Digitale Heilsbringer: Warum das Internet nur Hohlköpfe erschafft

Der bekannte Spruch „It’s on the internet, so it must be true“ hat sich mittlerweile zu einem gefährlichen Dogma entwickelt und beeinflusst eine ganze Generation, in der digitale Präsenz und Klickzahlen oft über realen politischen und gesellschaftlichen Einfluss gestellt werden, wie Volker Zierke in seinem Kommentar für FREILICH ausführt.

Kommentar von
31.7.2024
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4 Minuten Lesezeit
Digitale Heilsbringer: Warum das Internet nur Hohlköpfe erschafft
© IMAGO / ZUMA Press Wire

„It’s on the internet, so it must be true“ – So lautet ein Spruch aus der Proto-Meme-Zeit des Internets. Später, als man das Netz als ultimative Waffe im metapolitischen Kampf anerkannte, wurde daraus die Leitlinie „Wenn es nicht im Internet war, hat es nie stattgefunden“ – klar, Bilder von einer Aktion müssen in die digitalen Kanäle, sonst sehen es nur die Leute, die da waren. Was grundsätzlich nicht falsch ist, hat in seiner verschärften Form tiefe Spuren in den Köpfen einer ganzen Internet-Generation hinterlassen, sodass sich mancherorts die Parole herausbildete: „Nur was im Internet ist, hat Relevanz“. Die Folgen sind ein Desaster: schwachsinniger X-Vormals-Twitter-Radikalismus, Überbewertung von View-Zahlen, Lebensberatung von Lebensversagern. Die gute Nachricht: Weil nichts davon im „echten Leben“ stattfindet, ist es eigentlich schon egal.

Digitale Heilsversprechen

Die Erkenntnis mag trivial sein, aber das Internet kehrt nur das Schlechteste nach außen. Leute mit schwachsinnigen Ansichten wurden früher ignoriert, auf X gibt es aber immer jemanden, der Beifall spendet. Früher, in der guten, alten Zeit, gab es einen sozialen Filter, der dafür sorgte, dass Idioten nicht ernst genommen wurden. Heute finden in den Weiten des Internetbeziehungscoaches, Pseudo-Influencer, Vollzeit-Narzissten und Hobbystrategen ihre Plattform und ihren Markt. Trivial, wie gesagt. Anstatt diese Entwicklung zu kritisieren oder wenigstens zu ignorieren, hat sich die Rechte in Teilen für eine andere Option entschieden: Sie feiert dies als neue Vorstufe für den (wie auch immer gearteten) Sieg.

Geschenkt, dass die Plattform X seit Elon Musks Übernahme dank der Bots („meine Nacktfotos im Profil“) und Bullshit-Fäden („Notice something?“) zum Abgreifen von Aufmerksamkeit immer unaushaltbarer wird. Geschenkt, dass AfD-Politiker auf TikTok versuchen, mit möglichst inhaltsleeren, aber provokanten „One-linern“ Views zu generieren. Geschenkt, dass KI-Bildgeneratoren jetzt als Alternative zu herkömmlichen Foto-Datenbanken angesehen werden. Schlimm ist die dahinterliegende Grundhaltung: Dass all diese Dinge doch Waffen im Krieg um die Meinungshoheit seien, von denen jede einzelne nicht weniger als revolutionär, ja, ein sogenannter „Game­chan­ger“ sei.

Das ist keine bloße Fortschrittsgläubigkeit, sondern Führerbunkermentalität. Während draußen vor den Toren die „Konvergenz der Krisen“ die alte Welt in Flammen steckt, überzeugt man sich in der Bubble davon, dass mit dem massiven Einsatz von KI-Memes und KI-Songs das alles in Ordnung kommen würde. Schließlich erreichen diese ja viele Leute – und damit sei der Kampf schon halb gewonnen.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Diese Denkweise ist falsch. Likes, Favs und Views gewinnen gar nichts. Sie bedeuten nicht einmal etwas. Schön, wenn bestimmte AfD-Politiker Millionen Views auf ihren TikTok-Videos haben – ihre An- oder Abwesenheit in Fraktionen und Vorständen spricht für sich. Schön, wenn ein KI-Lied über Remigration auf französischen Handys die Runde macht – mehr Migranten werden davon aber auch nicht abgeschoben. Und Wahlen werden davon auch nicht gewonnen, wenn es das ist, was man will.

Denken, drücken, sprechen

Vieles davon fußt auf einer falschen Vorstellung von „Metapolitik“. Metapolitik in diesem Sinne bedeutet einfach nur, so viele Leute an Bord zu holen wie möglich. Je mehr Leute eine Botschaft erreicht, desto besser. Wenn eine Botschaft nicht geeignet ist, viele Menschen zu erreichen, dann muss man die Botschaft ändern oder vereinfachen. Was eine „geeignete Botschaft“ ist, entscheiden nicht nur populistische Grundsätze („einfache Botschaften sind besser als komplexe“), sondern zusätzlich noch technische Algorithmen. Wenn bei diesem Versuch, die Menschen in den Bann zu ziehen, nicht mehr viel von der Botschaft übrigbleibt, welchen Sinn hatte dieser Versuch dann überhaupt?

Natürlich müssen politische Botschaften einfach und verständlich sein. Niemand braucht intellektualisierte Wahlplakate. Aber gerade Vorfeld-Akteure, die nicht auf Partei-Mechaniken angewiesen sind, müssten doch in der Lage sein, zu differenzieren. Jeder versteht den Dopamin-Schub, wenn ein Beitrag auf X/TikTok wieder durch die Decke geht. Aber wie bei einem Kind, das ständig noch mehr Schokoriegel in sich hineinstopfen würde, wenn es kann, ist „Impulskontrolle“ hier das richtige Stichwort. Was das Süßigkeiten-fressende Kind nicht kann, sollte der rechte Aktivist schon beherrschen.

Keine Patentlösungen

Politischer Erfolg ist nicht messbar. Nicht in Views, nicht in Likes und tatsächlich auch nicht in Umfrage- oder Wahlergebnissen. Wer das behauptet, hat meist ein Eigeninteresse daran, das nichts mit politischem Erfolg zu tun hat. Leider ist die Tatsache, dass politischer Erfolg nicht messbar ist, beinahe unvermittelbar. Für eine Partei erst recht, aber auch in der Szene der Rechtsaktivisten ist das Thema tabu. Nicht, dass sich jemand demotiviert fühlen könnte, da Klickzahlen nun mal für einen „Kick“ nach einer gelungenen Aktion sorgen. Persönlich glaube ich aber, dass diese Denke einen gegenteiligen Effekt erwirken wird: Egal wie lange es dauern mag, Wochen, Monate, Jahre, irgendwann wird der Punkt kommen, an dem man erkennt, dass der ganze Clickbait nichts ausgetragen hat. Und TikTok und KI-Kacheln nicht mehr waren als digitale Selbstbefriedigung.

Diese Kritik richtet sich nicht an die Verwendung der Technik per se, sondern an die Heilsversprechungen, die an sie geknüpft werden. Es gibt keinen „Game­chan­ger“. Der politische Kampf ist lang und hart und alles andere als erfolgversprechend. Aber er muss geführt werden. Mit allen Bandagen. Es gibt keinen geheimen „Cheatcode“, keine magische Abkürzung, mit der man diesen Vorgang bis zum Abspann vorspulen kann. Diese Prämisse, dieser Marathonlauf, ist der eigentliche Grund, wieso es das rechte Vorfeld überhaupt geben muss. Weil wir erst am Anfang eines Prozesses der politischen Machtübernahme stehen (und nicht an deren Ende), können wir nicht darauf vertrauen, dass alle Impulse von einer Partei kommen. Sondern wir brauchen Leute, Kollektive und Organisationen, die tiefer graben, Ideen vorbereiten und die vor allem bereit sind, den Faden der Ariadne über unerschlossenes Gelände zu verlegen, wohl wissentlich, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis jemand auf diesen Faden stößt, dankbar aufnimmt und mit der Hand an diesem silbrigen Gewinde den Weg durch den Irrgarten findet.

Wir werden viele Fäden auslegen müssen, sehr viele. Auf vielen Plattformen. Nicht jeder Faden wird gut versteckt sein müssen. Es wird Fäden geben, die jeder aufnehmen kann, wenn er will, und es gibt Fäden, die nur wenige finden oder bereit sind, aufzunehmen. Aber: Jeder Faden muss aus dem Labyrinth führen. Um von der mythologischen in die digitale Sprache zu wechseln: Die „Conversion“ muss gegeben sein. Gut, wenn ein Aktionsvideo viele Menschen erreicht. Wertlos, wenn das die einzige Funktion des Videos ist und darüber hinaus kein Erkenntnisgewinn erfolgt.

Get real! 

Mit den Worten „Es gilt, sich nicht nur mechanisch, sondern auch im Denken auszuloggen, nach draußen zu gehen und normal zu sein“ beschließt Nils Wegner seinen Kaplakenband Incel. Einen besseren Ratschlag kann man allen rechten Aktivisten nicht mit auf den Weg geben. Ich kann nur für mich sprechen, aber die (wenigen) sinnstiftenden Erlebnisse kann ich mir klar vor Augen führen. Sie sind nicht digital erlebt. Ich denke an Karsten Hempel, dessen Sohn von einem Migranten totgeprügelt wurde. Wenn ich mit Karsten telefoniere, weiß ich, was gut und richtig ist. Ich weiß, was ihm hoffnungsvolle Zuschriften bedeuten. Ich denke an den alten Jagdflieger, den zu treffen mir vergönnt war, und dass er mir erzählte, wie er 1945 vier Kameraden in seine einsitzige Focke-Wulf steckte, um sie noch irgendwie aus dem Kurlandkessel auszufliegen. Ich sehe seine Tränen. Was im Internet steht, kann manchmal wahr sein. Wahrhaftig zählen tun aber nur echte Dinge.


Zur Person:

Volker Zierke, Jahrgang 1992, ist ein junger Autor. Nach Schule und Abitur zog es den gebürtigen Schwaben als Zeitsoldat zur Bundeswehr, bevor er 2015 zur Deutschen Militärzeitschrift wechselte. Seit 2018 ist er als selbständiger Autor und Journalist in Dresden tätig.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.