Reisebericht: Albanien – ein Urlaubsparadies oder doch Entwicklungsland?
Der Urlaub in dem kleinen südosteuropäischen Land Albanien wird immer beliebter. Durch den Ausbau des Hotel- und Gaststättengewerbes kommen immer mehr Touristen in das Land. Damit kann in kürzerer Zeit zwar mehr Geld erwirtschaftet werden, langfristig werde damit aber der soziale Frieden gefährdet. Philipp Lemm war vor Ort.
Unter den Balkan- und Mittelmeerländern ist Albanien nicht ohne Grund ein weißer Fleck auf der Landkarte Europas. Um mein Wissen über einen Wikipedia-Artikel hinaus zu erweitern, bin ich für eine Woche dorthin gereist. Hat man sich erst einmal einen groben Überblick verschafft, könnte man sich auch in jedem anderen Land rund ums Mittelmeer befinden. Eine ähnliche mediterrane Vegetation und Tierwelt findet man auch in Italien oder Griechenland. Der Norden des Landes ist geprägt von den Ausläufern der Alpen, einer großen Artenvielfalt, überwiegend Nadelbäumen und einer geringen Bevölkerungsdichte. Die meisten Flächen sind sogar als Naturschutzgebiete ausgewiesen. Für Sportler, Wissenschaftler und Naturliebhaber ist dieses Gebiet eine wahre Schatztruhe.
Blickt man dagegen auf die – symbolisch gesprochen – südliche Hemisphäre des Landes, so findet man hügeliges, zerklüftetes und mit scharfkantigen Felsen durchsetztes Land vor. Die Vegetation ist karg und überwiegend von Hartlaubgewächsen geprägt, die Fauna besteht fast ausschließlich aus Nutztieren und streunenden Haustieren. Hier liegt auch der Schwerpunkt der menschlichen Besiedlung. Das Land grenzt an die Adria und das Ionische Meer und hat nur einen etwa 360 km langen felsigen Küstenstreifen. Aufgrund der Bodenbeschaffenheit, der Gesamtkonstellation der hiesigen Topographie und verschiedener anderer Einflussfaktoren ist es fast selbstverständlich, dass sich der landwirtschaftliche und industrielle Schwerpunkt im Süden des Landes befindet. Die Landwirtschaft hat hier in der Tat einen hohen Stellenwert und zeichnet sich vor allem für den Betrachter durch faszinierende Merkmale aus. Sie stellt in Europa eine Seltenheit dar. Die Struktur und Herangehensweise an den Ackerbau (wie auch an Fischfang und Viehzucht) ist weitgehend veraltet und im wirtschaftlichen Sinne ineffizient. Außer bei Privatpersonen oder vielleicht noch auf Biobauernhöfen ist diese Wirtschaftsweise bei uns in Deutschland so gut wie nicht mehr anzutreffen. Auf all meinen Streifzügen ist mir keine großflächige oder zusammenhängende Feldbewirtschaftung begegnet. Jedes noch so kleine, nutzbare Stück Land wird bewirtschaftet und befindet sich meist in Familienbesitz oder in der Hand von Kleinstbetrieben. Der primäre Zweck liegt hier meistens in der Selbstversorgung, dann erst in der Versorgung der lokalen Märkte oder entsprechender Stellen der Produktverarbeitung.
Es fehlt die politische Weitsicht
Positiv für die Bodenfruchtbarkeit und den Ertragsreichtum ist mit großer Wahrscheinlichkeit der relativ geringe Maschineneinsatz und die noch immer praktizierte, bei uns fast in Vergessenheit geratene Brandbewirtschaftung. Mangels zeitgemäßer technischer Voraussetzungen und einer strukturierten staatlichen und vor allem agrarpolitischen Führung besitzt diese Arbeitsform zwar eine wünschenswerte Nachhaltigkeit und erzeugt einen Einklang mit der Natur, aber wiederum ist durch diesen Stillstand keine Weiterentwicklung in einem der wichtigsten Wirtschaftszweige zu erwarten. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass Autarkie in grundsätzlichen Dingen immer positiv zu sehen ist. Ob im Normalzustand oder in Krisenzeiten, es verringert einfach die politische Abhängigkeit von anderen Staaten oder anderen einflussreichen Interessengruppen. Denn von Abhängigkeit kann dieses Land ein Lied singen. Ich möchte nicht zu weit in die Geschichte zurückgehen oder eine Chronologie aufstellen, aber die Zeiten, in denen Albanien sich als autonom bezeichnen konnte, sind eher selten. Sei es, dass es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Leibeigener des Osmanischen Reiches war, später an die Seite der Achsenmächte gebunden wurde oder danach bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion im „Bund sozialistischer Freunde“ stand. Erst in den 1990er-Jahren konnte sich das Land wirklich frei entfalten. Umso tragischer ist es, dass das vorhandene Potenzial bis heute ungenutzt bleibt. Es geht nicht darum, das eine Extrem durch das andere zu ersetzen. Was eine liberale Wirtschaft ausmacht, sehen wir am besten in unserem eigenen Land ...
Ein von allen Bindungen losgelöster freier Markt enthemmt und zersetzt alles Gewachsene und Natürliche. Das gesamte zwischenmenschliche Dasein wird zerfasert und determiniert, die Planwirtschaft hat die Menschen lange Zeit in eine sich nur langsam entwickelnde und überholte Haus- und Hofwirtschaft getrieben. Das kapitalistische Pendant wird ein noch instabiles und rückständiges Land in einen „Friss oder Stirb“-Modus versetzen. Der Boden, der die Menschen ernährt, und das auf so vielfältige Weise, muss weiterhin eine hohe Priorität haben und im Bewusstsein der Menschen verankert bleiben.
Auffallend ist die jüngste Statistik aus dem Jahr 2022, in der Albanien nur knapp zehn Prozent seiner Lebensmittel importieren musste. Der Export von Lebensmittelprodukten (zum Beispiel Wein oder Olivenöl) macht hingegen fast ein Viertel aus und hat somit eine signifikante Gewichtung am BIP. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass nach neuesten Zahlen sogar 40 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind. Was fehlt also wirklich, um diese schlummernde Energie für einen Aufschwung zu nutzen und gleichzeitig die Lebensbedingungen zu verbessern und darüber hinaus die Symbiose mit Naturschutz und Nachhaltigkeit zu erhalten? Die politische Weitsicht, dass es bundesweite und branchenübergreifende Standards geben muss. Schluss mit scheinbarer Beliebigkeit, Billiglohn und Auffangbecken für multinationale Konzerne. Durch ein kooperatives System kann zum Beispiel erkannt werden, wo es an der Basis fehlt und was gebraucht wird. Gleichzeitig werden an der Spitze staatliche Pläne und Ziele deutlich gemacht, mit denen die eigene Versorgung genau gesichert und auch die Wettbewerbsfähigkeit im Export durch Produkte mit hoher Nachfrage oder Überschussproduktion verbessert werden soll. Mit der Einführung von Genossenschaften können die nutzbaren und verfügbaren Ressourcen und alle für die Produktion notwendigen Kapazitäten für den Staat kurz- und langfristig erschlossen werden, eine Bestandsaufnahme ist unabdingbar. Eine genaue Erfassung aller Betriebe wiederum stellt sicher, dass auch traditionelle und Kleinstbetriebe nicht vom wirtschaftlichen Geschehen ausgeschlossen werden. Durch die Hervorhebung der sozial schwachen Regionen wird es möglich, die Investitionsmöglichkeiten zu intensivieren und sogar gegenüber der immer stärker werdenden Monopolstellung ausländischer Großkonzerne im Land zu fördern und zu bevorzugen. Mit dieser Taktik kann das Einkommensgefälle deutlich verringert werden.
Strukturschwache Regionen können durch die Bevorzugung bei der Auftragsvergabe verbessert werden, ebenso kann der Wirtschafts- und Finanzkreislauf kurzfristig stabilisiert werden. Es ist verständlich, dass ein bestimmtes Entwicklungsniveau nicht von heute auf morgen erreicht werden kann. Um das Gefälle zwischen Kern und Peripherie zu verringern, halte ich es für sinnvoll, bestimmte Regionen in gewerkschaftliche Organisationsformen zu überführen. In dieser Form können viele kleinteilige Betriebe und Einzelpersonen nicht mehr so leicht von größeren Konzernen geschluckt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit und der Zugang zu regionalen Märkten werden gesichert, Arbeitsplätze erhalten und ausgebaut und die Landflucht durch neue Perspektiven minimiert. Gleichzeitig kann die marode Infrastruktur verbessert werden, ein durchgängiger Zugang zu Energie und Kommunikation geschaffen werden, das Bildungsniveau zwischen ländlichen und städtischen Milieus angeglichen werden und Einrichtungen der Daseinsvorsorge eine höhere gesellschaftliche und monetäre Wertschätzung erfahren. Viele der aufgezeigten Probleme finden sich auch bei uns, mit dem Unterschied, dass wir – noch – über eine solide Basis verfügen, um bestimmte Szenarien und Schläge abzufedern und auszugleichen. Für Albanien sind diese Fragen jedoch existenzieller Natur, da es in vielen Regionen bereits an der Basis fehlt. Viele Reformen, Investitionen und Bauvorhaben sind sichtbar. Der politische Trend geht jedoch eher in Richtung eines Pro-EU-Kurses, der – wie viele andere Nachzüglerstaaten – auf Subventionen aus Brüssel hofft und dafür nationale Souveränität eintauscht.
Der albanische Lek als Landeswährung steht zum Euro im Verhältnis 1:100. Außer in der Gastronomie der größeren Städte konnte ich fast überall nur mit Bargeld bezahlen. Eine Kreditkarte ist für solche Reisen nicht verkehrt. Während Lebensmittel, alkoholische Getränke, Tabak und auch Restaurantbesuche günstig sind, zahlt man für einen Liter Super oder Diesel durchschnittlich zwei Euro. Eine Abendveranstaltung für zwei Personen kann schon mal 35 Euro kosten. Wenn man bedenkt, dass der öffentliche Nah- und Fernverkehr schlecht ausgebaut ist und viele Menschen auf ein eigenes Auto (oder einen Esel) angewiesen sind, ist das bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 400 bis 600 Euro eine ziemliche Diskrepanz.
Mafia als Teil der Regierungskoalition?
Durch persönliche Gespräche mit dem Kellner in meinem Hotel habe ich interessante Einblicke und Eindrücke über die sozialen Verhältnisse gewonnen. Es ist zum Beispiel auffällig, wie unterschiedlich die Löhne sind. In der Gastronomie und im Dienstleistungsbereich wird am meisten verdient (600 Euro und mehr), während in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Sicherheit und Justiz, Industrie und Landwirtschaft die Gehälter bei circca 150 bis 300 Euro liegen. Meine Beobachtungen und auch die Ergebnisse meines persönlichen Gesprächs hinterließen den Eindruck, dass es dem Land an Willen mangelt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich habe das Gefühl, dass mit dem Ausbau des Hotel- und Gaststättengewerbes zwar mehr Urlauber und damit mehr Geld in kürzerer Zeit erwirtschaftet werden kann, langfristig aber der soziale Frieden gefährdet wird und die Bereitschaft, Krisen zu begegnen, abnimmt. Als reiner Dienstleister, zwischen vielen sich derzeit verschärfenden geopolitischen Fronten, ist man als Land eben auch nur „Service-Leister“, „Service-Erbringer“, „Service-Erfüller“. Man ist abhängig von der Gunst Dritter, man symbolisiert keine Macht und keinen eigenen dominanten Willen mehr. Damit gibt man aber auch seinen Wert preis, verkauft sich und wird zum Spielball von Großkonzernen oder EU-Funktionären. Langfristig entsteht nur Schaden, weil das Land in einem Entwicklungsstau verharrt und die internen Machtkräfte an den falschen Schaltstellen liegen. Es ist eben nicht nur die desolate Politik, die solche Zustände begünstigt, sondern auch Korruption und Vetternwirtschaft, die sich in einem Netz mafiöser Strukturen spannen.
Abschließend wurde mir in einem leisen Gespräch mitgeteilt, dass Albanien „die Waschmaschine der Welt“ sei. Die meisten Restaurants, die ich hier sehe, dienen nur der Geldwäsche. In der Hafenstadt Durrës, in der ich mich aufhielt (zweitgrößte Stadt und einziger Industriehafen), wird der Import von Drogen, Waffen, Luxusgütern und Frauen für die Zwangsprostitution nach Europa über mafiöse Organisationen abgewickelt. Nun sollte man sich noch einmal den Abschnitt über die Gehälter in Erinnerung rufen. Ein Polizist verdient etwa 150 Euro im Monat, seine Fahrzeuge und Ausrüstung erscheinen oft in einem sehr veralteten und dürftigen Zustand. Da drängt sich die Frage auf: Kann ich von solchen Polizisten erwarten, dass sie mit dieser stiefväterlichen Rückendeckung ihres Dienstherrn freiwillig und unter Einsatz ihres Lebens und dem ihrer Familien den Kampf gegen organisierte und gut strukturierte Verbrechersyndikate aufnehmen und dabei einem inneren moralischen Kompass treu bleiben? Oder erscheint es unter dieser Prämisse verwunderlich, dass Zoll- und Grenzkontrollen bereits marginal erscheinen? Nicht umsonst ist Albanien das Einfallstor nach Europa.
Bereicherung oder Ballast?
Derzeit steht das Land noch auf der Liste der EU-Beitrittskandidaten. Aus meiner Sicht ist das für beide Seiten ein Desaster. Aus deutscher Sicht hatten wir schon bei der Aufnahme einiger süd- und südosteuropäischer Länder Zahnschmerzen. Der aktuelle Fall sollte uns alle alarmieren. Auf den ersten Blick mag es für Albanien vorteilhaft erscheinen, wenn die EU-Gesetzgebung als oberste Instanz greift. Langfristig wäre es politisch unklug, sich an diese Instanz zu ketten und nur einen modus vivendi anzubieten. Das Land hat im Prinzip offene Grenzen und steht vor vielfältigen Herausforderungen. Die jungen und gebildeten Schichten sehen sich mit niedrigeren Barrieren konfrontiert und wandern verstärkt ins Ausland ab, um sich dort als billige Arbeitskräfte zu verdingen. Hinzu kommen billige Dienstleistungen und Industrieprodukte, die beim Einkauf und der Beschaffung Vorrang haben und sich negativ auf unsere heimischen Unternehmen auswirken. Ebenso fallen überhöhte Kosten für Finanztransaktionen weg. Für einflussreiche Großkonzerne bietet das Land mit den lockeren Händen die Möglichkeit, diverse Umweltsteuern und allerlei andere neudeutsche Steuerkosten zu umgehen. Im „besten“ Fall siedeln sich deutsche Unternehmen gleich ganz an, um vor Ort auf Zweit- und Drittweltniveau zu wirtschaften. Albanien rekrutiert schon jetzt lieber viele Asiaten wie Inder oder Philippinos als Arbeitskräfte, weil sie für 100 Euro Monatslohn zu haben sind.
Was ich jedoch in Bezug auf Naturschutz und Umweltbewusstsein erlebt habe, hat mich sehr erschüttert. Der private Müll wird entweder irgendwo verbrannt oder auf zentralen Sammelstellen in den Dörfern und Städten abgeladen. Man kann sich das so vorstellen: Es stehen vielleicht vier bis sechs große, heruntergekommene Blechmülltonnen an einer Hauptstraße und dienen als erste Anlaufstelle für alle Privathaushalte und Geschäfte in einem bestimmten Umkreis. Sind diese überfüllt, wird der Müll (natürlich nicht getrennt) einfach daneben geworfen. Die Müllabfuhr sammelt nach einem festen Zeitplan alles von Hand ein. Verkehrs- und Wettereinflüsse sowie streunende Tiere und Bettler sorgen regelmäßig dafür, dass der Müll überall auf den Grünflächen, in den Flüssen oder im Meer landet. Es ist gang und gäbe, dass solche Länder den Müll der wohlhabenden Staaten gegen Entgelt aufnehmen und meist unsachgemäß entsorgen. Mit einem EU-Beitritt sehe ich diesbezüglich erst recht eine Zunahme der Problematik. Auch konnte ich im ländlichen Raum (unter Vorbehalt und persönlichem Verdacht) feststellen, dass ehemals staatliche Tiefpumpen von Privatpersonen trotz fehlender Qualifikation zur Förderung von Rohöl wieder in Betrieb genommen wurden. Überall sah ich laufende Förderpumpen auf Privatgrundstücken, die mit veralteter Technik und unzureichender Ausrüstung repariert wurden, wodurch nicht unerhebliche Mengen Erdöl auf Felder oder in Gräben gelangten. Durch die großen Vorkommen an Erdgas, Erdöl, Erzen und industriell nutzbaren Böden sehe ich einerseits ein Potenzial für dieses Land, weise aber nochmals auf die Gefährdung und Zerstörung von Flora und Fauna durch diese kopflose Politik hin.
Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, warum Albanien aufgenommen werden soll. Die fast unerschlossenen Bodenschätze sind eine gierige Fundgrube für globalistische Akteure und Brüsseler Technokraten. Dafür können als Ausgleich ruhig mal deutsche Steuergelder als Förder- und Subventionshilfe fließen. Zwar wird die Überwachung und Eindämmung krimineller Spiel- und Aktionsfelder erschwert; mangelhafte exekutive und judikative Institutionen lassen illegalen Migrationsströmen freien Raum ... aber immerhin kommen wir an billige Rohstoffe aller Art und dulden einen weiteren Ja-Sager und Gehilfen im Gefüge der europäischen Solidargemeinschaft. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, wenn das Land ein Balkanbündnis mit anderen Ländern auf ähnlichem Niveau und Stand bilden würde. So liegt der Fokus primär auf der Innenpolitik, stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe, bringt durch das heterogene Völkergemisch (ethnische Zusammensetzungen bestehen aus Griechen, Italienern, Serben, Mazedoniern, Montenegrinern) einen höheren Solidarisierungseffekt für die umliegenden Staaten und bildet durch kulturell ähnliche Gemeinschaften eine stärkere Identität. Es steht außer Frage, dass bei internationalen Herausforderungen und Visionen sowie bei externen Krisen solche Länder in das Boot der Diplomatie geholt werden müssen. Ob es um Umweltfragen, Naturkatastrophen, den Schutz der Außengrenzen, Remigrationskampagnen, Wirtschafts- und Energiefragen im Sinne einer gemeinsamen Nutzung, die Bekämpfung der internationalen Kriminalität oder Verteidigungsfragen etc. geht, eine Anbindung an die europäische Gemeinschaft ist hier unabdingbar. Um Europa in Zeiten weltpolitischer Unruhen als eigenständigen Machtblock zu formieren, bedarf es auch in Zukunft dieser heute noch rückständigen Länder. Nicht heute und im Zeichen des EU-Molochs, noch als Vasallen, sondern auf partnerschaftlicher Augenhöhe und kommender kontinentaler Willensbekundung.
Urlaubsparadies oder doch Entwicklungsland?
Abschließend kann ich Albanien für einen kurzen Abstecher empfehlen. Wer lebendige Geschichte erleben möchte und mehr sucht als Strand, 24-Stunden-Konsum im 5-Sterne-Hotel und getaktete Führungen durch festgelegte Sehenswürdigkeiten, ist hier genau richtig. Neben den Gedanken an die große Politik und das Zeitgeschehen habe ich selten so viele herzliche und bodenständige Menschen kennen gelernt. Durch die zum Teil noch von absoluter Armut betroffenen Menschen kristallisierte sich eine fast ekstatische Leidensfähigkeit heraus, die den Mangel an materieller Verfügbarkeit als schicksalhaft gegeben und für die Zwischenmenschlichkeit zweitrangig definiert. Gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen sind spannend zu beobachten. Es gibt zum Beispiel keine Kluft zwischen den verschiedenen Religionen. Überall gibt es Freundschaften und Partnerschaften zwischen katholischen/orthodoxen Christen und Muslimen. Ob junge Frauen in sommerlicher Kleidung oder ganz unter einer Burka verborgen, sie teilen sich den Gang auf der Flaniermeile, ebenso ist der gegenseitige Besuch heiliger Stätten kein Fremdwort. Auch als Urlauber trifft man auf Akzeptanz kultureller Andersartigkeit. Selbst in muslimisch dominierten Vierteln besteht für Frauen keine Gefahr, auf ihre weiblichen Attribute aufmerksam zu machen (die Nuancen der Sittlichkeit nicht zu vergessen).
Was ich allerdings als negativ anprangern muss, ist der Versuch vieler Einheimischer, sich zwanghaft den „westlichen“ Lebensstil anzueignen. Sei es der Kleidungsstil, das Protzen mit Marken- und Luxusartikeln oder die neumodische Architektur. Auf schizophrene Weise versucht man, die eigenen Identitäten und traditionellen Lebensweisen, die Albanien über Jahrhunderte geprägt hat, mit liberaler Verwässerung zu verbinden. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich dort nur einen Teil unseres gesamteuropäischen Kunstwerks gesehen habe, oder ob all das Negative deutsche Zukunftsmusik sein könnte.