Das Extreme ist nicht das Linke oder das Rechte, sondern die Mitte

In seinem Kommentar für FREILICH geht Kevin Naumann auf zwei Konfliktlinien ein, die die zunehmende geistig-politische Monotonie im öffentlichen Raum zum Ausdruck bringen und beleuchtet in diesem Zusammenhang auch die extreme dominante Mitte.

Kommentar von
7.5.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Das Extreme ist nicht das Linke oder das Rechte, sondern die Mitte

Café in Deutschland (Symbolbild)

© IMAGO / imagebroker

Wer sich heute als Konservativer seiner Stadt – in meinem Fall Halle an der Saale – und ihren Alltagsformen nähert, gerät spätestens beim unvermeidlichen Gang durch die Felder Kultur, Politik und Gesellschaft in Bedrängnis. Man ist nicht Adressat des auf der bundespolitischen Bühne perfektionierten und auf den lokalen Menschen zugeschnittenen Herrschaftsprinzips des divide et impera. Der „Marktplatz der Ideen und Befindlichkeiten“ sieht andere Typen vor, und die Rechten stehen nicht im Skizzenblock der bunten Kulturöffentlichkeit.

Dennoch: Noch finden die Händel-Festspiele ohne wehende Regenbogenfahnen statt und noch kann man sich an einem Bühnenangebot von Schauspiel bis Oper erfreuen. Das sind kulturelle Sphären, an die die politische Korrektheit wegen ihrer eigenen Geistlosigkeit nicht herankommt. Aber wo ein (politischer) Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg.

Grundsätzlich lassen sich zwei Konfliktlinien zeichnen, die die zunehmende geistig-politische Monotonie im öffentlichen Raum zum Ausdruck bringen. Zum einen ist dies die Dominanz einer extremen Mitte, bestehend aus einem materiell und intellektuell saturierten Milieu politisch universalistischer Prägung und einer institutionalisierten „Zivilgesellschaft“ als Grenzsicherung des Meinungskorridors, zum anderen das daraus resultierende Fehlen eines öffentlichen Diskurses.

Die Häresie der Meinung

Mit dem vielgelesenen Autor und jahrzehntelangen Chefarzt des Diakoniekrankenhauses Halle, Dr. Hans-Joachim Maaz, sollte im Jahr 2022 in der evangelischen Paulusgemeinde ein Podiumsgespräch mit anschließender Diskussion stattfinden. Doch dazu kam es nicht, denn die Entscheidung, wer in dieser Stadt referieren und diskutieren darf und wer nicht, wird nicht in kirchlichen Veranstaltungsräumen getroffen, sondern in denen linker Vorfeldorganisationen. Ähnlich erging es dem sächsischen Kabarettisten Uwe Steimle, dessen Auftritt im Steintor Varieté nicht stattfinden sollte, weil die zerknirschten Gesichter der parteinahen Diskursraumpflege so lange wühlten und schnüffelten, bis sie genug Beweismaterial angehäuft hatten, um den Betreiber des Hauses und den Stadtrat unter Druck zu setzen.

Wie Maaz wurde auch Steimle vorgeworfen, sich in der Nähe von Rechtsextremismus und Antisemitismus zu bewegen. Der Auftritt fand zwar statt, aber der Betreiber wird sich von nun an zweimal überlegen, ob er Künstler wie Steimle überhaupt noch einlädt. Und wenn sich junge Menschen für den Erhalt ihrer Heimat einsetzen, wird man hellhörig, denn Begriffe wie Volk, Herkunft und Tradition sind für das urbane Latte-Macchiato-Bürgertum nur Rückfälle in Zeiten, als es „unsere Demokratie“ und „die Menschenrechte“ noch nicht gab.

Jene Figuren, die bisher nichts zu riskieren hatten und ihre persönliche Chance auf einen nachträglichen Sieg des Antifaschismus im öffentlichen Raum witterten, mobilisierten die öffentliche Empörung und die Vernichtung des jungen Projekts und machten deutlich: „In dieser Stadt herrscht die Macht des Universalismus – bunt, divers, weltoffen!“. Diese Machtdemonstration markierte das öffentliche Ende der Identitären Bewegung in Halle und den vorerst letzten Versuch einer Verteidigungslinie konservativ-identitären Denkens.

Wächter der Wahrheit

Eine solche Sitten- und Verhaltenspraxis dürfte sich in jeder Stadt mit einer prägenden Kulturlandschaft aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen, öffentlichen Bühnen, Rundfunkanstalten sowie übergeordneten Behörden etabliert haben. Das herrschende Milieu besetzt diese Institutionen und formiert mit Hilfe staatlicher Ressourcen und unter dem Deckmantel der Kampfvokabel des antifaschistischen „Kampfes gegen Rechts“ ein Bataillon von Vereinen, Parteijugenden und Gewerkschaften, die einzig dem Zweck dienen, ihren kulturellen Hegemonialbereich zu bewachen und auszuleuchten und jeden, der sich nicht ihrem Diktat unterwirft, öffentlich zu verteufeln und zu verunmöglichen. Aus ihrer Sicht darf es keine andere Meinung geben als die veröffentlichte. Auf diese Weise werden sie zu Wächtern der veröffentlichten Sprache und halten ein enges Korsett des Denkbaren aufrecht.

Die Vereinnahmung der Wahrheit und ihrer Produktionsstätten in Medien und Politik führt auch zu einer Umwertung von Legitimitäten: Das Propagandainstrument des Framing, das in den Leitmedien der Bundesrepublik eingesetzt wird, spielt durch die hochfrequente Wiederholung der zu transportierenden Wahrheit mit der emotionalen Sensibilität, die mehr als jede noch so offensichtliche Tatsache das Denken und Handeln des Einzelnen beeinflusst. Auf diese Dominanz der extremen Mitte hinzuweisen, ist jedoch solange sinnlos, wie ihre kulturelle Macht nicht auch öffentlich entscheidend in Frage gestellt werden kann – eine Verschiebung, die nicht ohne krachenden Lärm vonstatten gehen würde.

Dazu bräuchte es einen öffentlichen Raum, der kontroverse Debatten zulässt. Solange aber die politische Szene diese Debatten nicht führt, weil sie sich in dieser Spaltung eingerichtet hat und die Zugänge zur Wahrheitsfindung versperrt, solange hat sie die Deutungshoheit auch über rechte Positionen. Warum sollte man auch ein Interesse daran haben, die eigene Hegemonie in Frage zu stellen?

Zwei Welten

Dem Sprachregime der extremen Mitte steht der unübersehbare kontinuierliche Verfall des Stadtbildes gegenüber. Zwar stört sich daran nicht der kosmopolitische Weltbürger, dem es gar nicht bunt genug sein kann, wohl aber der von Brüchen und Verlustgefühlen gezeichnete Einheimische, der flaschensammelnde deutsche Rentner, der den verwalteten Niedergang seiner Stadt zähneknirschend hinnehmen muss und sich für seine Meinung von der von ihm finanzierten öffentlich-rechtlichen Wahrheitsproduktion als Dunkeldeutscher, Schwätzer und Rechtsextremist kriminalisieren lassen muss. Seine Stimme ist – und das weiß er – irrelevant und wird allenfalls als Beleg für ein vermeintlich strukturell verankertes Demokratiedefizit verwendet. Uwe Steimle liefert dazu (leider) das passende Zitat: „Wir leben jetzt in einer Demokratie, da halte ich lieber den Mund“.

Neben den Blick in die ethnisch-demographische Realität tritt der Blick in die verwaisten Schaufenster. Hatte Galeria Kaufhof noch für eine belebende Kaufhauskultur und positive symbiotische Kaufkrafteffekte gesorgt, bietet sich nun ein unwürdiger Anblick, ein Leerstand, gegen den keine Petition etwas ausrichten kann. Die Konsumbedürfnisse von heute werden schnell und unkompliziert per Mausklick auf dem vielfältigen digitalen Marktplatz befriedigt. Die einzigen Geschäfte, die noch zu florieren scheinen, sind Handyläden, Friseure und Shisha-Bars. Wer heute nicht unbedingt muss, meidet die Innenstadt. Deren Besuch ist zu später Stunde längst zur Grenzerfahrung geworden, und keine Woche vergeht ohne lokale Pressemeldungen über Gewaltdelikte.

Zentrum und Außen

Die öffentliche Auseinandersetzung mit der migrationsbedingten Kriminalitätszunahme wird zwar weitgehend vermieden oder im Stadtrat als „Jugendkriminalität“ verallgemeinert, aber unter der Oberfläche kontrovers diskutiert. Man darf sich hier keinen Illusionen hingeben: Weder ist der Rechtsstaat in der Lage, die Verbrechen hinreichend aufzuklären, noch fehlt der grundsätzliche politische Wille, die noch nicht lange hier Lebenden in ihre Heimat zurückzuschicken.

Nur ein politischer Machtwechsel könnte hier grundlegende Veränderungen bewirken. Die Befürworter dieser Überfremdungspolitik siedeln sich nicht in der Silberhöhe oder Halle-Neustadt an, sondern im Gründerzeitviertel mit 24-Stunden-Rewe. So bleiben sie selbst von den Symptomen ihrer bevorzugten grenzenlosen Welt verschont. Bei der letzten Bundestagswahl erzielten die Grünen ihre besten Ergebnisse in den Wahlbezirken der Innenstadt, während die AfD ihre besten Ergebnisse in den Stadtteilen erzielte, in denen die Lebenswelten der einheimischen Deutschen mit denen der zugewanderten Bevölkerungsgruppen kollidieren. Dieser Effekt und die damit verbundenen Verlusterfahrungen dürften sich angesichts der konvergierenden Krisen vorerst noch verstärken.

Den Zorn in Form gießen

Die kommende Zeit wird trotz staatlicher Kompensationen und medial inszenierter Ablenkungsangebote eine Zeit der Verschärfungen und Temperaturerhöhungen sein. Die Protagonisten der politisch korrekten Wohlfühlzone ahnen kaum ernsthaft, welche Wut sich bereits an den Mauern ihrer bunten Einöde auftürmt und sich nicht mit euphemistischem Zukunftszentren- und Smart-City-Geschwätz eindämmen lässt. Es kann ein Miteinander entstehen, in dem die eigentlich an den Rand Gedrängten – wertschöpfende Mittelschicht, Arbeiter und Traditionalisten – gemeinsam die Zeit der Schwäche beenden wollen, weil der Grad der täglich erlebten Absurdität das erträgliche Maß überschritten hat.

Energien wie die Wut einer ganzen Generation verschwinden bekanntlich nicht, sie suchen sich andere Ausdrucksformen. Deshalb stellt sich auch heute wieder die Frage: Bringt der unbändig schwelende Zorn noch einmal Köpfe zusammen, die den Mut haben, keine Kompromisse einzugehen, und die nicht mehr bereit sind, ihre Identität zu verleugnen? Die Situation ist vielversprechend, nicht weil man in Ruhe gelassen würde, sondern weil die kumulierte Verwirrung auch Spielräume eröffnet, in denen der aufziehende Sturm in geeigneter Form zum Ausdruck drängt, um Sprache, Bilder und damit kulturelles Terrain zu erobern.


Zur Person:

Kevin Naumann, Jahrgang 1988, ist ein Patriot aus Mitteldeutschland.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Stellenausschreibugn - AfD Sachsen

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