger. Trumps Wiederwahl wird auch Europa zu einem Kurswechsel in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zwingen. Donald Trump hat wiederholt das Handelsdefizit mit der Europäischen Union beklagt und die EU als „Mini-China“ bezeichnet. Als Präsident zwischen 2017 und 2021 hatte Trump einen Handelskonflikt mit China angezettelt und eine Reihe von Strafzöllen auf Produkte aus der Europäischen Union verhängt.

Im Wahlkampf hatte er angekündigt, Zölle von zehn bis 20 Prozent auf Waren aus Ländern zu erheben, „die uns seit Jahren betrügen“. Damit meinte er EU-Staaten. Die EU-Kommission bereitet sich nach eigenen Angaben bereits intensiv auf einen Handelskrieg mit den USA vor. Sollte Trump erneut Zölle verhängen, will sie schnell zurückschlagen. Allerdings ist Europa als Absatzmarkt für die USA deutlich weniger wichtig als die USA als Absatzmarkt für Europa.

Wirtschaftskrieg gegen Deutschland?

Ein Handelskrieg mit den USA würde vor allem die deutsche Wirtschaft und die Staatskasse treffen. Am Tag nach Trumps Erdrutschsieg bebte auch in Berlin die Erde und die Ampelkoalition zerbrach im Haushaltsstreit. Im vergangenen Jahr verkaufte Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von 200 Milliarden Euro in die USA. Rund sieben Prozent der deutschen Wertschöpfung gehen in die USA. Die von den USA angedrohten Importzölle würden deutsche Waren im Vergleich zu amerikanischen deutlich verteuern und damit vor allem Industrieunternehmen aus der Automobil-, Chemie- und Maschinenbauindustrie treffen. Indirekte Auswirkungen hätte auch der von Trump angedrohte Zoll von 60 Prozent auf Importe aus China. Denn die deutsche Industrie exportiert viele Vorprodukte nach China, die dann in den USA weiterverarbeitet werden. Mit der Handelsbarriere für Lieferungen aus China schrumpfen also die Absatzchancen der deutschen Industrie.

Ein Wahlsieg Trumps bedeutet weniger Berechenbarkeit der US-Sicherheitspolitik, und Europa sollte sich darauf einstellen und sein Projekt der strategischen Autonomie Europas wiederbeleben. Trump hat im Wahlkampf wiederholt die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine als zu teuer kritisiert und versprochen, den Krieg schnell zu beenden. Wie dies geschehen soll, hat Trump bislang jedoch offen gelassen. Mit Trump wird der geopolitische Druck auf Europa zunehmen und die sicherheitspolitische Ausrichtung Europas zu einer Schicksalsfrage. Der französische Präsident Macron hat beim jüngsten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Budapest dafür geworben, dass die Europäer ihre Interessen genauso stark vertreten, wie es der neue US-Präsident Trump für die USA tun wird.

Der beste Deal in der Ukraine

Vor allem in der Ukraine-Frage bestehe die Gefahr, dass sich die USA und Russland über die Köpfe der Europäer hinweg einigen. Trump sieht sich in erster Linie als Geschäftsmann, der nach dem besten Deal für die USA sucht. Die Ukraine ist für ihn ein europäisches Problem. Und er brüstet sich gerne damit, die europäischen NATO-Staaten bei den Verteidigungsausgaben zur Kasse zu bitten. Es wird erwartet, dass Trump schnelle Gespräche zur Beendigung des Krieges anstrebt. Ein Teil davon dürften Zugeständnisse an Russland sein. Einem Frieden ausschließlich zu russischen Bedingungen würde Trump jedoch nicht zustimmen, da dies wie eine Niederlage für die USA aussehen würde.

Es ist wahrscheinlich, dass der Kriegstreiber Mike Pompeo Verteidigungsminister wird, und der ist ein großer Freund der Ukraine. Letztlich geht es Trump darum, dass Europa die finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine alleine schultern müsse. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich warnte angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA vor einem „Diktatfrieden eines US-Präsidenten Trump“. Ein Diktatfrieden zu den Bedingungen des russischen Präsidenten dürfe nicht akzeptiert werden.

Die militärische Präsenz der USA in Europa sei bisher die sicherheitspolitische Lebensversicherung Europas gewesen. Sie dürfte in den nächsten Jahren massiv reduziert werden. Das birgt die Chance, dass Europa die Souveränität zurückgewinnt, die es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verloren hat. Es birgt aber auch die Gefahr, dass Europa den aufstrebenden Mächten im Osten schutzlos ausgeliefert ist. Der Trend nach dem Wahlsieg Trumps in Europa ist alarmierend. Der neue NATO-Chef Mark Rutte hat in seinen Glückwünschen an Trump das Bündnis als „verlängerten Arm der USA“ bezeichnet. Die Verbündeten trügen dazu bei, „US-Interessen voranzubringen, die amerikanische Macht zu vervielfachen und die Sicherheit der Amerikaner zu gewährleisten“. Der Bedeutungswandel der NATO ist ein Signal an Europa und Deutschland, dass sich das Bündnis nun ausschließlich an US-Interessen ausrichten will.

In Fernost wird abgewartet

Es war Trump, der die USA in einen Handelskrieg mit China schickte und Zölle in Milliardenhöhe auf chinesische Waren verhängte. Doch Biden setzt Trumps China-Politik fort. Sowohl Demokraten als auch Republikaner sind davon überzeugt, dass der indopazifische Raum und in ihm ein machtbewusst auftretendes China die zentrale geopolitische Herausforderung der USA in den nächsten Jahrzehnten darstellen. Die Biden-Administration hatte aber trotz ihrer harten China-Politik auch versucht, verlässlicher aufzutreten. Nicht zuletzt, um im Krisenfall direkt mit den Chinesen kommunizieren zu können. Ob dies mit Trumps Politikstil vereinbar ist, bleibt vorerst offen. Bis 2049 will die Volksrepublik die Supermacht USA überholen, die USA sind für Chinas Ambitionen Maßstab und Rivale zugleich. Washington versucht, den technologischen und wirtschaftlichen Aufstieg des Gegners zu stoppen oder deutlich zu bremsen.

Trump hat bereits mit Strafzöllen von über 60 Prozent auf chinesische Importe gedroht. China verkauft jährlich Waren im Wert von mehr als 400 Milliarden Dollar in die USA und weitere Hunderte Milliarden Dollar an Komponenten für Produkte, die die Amerikaner aus anderen Ländern beziehen. Peking ist besonders besorgt über ein mögliches Wiederaufflammen des Handelskriegs unter Trump, da China derzeit mit erheblichen internen wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert ist. Ein sich verschärfender Handelskrieg würde China massiv belasten. Trumps Wiederwahl wird China jedoch in seinem Kurs bestärken, sich unabhängiger vom Ausland zu machen und sich auf andere Märkte als die USA zu konzentrieren.

Als Reaktion auf US-Strafzölle würde die Volksrepublik ihr Streben nach größerer technologischer und wirtschaftlicher Autarkie verstärken und gleichzeitig ihre Beziehungen zum Globalen Süden und insbesondere zu Russland ausbauen. China geht davon aus, dass sich die USA unter der Trump-Administration weiter von internationalen Abkommen und Verpflichtungen lösen werden. Die chinesische Führung wird daher jeden geopolitischen Spielraum nutzen, den Trump zulässt. Das gilt für die US-Präsenz in internationalen Organisationen ebenso wie für das Südchinesische Meer und Taiwan, das auf die militärische Verteidigung durch die USA angewiesen ist. Trump hat offen gelassen, ob er der abtrünnigen Insel zu Hilfe kommen würde. Taiwan hat Trump bereits mit seiner Äußerung verunsichert, es solle Washington für seine Verteidigung bezahlen. Außerdem hat er den Amerikanern die US-Halbleitergeschäfte weggenommen.

Eskalation im Nahen Osten droht

Im eskalierenden Konflikt zwischen Iran und Israel hat sich Donald Trump im Gegensatz zu US-Präsident Joe Biden für einen Angriff Israels auf iranische Atomanlagen ausgesprochen. Israel betrachtet das iranische Atomprogramm wegen der damit verbundenen möglichen Entwicklung von Atomwaffen als existenzielle Bedrohung. Der Iran hat Israel vor einem Angriff auf seine Atomanlagen gewarnt und seinerseits mit einer scharfen Reaktion gedroht. Im September erklärte Trump vor Journalisten, Washington müsse ein Abkommen mit dem Iran schließen, um dessen Nuklearprogramm zu stoppen.

Aus Sicht der israelischen Regierung bedeutet Trumps Sieg freie Hand im Krieg gegen die Hamas in Gaza, gegen die Hisbollah im Südlibanon und einen Freibrief für die Auseinandersetzung mit dem Iran. In seiner ersten Amtszeit erkannte Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels an. Er verlegte die US-Botschaft dorthin. Er ist aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen. Und Netanjahu hofft, dass das so weitergeht. Man muss auch sehen, dass Netanjahu im Windschatten der US-Wahlen innenpolitisch bereits Fakten geschaffen hat. Er entließ seinen Verteidigungsminister. Joaw Galant war einer der letzten im Kabinett, der Netanjahu noch kritisiert hatte und für einen Deal mit der Hamas zur Freilassung der verbliebenen 101 Geiseln war.

Ob Netanjahu mit Trump wieder eine persönliche Chemie aufbauen kann, bleibt abzuwarten. Jedenfalls muss Netanjahu befürchten, dass er unter dem gleichen Druck wie unter Biden stehen wird, die Kämpfe in Gaza und im Libanon zu beenden. Trump hat wiederholt von einem Ende des Krieges mit der Hamas gesprochen und in der vergangenen Woche dasselbe über die Kämpfe im Libanon gesagt.

Iran wird unter Druck geraten

Die Rückkehr des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ins Weiße Haus dürfte aber vor allem eine härtere Durchsetzung der US-Erdölsanktionen gegen den Iran bedeuten. Im Gegenzug würde Trump die Sanktionen gegen den russischen Energiesektor lockern, die von den westlichen Ländern als Strafe für „die russische Invasion in der Ukraine“ verhängt wurden, um einen Anstieg der Ölpreise zu verhindern. Eine härtere Gangart gegenüber dem Iran bedeute aber auch eine härtere Gangart gegenüber China, nämlich die Verhängung von Sekundärsanktionen gegen chinesische Unternehmen. China könnte Vergeltung üben, indem es seine Arbeit im BRICS-Club verstärkt, einschließlich der Verringerung seiner Abhängigkeit vom Dollar beim Handel mit Öl und anderen Waren. China und der Iran haben ein Handelssystem aufgebaut, das hauptsächlich den chinesischen Yuan und ein Netzwerk von Mittelsmännern nutzt, um den Dollar zu umgehen und sich nicht den US-Regulierungsbehörden auszusetzen, was letztlich die Durchsetzung von US-Sanktionen erschwert.

Trump scheint einen Krieg gegen den Iran abzulehnen. Sein Vize J. D. Vance sagte in einem Podcast-Interview, dass die Interessen der USA und Israels nicht immer deckungsgleich seien. Er verband dies mit seiner Ablehnung eines Krieges mit dem Iran. „Wir haben ein großes Interesse daran, keinen Krieg mit dem Iran zu führen. Das wäre eine enorme Verschwendung von Ressourcen“, betonte er. Statt eines Krieges gegen den Iran würde sich Trump auf eine Blockbildung der sunnitisch-arabischen Staaten im Rahmen des Abraham-Abkommens als Gegengewicht zur iranischen Machtausweitung konzentrieren. Allerdings hat Trump mit dem Iran noch eine Rechnung offen, nämlich angebliche Attentatsversuche Teherans gegen ihn. Es bleibt abzuwarten, wie er sie begleichen wird.

Über den Autor

Seyed Alireza Mousavi

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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