Wie die spanische Rechtspartei „Vox“ das politische System aufmischt
In seiner Analyse beleuchtet Felix Hagen den Werdegang der spanischen Vox-Partei und zeigt auf, welche Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede es bei ihr und der Alternative für Deutschland gibt.
Am zwanzigsten April 2022 wurde die spanische Partei „Vox“ (lat. „Stimme“) erstmals Teil der Exekutive der autonomen Gemeinschaft Castilla y León. Die Region im Nordwesten Spaniens, die in Struktur und Bedeutung einem deutschen Bundesland ähnelt, ermöglicht der Rechtspartei einen Zugriff auf Strukturen und Mittel, von denen AfD-Politiker bisher nur träumen konnten. Von einem „Pakt der Schande“ schrieb der englische Guardian im Frühjahr, und auch die politische Opposition sparte nicht mit Kritik: Vierzig Jahre nach dem Ende des Franquismus sei „die extreme Rechte“ wieder an der Regierung, so die Sozialistische Arbeiterpartei. Ein Urteil, dem sich viele im politisch-medialen Betrieb anschlossen. Doch wie viel Franquismus steckt in der Partei mit den grünen Fahnen? Was macht Vox anders als etwa die AfD in Deutschland und was ist von ihr in Spanien und Europa noch zu erwarten?
Wie jede politische Bewegung muss auch die Vox vor dem Hintergrund der Geschichte und der politischen Kultur Spaniens, genauer gesagt der spanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, betrachtet und eingeordnet werden. Nach dem Sieg der Republik im Bürgerkrieg regierte Francisco Franco das Land von 1939 bis zu seinem Tod 1975. In seiner Einheitspartei „Falange Española Tradicionalista y de las JONS“ wurden zwei Gruppierungen zwangsvereinigt, die eigentlich nicht viel mehr gemeinsam hatten als die Ablehnung der Zweiten Spanischen Republik. Während die Falange in ihrer Ausrichtung antimonarchistisch und nationalsyndikalistisch war, kann die „Comunión Tradicionalista“ als klassisch monarchistisch-absolutistisch und damit im Spektrum der rechten Bewegungen als genaues Gegenstück zur Falange angesehen werden.
Zwei ungleiche Partner
Wie diese Zwangsehe im Einzelnen ablief und welche erstaunlichen Folgen und Biographien sie nach sich ziehen sollte, ist Gegenstand eines anderen Hintergrundbeitrags. Fakt ist, dass der spanische Faschismus der Falange nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges „den konservativen Mächten nicht mehr bloß verbündet, sondern versklavt“ (Ernst Nolte) war. Franco identifizierte sich wenig mit den nationalrevolutionären Schwärmereien der Falangisten, galt bis zu seinem Tod als uncharismatisch und strukturkonservativ. So kann es kaum verwundern, dass es bis zum Ende der Diktatur einen durchaus lebhaften falangistischen Widerstand gegen Franco gab, der mit zunehmender Dauer der Herrschaft Francos sogar an Kraft gewann. Denn in die erste Reihe des Regimes traten zunehmend Technokraten, die sich gesellschaftlich konservativen, wirtschaftlich aber marktliberalen Vorstellungen verpflichtet fühlten.
Diese Technokraten bildeten nach dem Ende des Franquismo und dem Neubeginn Spaniens als föderales, demokratisches System die Elite der neuen konservativen Partei „Partido Popular“ (PP). In ihr sammelten sich all jene, die sich mit dem franquistischen System arrangiert oder es unterstützt hatten. Für eine weitere politische Kraft rechts der PP, die etwa das brachliegende Feld des Nationalsyndikalismus hätte bearbeiten können, blieb im parlamentarischen Betrieb kein Platz. Einige Kleinstparteien versuchten sich in mühsamer Kärrnerarbeit, blieben aber politisch erfolglos. Dennoch gelang es Einzelpersonen, Vereinen und besagten Kleinstparteien, das ideelle Erbe des spanischen Faschismus am Leben zu erhalten.
Ein Anfang im Kleinen
Alle anderen, denen es vor allem um den Erhalt der Kernsubstanz des spanischen Staates – Monarchie, Zentralstaat und Kirche – ging, waren bis Anfang der 2000er-Jahre in der strukturkonservativen PP gut aufgehoben. Ähnlich wie in der bundesdeutschen Union aus CDU und CSU machte sich jedoch allmählich eine gewisse politische Beliebigkeit bemerkbar, die spätestens mit der katalanischen Sezessionskrise 2017 und der seit 2015 anhaltenden Migrationskrise auch den treuesten Anhängern die Zahn- und Wehrlosigkeit der PP vor Augen führte. Die Zeit für eine neue Rechtspartei war auch in Spanien längst überreif und mit Vox stand eine junge, unverbrauchte Bewegung in den Startlöchern.
Während in Deutschland die Eurokrise zum Startschuss für eine dezidiert akademische, klassisch nationalliberale „Wahlalternative 2013“ wurde, gründete sich in Spanien bereits 2012 eine Ideenplattform unter dem Namen „reconversión.es“ („Umkehr“) um einige dezidierte Antiseparatisten mit dem einzigen Ziel, die Föderalisierung des spanischen Staates rückgängig zu machen. Während die „Wahlalternative 2013“ zur AfD mutierte, wandelte sich die „reconversión“ zur „Vox“, und ähnlich wie bei der deutschen Alternative blieb vom ursprünglichen Führungspersonal kaum jemand übrig. Lediglich Santiago Abascal konnte sich behaupten und bestimmt heute als alleiniger Parteichef maßgeblich die Linie seiner Partei.
Parallelen zu Deutschland
Gab sich die Wahlalternative von Anfang an bürgerlich und sauber – die ersten Parteispendenskandale folgten erst einige Jahre später –, so setzten die Spanier die Hürden für finanzielle Zuwendungen deutlich niedriger an. Die finanzielle Grundausstattung in Höhe von 972.000 Euro kam in kleinen Tranchen aus den Taschen vieler Einzelpersonen. Ausnahmslos Anhänger der sogenannten „Volksmudschaheddin“, einer skurrilen Politsekte der iranischen Diaspora, die sich damit für die Unterstützung eines der Parteigründer, Alejo Vidal-Quadras, in der Vergangenheit bedanken wollten. Bei den Europawahlen 2014 verfehlte die junge Partei jedoch ihr Ziel, ins Europaparlament einzuziehen, und besagter Parteimitgründer verließ die Partei. Ein „Glücksfall“, wie einige Vox-Leute heute sagen, denn durch den frühen Misserfolg seien „Glücksritter und Querpfeiffer“ schnell desillusioniert und in der Folge aus der Partei gedrängt worden.
Die strenge Gruppendisziplin und die steile Hierarchie der Partei, die relativ schnell vom Basis- zum Delegiertensystem überging, sind ein Produkt dieses frühen Scheiterns. Abascal bewies Geduld und Nervenstärke, seine Mitgründer hingegen zumeist nicht – Parallelen zur Übervaterfigur der AfD, Alexander Gauland, sind hier nicht von der Hand zu weisen. Im Zuge der Sezessionskrise 2017 stieg die Mitgliederzahl innerhalb weniger Tage um ein Fünftel, ein Jahr später gelang der Einzug in Fraktionsstärke in das andalusische Regionalparlament. Wiederum ein Jahr später, getragen von der anhaltenden Migrationskrise, gelang der Einzug ins spanische Unterhaus und ins Europaparlament mit besonders starken Ergebnissen in Murcia und der spanischen Exklave Ceuta. Ein Höhenflug der Partei, der mit einer Stabilisierung auf dem Niveau einer politischen Mittelmacht sein vorläufiges Ende fand – auch hier drängt sich der Vergleich mit der AfD auf, die sich ebenfalls bundesweit zwischen hohen ein- und niedrigen zweistelligen Prozentzahlen etablieren konnte.
Eine heterogene, aber vereinte Partei
Im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen blieben den Spaniern nach dem Einzug in die Parlamente allerdings die teils schmerzhaften Häutungen der Führungsriege weitgehend erspart. Während die AfD in den vergangenen fünf Jahren noch jeden Hoffnungsträger beschädigte, saß und sitzt Abascal fest im Sattel. Das liegt auch an den Führungsqualitäten des begeisterten Kampfsportlers, vor allem aber daran, dass es dem Sohn einer Politikerdynastie gelungen ist, die Interessen verschiedener Parteiflügel unter einen Hut zu bringen. Denn ähnlich wie die Einheitspartei unter Franco besteht auch die Vox aus sehr unterschiedlichen Strömungen. Ihre Delegation im Europaparlament, bestehend aus dem ehemaligen Mitglied einer falangistischen Partei Jorge Buxade, dem nationalkonservativen Journalisten Hermann Tertsch, der christlich-konservativen Corona-Kritikerin Margarita de la Pisa Carrión und der klassisch-konservativen Mazaly Aguilar, ist ein Beleg für die vielen Schattierungen der Partei.
Die Zusammenarbeit verläuft meist reibungslos, oberste informelle Schiedsinstanz bei aufkommenden Flügelstreitigkeiten oder ideologischen Bruchstellen ist der Parteichef selbst, dem von Parteifreunden eine gewisse inhaltliche Flexibilität nachgesagt wird. Das System Abascal funktioniert. Wer daran zweifelt, wie die ehemalige Spitzenkandidatin in Andalusien, Macarena Olona, fliegt. So populär die einstige Hoffnungsträgerin auch war und ist, wer sich gegen den Vorsitzenden stellt und wie sie einen Mangel an „innerparteilicher Demokratie“ beklagt, wird seine politische Zukunft außerhalb der Partei suchen müssen.
Keine Angst vor Verantwortung
Doch auch ihrer vergleichsweise robusten und effizienten Struktur zum Trotz wird das Jahr 2023 für die Vox zu einer Bewährungsprobe. Angesichts der Schwäche der Sozialisten von Premier Pedro Sánchez und seinem Koalitionspartner, der linksgrünen Unidas Podemos, kann Vox hoffen, in zahlreichen Regionen und Rathäusern gemeinsam mit der PP an die Macht zu gelangen. Die hat ihre Berührungsängste zu der Konkurrenz von rechts weitgehend aufgegeben.
Nicht nur in der Hauptstadt Madrid ist von einer Brandmauer gegen Vox nichts zu spüren, im Gegenteil. Die Ministerpräsidentin Isabel Díaz Ayuso der PP lässt ihre Minderheitsregierung von der Vox tolerieren, im eingangs erwähnten Kastillien regiert Vox auf Augenhöhe mit. Davon profitiert hat auch die PP, denn die Konservativen haben ihr Profil geschärft, Diaz Ayuso verkündete nach der Wahl von Giorgia Meloni in Italien, dass sie „Teile der politischen Ansichten“ der Italienerin teile.
Zur Person:
Felix Hagen lebt und arbeitet nach Aufenthalten in Buenos Aires, Santiago de Chile und Bogotá in Brüssel. Als Journalist ist er auf politische Prozesse in der Iberosphäre spezialisiert und spricht fließend Spanisch.