Wie wissenschaftlich ist die Transideologie?
Transaktivisten verweisen immer wieder auf die „Wissenschaftlichkeit“ ihrer Aussagen. Doch wie wissenschaftlich ist die Transideologie wirklich? Dieser Frage geht Julian Marius Plutz in seinem Kommentar nach.
Im Sommer 2022 haben 100 deutsche Wissenschaftler, Psychologen und Mediziner den Mainstream-Medien vorgeworfen, unsachgemäß und einseitig über das Thema Transsexualität zu berichten. Die Experten forderten die Journalisten zu einer „faktenbasierte[n] Darstellung biologischer Sachverhalte nach dem Stand von Forschung und Wissenschaft“ auf.
Wenige Wochen später schlossen sich Mediziner aus insgesamt acht Ländern dem Appell an. „Wir, Wissenschaftler, Mediziner, Psychologen, Pädagogen und Vertreter anderer Professionen aus Europa, rufen die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien unserer Länder dazu auf, in ihrer Berichterstattung zum Thema Geschlecht und Geschlechtsdysphorie (beziehungsweise Transsexualität) seriöse Studien und wissenschaftlich belegte Fakten korrekt und wahrheitsgemäß darzustellen“, heißt es in dem „Europäischen Manifest“.
Transsexuelle Menschen leiden leider unter Geschlechtsdysphorie
Weiter heißt es in der Erklärung: „Derzeit gibt es zu viele Sendungen und Berichte, in denen Forderungen von Transaktivisten unhinterfragt und oft ohne jede Objektivität wiedergegeben werden. Kritische Wissenschaftler haben in diesen Sendungen entweder gar keinen Platz oder sie werden öffentlich desavouiert, bevor die Debatte überhaupt begonnen hat“. Abschließend heißt es: „Wir fordern die Fernseh- und Radiosender sowie die Printmedien auf, die Vielfalt der Standpunkte zum Thema zu repräsentieren sowie auch, die wissenschaftlich belegten Fakten zum Thema Geschlechtsdysphorie und Transsexualität angemessen darzustellen“.
Die Unterzeichner des „Europäischen Manifests“ kritisieren nicht nur die mediale Berichterstattung zum Thema Trans, sondern stellen auch in Frage, inwieweit die Transideologie überhaupt wissenschaftlich ist. Hier ist es wichtig, die Begriffe genau zu definieren.
Ein transsexueller Mensch leidet unter einer Geschlechtsdysphorie. Laut netdoktor.de leiden diese Menschen stark darunter, dass sie sich nicht ihrem Geburtsgeschlecht zugehörig fühlen. Trotz der primären Geschlechtsteile, die das biologische Geschlecht definieren, fühlen sie sich den angeborenen Merkmalen nicht zugehörig. Geschlechtsdysphorie ist eine Krankheit und als solche in der ICD, der Internationalen statistischen Klassifikation der Gesundheitsprobleme, klassifiziert. Diese Klassifikation dient Ärzten und Therapeuten als diagnostische Grundlage für die weitere Behandlung.
Es gibt auch Fehldiagnosen
Neben dem eindeutigen Krankheitsbild „Transsexualität“, das in Deutschland je nach Schätzung zwischen 2000 und 6000 Mal vorkommt, hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Transgender“ etabliert. Transgender beschreibt Menschen, die ihre soziale Geschlechtsrolle vollständig wechseln, unabhängig davon, ob operative und geschlechtsangleichende Maßnahmen durchgeführt wurden oder nicht.
Zahlen über die Häufigkeit von „Transgender-Personen“ liegen nicht vor und sind auch schwierig zu ermitteln, da es sich nicht um kranke Personen im Sinne der ICD handelt. Auffällig ist jedoch, dass laut Statista die Zahl der Transsexuellen, also der Menschen, bei denen tatsächlich eine Dysphorie diagnostiziert wurde, in den letzten Jahren zugenommen hat.
Wichtig zu erwähnen ist, dass es auch hier Fehldiagnosen gibt. Das bedeutet, dass Menschen, bei denen fälschlicherweise eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert wurde, heute unter den Folgen leiden. Oft handelt es sich dabei um lesbische Frauen, die sich auf Anraten von Ärzten und Beratungsstellen einer Transition unterzogen haben. Später haben sie erkannt, dass es der falsche Weg war und es bereut. Vieles, wie zum Beispiel die hohe weibliche Stimme, aber auch chirurgische Eingriffe, lassen sich jedoch nicht mehr rückgängig machen. Oft sind diese Menschen Langzeitpatienten.
Sexuelle Fetische gehören dazu
Eine, die diese Fehldiagnose bis zur „Geschlechtsangleichung“ durchleben musste, ist Sabeth Blank. In einer Sendung des SWR-Nachtcafés erzählt sie ihre Geschichte. Am Ende wird klar: Frau Blank ist eine lesbische Frau, die in der Gesellschaft vielleicht nicht so akzeptiert wurde, wie sie ist. Doch die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“, sagt sie, war vorschnell und falsch. Und sie war ideologisch.
Das Problem in der Debatte ist die mangelnde Objektivität vieler Transaktivisten. Manche verwechseln die Diagnose Geschlechtsdysphorie mit dem Wunsch, das soziale Geschlecht zu wechseln. Hier wird die Unwissenschaftlichkeit besonders deutlich. So handelt es sich bei den einen um kranke Menschen mit einem Leidensdruck, den Ärzte lindern können. In anderen Fällen handelt es sich um einen emotionalen Zustand, der keine wissenschaftliche Grundlage hat.
Hinzu kommt die Problematik der sexuellen Fetische. Darunter versteht man die übersteigerte Zuneigung zu bestimmten Körperteilen, Kleidungsstücken, Materialien oder Situationen, die als Stimulus für sexuelle Erregung und Befriedigung dienen. Einige Männer tragen aus Fetischgründen Frauenkleider, schminken sich und wollen weiblich angesprochen werden. Im Gegensatz dazu gibt es Travestiekünstler, die für eine Bühnenshow ihr Geschlecht „wechseln“.
Das Thema polarisiert
Die Schwierigkeit liegt in der mangelnden Abgrenzung, die Transaktivisten oft vornehmen. Dabei ist die Unterscheidung einfach: Einem Mann oder einer Frau, die sich aufgrund einer ärztlichen Diagnose im falschen Körper fühlen, muss geholfen werden. Diese Menschen leiden unter Dysphorie und sind nach der Therapie transgeschlechtlich. Transsexuelle Menschen gehören nicht dazu, da sie weder eine Diagnose noch einen Leidensdruck haben. Und Menschen, die ihren sexuellen Fetisch ausleben, weil sie sich gerne als Frau kleiden, sind nicht transgeschlechtlich.
Das Thema Transideologie polarisiert in Deutschland spätestens seit dem Welt-Artikel „Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren“ im vergangenen Jahr. Mitautorin war die Biologin Marie-Luise Vollbrecht, die kurz darauf durch die Absage einer Vorlesung über biologische Grundlagen an ihrer Universität bekannt wurde.
Zur Person:
Julian Marius Plutz, 1987 geboren, ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Achse des Guten, TheGermanZ und die Jüdische Rundschau.