Das demographische Dilemma (I)
Im ersten Teil seines Beitrags zum demographischen Dilemma weist Fiß darauf hin, dass auch eine rechte Werkstatt der Zukunftsideen nicht umhin kommen wird, sich mit Themen wie Wachstumskritik, Degrowth, Digitalisierung und Robotik auseinanderzusetzen.
Der zweite Teil kann hier gelesen werden.
Das Jahr 1958 verzeichnete 1,15 Millionen Geburten in der Bundesrepublik. Damit erreichte der Babyboom der 50er-Jahre ein weiteres Rekordhoch. In den 60er-Jahren wurden diese Zahlen, bis zu ihrem Höhepunkt im Jahr 1964, mit über 1,3 Millionen Geburten in Deutschland nochmals übertroffen. 2023 werden die 1958 geborenen 65 Jahre alt sein und damit das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben. Dem stehen 658.795 junge Menschen gegenüber, die im Jahre 2005 geboren wurden und im nächsten Jahr als 18-Jährige schrittweise in den Arbeitsmarkt eintreten. Schauen wir uns die Alterskohorte in einem Maßstab der kommenden sechs Jahre an, so werden knapp neun Millionen Menschen der Jahrgänge 1958-1964 in Rente gehen, aber nur 4,7 Millionen neu in das sogenannte „Erwerbspersonenpotential“ hineinwachsen.
Ab 2030 werden doppelt so viele Menschen aus dem Arbeitsmarkt herausfallen, wie von unten überhaupt nachrücken könnten. Jedes Jahr werden zwischen 400.000-600.000 Arbeitskräfte fehlen, die die sozialen Sicherungs- und Umlagensysteme stabilisieren könnten. In den meisten Modellrechnungen der Statistiker und Demographen sind bereits positive Zuwanderungssalden von 400.000 Menschen im Jahr eingerechnet. Doch selbst dann wird sich die Gesellschaft auf eine Regression der zentralen Wohlstandsattribute einstellen müssen. Diese Phase wird bis circa 2045 anhalten. Dann nämlich haben die „Babyboomer“ das Alter der durchschnittlichen Lebenserwartung erreicht und die Alterspyramide dürfte sich in ihrer fundamentalen Substanz etwas erholen, auch wenn die Gesamtstruktur eines üppigen Bauches etwas zusammenschrumpft.
Diese kommende Zeitenwende der nächsten 20 Jahre werden wir mit aktiven Maßnahmen nicht mehr aufhalten können. Sie kann nur noch verarbeitet werden, denn die bestimmenden Faktoren in der neuen demographischen Gleichung sind bereits geboren. Das heißt auch eine ad hoc Trendwende in der Familienpolitik mag zwar ab den 2040er-Jahren für Erholung auf den Arbeitsmärkten sorgen. Bis dahin werden aber die jetzt lebenden Generationen eine Talsohle durchschreiten. Vor allem der deutsche Osten wird von diesen Schwundprozessen am härtesten betroffen sein.
Die Einschläge dieser Entwicklung erleben wir bereits jetzt. Überall fehlt es an Personal und Fachkräften. Ganze Branchen wie die Medizin, Handwerk oder Logistik und Mobilität fahren bereits nur noch auf Reserve oder stehen kurz vor dem Kollaps. Erschwerend hinzu kommen Krankheitsausfälle und die generellen Disbalancen in den Jobpräferenzen junger Menschen, die immer weniger in klassischen Ausbildungsberufen arbeiten wollen. Wir werden uns als Gesellschaft aber ohnehin auf einen Rückgang bestimmter, durch die Wirtschaft gestemmter, Versorgungsleistungen einstellen müssen. Bis 2050 werden über sechs Millionen weniger Menschen zur allgemeinen Erwerbsbevölkerung gehören.
Seit Ende des zweiten Weltkriegs ist die Lebenserwartung in Deutschland um knapp 20 Jahre angestiegen, wodurch sich selbstverständlich auch die Bezugsdauer der Rentenansprüche deutlich ausgedehnt hat. 1963 waren in Deutschland 12 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre. Schon heute hat sich dieser Anteil mit 23 Prozent fast verdoppelt und wird im Jahr 2060 die 30-Prozent-Marke knacken. Die Ü65-Jährigen bilden dann die stärkste Alterskohorte in der Gesellschaft, während der Anteil der jungen Generationen zwischen 0-19 Jahren seit den 1980er-Jahren konstant schrumpft und für die kommenden Jahre auf niedrigem Niveau stagnieren wird.
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stellten die 6-14-Jährigen noch knapp 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Heute ist ihr Anteil auf unter 10 Prozent gefallen. Insgesamt hat sich der Anteil der unter 20-Jährigen innerhalb der letzten 100 Jahre halbiert und wird sich in den kommenden Jahren auf niedrigen Niveau von 18 Prozent einpendeln.
Löst die Einwanderung unsere Probleme?
Von den Politikern der Altparteien und sämtlichen Lobby- und Stiftungsverbänden hört man schließlich immer wieder von der vermeintlichen Universallösung einer liberalen Einwanderungspolitik, die die Lücken des Erwerbspersonendefizits von außen auffüllen sollen. Die meisten Experten sind sich einig, dass selbst mit einer jährlichen Zuwanderung von 400.000 Migranten die Entwicklungen lediglich abgefedert, aber nicht aufgehalten werden können. Der Soziologe Stefan Schulz schreibt in seinem Buch „Altenrepublik“ sogar, dass Deutschland jedes Jahr ein „neues 2015“ bräuchte, um überhaupt die drohenden sozialen und wirtschaftlichen Bruchstellen, die ohnehin entstehen werden, zuzukleben. Diese Berechnungen klammern natürlich alle weiteren Variablen der kulturellen Belastungsfähigkeit völlig aus.
Die demographischen Veränderungen werden in einer rein ökonomistisch-binären Logik zwischen Wohlstand und wirtschaftlichem Niedergang betrachtet, wonach auch Einwanderer lediglich als rationale Verschiebungs- und Verfügungsmasse betrachtet werden. Doch selbst wenn wir innerhalb der rein wirtschaftlichen Prämissen der Notwendigkeit von Migration, zur Abwendung der demographischen Katastrophe bleiben, so agiert die Politik ohnehin seit Jahren mit völlig unbekannten Faktoren und hypothetischen Modellen.
Einerseits haben die Migrationswellen der Vergangenheit klar gezeigt, dass eben nicht die benötigten Fachkräfte einwandern, sondern Menschen, die von zusätzlichen Transferleistungen abhängig sind. Zur Lösung von demographischen Alterungsprozessen eignet sich Zuwanderung jedoch ohnehin nicht, denn angesichts gleichzeitiger Alterungsprozesse der Migranten, werden die Schrumpfungsprozesse nur nach hinten verlegt. Zumindest in Deutschland haben die migrantischen Generationen ihre Geburtenraten inzwischen weitgehend an die der autochthonen Bevölkerung angepasst. Ein massiver Zuwanderungsstrom müsste somit ohnehin über mehrere Jahrzehnte in sieben bis achtstellige Dimensionen erfolgen, um überhaupt das gesellschaftliche Durchschnittsalter stabil zu halten. Deutschland ist aber nicht das einzige westliche Land, welches eine immer ältere Bevölkerung aufweist. In über 30 Industrieländern liegt der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren bereits über dem der unter 15-Jährigen. Bis 2075 wird dies weltweit die Regel sein. Die demographischen Kipppunkte sind ein weltweites Phänomen des 21. Jahrhunderts.
Wenn sich also die Bevölkerungsüberschüsse Afrikas und des arabischen Raumes in Europa entladen sollen, so werden nicht nur die autochthonen Bevölkerungen ausgetauscht, sondern die demographischen Problemlagen erhalten nur ein nach hinten verschobenes Fristdatum. Wir werden uns perspektivisch also einer Realität stellen müssen, in der die Wohlstandssicherung nicht mehr allein durch menschliche Arbeitskraft gewährleistet werden kann. Somit muss sich auch eine rechte Werkstatt der Zukunftsideen unweigerlich mit Themen wie Wachstumskritik, Degrowth, Digitalisierung und Robotik auseinandersetzen. Es sind Wege, die asiatische Länder wie Japan oder Südkorea bereits gehen und die zeigen, dass diese Entwicklungen keineswegs Anlass für apokalyptische Abgesänge auf die Menschheit bieten müssen. Selbstverständlich können signifikante Steigerungen der Geburtenraten langfristig auch Bevölkerungspyramiden wieder gesunden lassen. Wir müssen aber verstehen, dass sich dieser Effekt erst mit einer Zeitverzögerung von 20-30 Jahren wieder einstellen kann.
Zur Person:
Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation widmet.