„Als Rechter ist es nicht so einfach, einen Präsidenten zu wählen“ (1)
FREILICH sprach mit zwei französischen Patrioten über die Situation der konservativen und rechten Kräfte in Frankreich. Wir wollten von ihnen wissen, wo die Fraktionen heute stehen und wie sie sich beide die kurz- und mittelfristige Zukunft der Rechten in Frankreich vorstellen.
Dies ist der erste Teil eines dreiteiligen Interviews. Teil 2 und Teil 3 können hier oder hier nachgelesen werden.
Fast ein Jahr ist seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich vergangen. Es war eine Wahlsaison, in der eine neue rechte Gruppierung unter der Führung von Eric Zemmour entstand - identitär, gegen den großen Austausch und für die Remigration - und die dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, das sich stärker auf Fragen der Lebenshaltungskosten konzentrierte, neue Siege (zumindest auf legislativer Ebene) bescherte.
Während Macron erneut die Präsidentschaft errang, gewann der RN mehr Sitze als je zuvor in der Geschichte der Partei. Die Reconquête (R!) von Eric Zemmour konnte mit sieben Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen und durchschnittlich vier Prozent der Stimmen pro Wahlkreis bei den Parlamentswahlen nicht zulegen. Das ist zwar ein eher schwaches Ergebnis, aber angesichts des jungen Alters der Partei immer noch beeindruckend.
FREILICH sprach mit zwei Aktivisten der Studentengewerkschaft La Cocarde Etudiante, Rémy R. (23, Jurastudent) aus Savoyen und Quentin M. (21, Maschinenbaustudent) aus der Region Franche-Comté. Wir wollten von ihnen wissen, wo die Gruppen heute stehen und wie sie sich die kurz- und mittelfristige Zukunft der Rechten in Frankreich vorstellen. Sowohl Rémy als auch Quentin waren während der Parlamentswahlen 2022 als lokale Wahlkampfleiter für ihre jeweiligen Parteien tätig und spielen weiterhin eine aktive Führungsrolle in ihren lokalen Sektionen von La Cocarde Etudiante.
FREILICH: Beginnen wir mit Zemmour. War seine Kampagne ein Erfolg oder ein Misserfolg?
Quentin (R!): Ich bin der Reconquête beigetreten, weil man uns eine gewisse Gedankenfreiheit versprochen hat: Wir sollten unsere Meinung ohne Angst äußern können. Deshalb werde ich keine binären Antworten geben. Denn was heißt Erfolg in der Politik? Es bedeutet, gewählte Vertreter zu haben. Unter diesem Gesichtspunkt kann man natürlich nicht von einem Erfolg sprechen, weder bei den Präsidentschaftswahlen noch - was eigentlich viel schlimmer ist - bei den Parlamentswahlen, bei denen kein einziger Vertreter der Reconquête ins Parlament gewählt wurde.
Das Problem von Eric Zemmour ist, dass er in den Umfragen sehr gut abgeschnitten hatte und zwischen 15 und 17 Prozent lag. Der Absturz war dann natürlich schmerzhaft. Aber für eine Partei, die es erst seit ein paar Monaten gibt und die es geschafft hat, innerhalb von vier Monaten über 100.000 Mitglieder in ganz Frankreich hinter sich zu versammeln und bei den Wahlen sieben Prozent zu erreichen - mehr als die beiden traditionellen Altparteien in Frankreich, die Sozialistische Partei und Les Républicains -, ist das immer noch ein Erfolg.
Die Reconquête erreichte bei ihrer ersten Wahl immerhin den vierten Platz und setzte sich damit gegen Parteien durch, die seit Jahrzehnten in der französischen Parteienlandschaft verankert sind. Auch das Medieninteresse war groß: Es wurde viel über Zemmour, über den „Großen Austausch“ und über Identität gesprochen. Das waren, ich will nicht sagen Tabus, aber Dinge, die vorher nicht unbedingt so öffentlich diskutiert wurden.
Rémy (RN): Es ist nicht so einfach, einen Präsidenten zu wählen, wenn man rechts ist. Frankreich hat noch nie einen wirklich rechten Präsidenten gehabt. Aber man kann Eric Zemmour dazu gratulieren, dass er einen Teil der rechten Wählerschaft, die nicht mehr an die Politik geglaubt hat, mobilisieren konnte. Die sieben Prozent für Zemmour kommen nicht von ungefähr. Sie setzen sich aus all jenen Wählern zusammen, die sich von niemandem vertreten fühlten und die dank Zemmour wieder Lust bekommen haben, wählen zu gehen und ein bisschen an die Rechte in Frankreich zu glauben. Dazu kann man der Reconquête nur gratulieren.
Quentin (R!): Und ich würde auch sagen, dass Eric Zemmour und Marine Le Pen überhaupt nicht die gleiche Wählerschaft haben. Marine Le Pen spricht eher eine Wählerschaft an, von der man gar nicht erwartet, dass sie das ist, was wir als rechts bezeichnen, nämlich Handwerker oder Arbeiter und die Mittelschicht. Sie hat sich in ihrem Wahlkampf auf das Thema Kaufkraft konzentriert, was bei ihnen gut angekommen ist.
Die Wähler von Eric Zemmour sind, glaube ich, eher etwas liberalere, etwas bürgerlichere Leute, die früher traditionell die Republikaner oder Marine Le Pen gewählt haben und die etwas radikalere Positionen in der Einwanderungsfrage gesucht haben. Aber Eric Zemmour hat es nicht geschafft, diese breitere Wählerschaft zu mobilisieren, die die Mehrheit in Frankreich ausmacht und die jetzt auf der Seite des RN steht. Ich denke, das war eine Hürde für Zemmour, die er nicht überwinden konnte.
Rémy (RN): Dem stimme ich voll und ganz zu. Die Wähler, die von der Politik etwas enttäuscht waren, fühlten sich von Zemmours Identitätspolitik angezogen. Und es sind in der Tat diese Wähler, die in der Frage der Identitätspolitik nicht mehr von Le Pen überzeugt waren und deshalb für Zemmour gestimmt haben. Dennoch hat Le Pen gut daran getan, die Kaufkraft so stark zu thematisieren. Denn angesichts der Inflation oder der aktuellen Rentenreform sehen wir, dass diese Wählerschaft auch vom RN vertreten werden muss.
Quentin (R!): Ja, das ist richtig. Es handelt sich um eine Wählerschaft, die ursprünglich eher links eingestellt war, also die „linke Arbeiterklasse“, und die jetzt ganz auf die Seite des RN gewechselt ist.
Rémy (RN): Tatsächlich gelang es Marine Le Pen, einen Teil der linken Wählerschaft der Sozialistischen Partei und anderer linker Parteien für sich zu gewinnen, während Eric Zemmour die enttäuschten Wähler des RN und der Republikaner für sich gewinnen konnte.
Ihr stimmt in vielen Punkten überein. Das ist nicht das, was wir gewohnt sind, wenn die Delegierten von RN und R! miteinander reden. Auf Twitter und in den Medien sehen wir oft Streit und Verachtung.
Quentin (R!): Zunächst einmal spiegelt Twitter nicht unbedingt die allgemeine Meinung wider, sondern eher den radikalsten Diskurs zu diesen Themen. Ich glaube, dass es unter den Wählern von Le Pen viele Leute gibt, die nicht grundsätzlich gegen Zemmour sind, die ihn aber ab einem gewissen Punkt einfach zu radikal finden oder die einfach Le Pen wegen ihrer Haltung zur Kaufkraft vorgezogen haben. Dennoch gibt es immer wieder Animositäten zwischen den Parteien. Bei der Cocarde erleben wir das nicht.
Rémy und ich sind beide in diesem Syndikat, wo man im Allgemeinen für eine gewisse „Vereinigung“ der Fraktionen ist. Aber es gibt immer etwas, was die eine Seite der anderen vorwerfen kann. Die Parteien haben nicht dasselbe Programm. Zemmour ist etwas liberaler, Le Pen eher „protektionistisch“. Es gibt also schon Feindseligkeiten, wenn man so will. Aber ich glaube nicht, dass das repräsentativ für die Mehrheit der Meinungen in den beiden Parteien ist.
Rémy (RN): Das ist richtig. Ich denke, die Uneinigkeit ist eher auf nationaler als auf lokaler Ebene zu suchen. Es wäre gut gewesen, wenn alle an einem Strang gezogen hätten. Aber wenn Zemmour nicht angetreten wäre, hätte es dieses Jahr nicht so viele rechte Wähler gegeben. Andererseits gibt es auf lokaler Ebene keinen wirklichen „Krieg“ zwischen den verschiedenen Gruppen. Das heißt, dass die Aktivisten der RNJ (RN-Jugend) nicht sagen: „Oh, schaut mal, die Jungs von Zemmour haben hier Plakate aufgehängt. Schnell, hängen wir unsere Plakate auf“.
Dank der Cocarde verstehe ich mich sehr gut mit der RNJ, der Generation Z (R!-Jugendbewegung) und anderen Gruppen junger Patrioten oder Souveränisten. Ich glaube, dass die Feindseligkeiten eher auf nationaler Ebene zu finden sind – um eine Bipolarität zwischen diesen beiden Parteien darzustellen – als auf lokaler Ebene. Nüchtern betrachtet gibt es also keinen wirklichen Kleinkrieg, zumindest heute nicht.
Quentin (R!): Ich kann Ihnen ein Beispiel geben: Ich bin Leiter der Cocarde in Belfort und gleichzeitig verantwortlich für die Generation Z. In meiner Sektion der Cocarde gibt es auch eine Person, die für die lokale RNJ zuständig ist und mit der ich mich sehr gut verstehe. Ich treffe mich auch mit Leuten vom RN usw. Auf lokaler Ebene und in den Kleinstädten gibt es eigentlich keine Probleme oder Feindseligkeiten. Aber es stimmt, dass es auf der Führungsebene manchmal zu Missverständnissen kommen kann, auch weil man sich im Wahlkampf gegenseitig die Stimmen wegnimmt.
Rémy (RN): Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass in Savoyen der Kandidat des RN bei den Parlamentswahlen nur knapp den Einzug in den zweiten Wahlgang verpasst hat, weil der Kandidat der R! die Stimmen bekommen hat. Es wäre übertrieben, von Hass zu sprechen, aber eine gewisse Wut ist auf nationaler Ebene durchaus vorhanden. Aber unter den Mitgliedern der Jugendbewegungen gibt es keine Probleme.
Das ist das Gute an der Cocarde: Wir sind gezwungen, mit allen Gruppen zusammenzuarbeiten. Wir sind uns alle bewusst, dass wir im Grunde für das Gleiche kämpfen, nämlich für Frankreich und für das, was wir in Frankreich zurückgewinnen wollen. Wenn man also klug ist, legt man all diese Feindseligkeiten beiseite und arbeitet mit den Gruppen zusammen.
Was denkt ihr, haben die Parteien seit den Wahlen 2022 gelernt? Gibt es bereits Anzeichen dafür, dass sie etwas gelernt haben?
Quentin (R!): Ich glaube, dass ein Bündnis zwischen den Parteien kurzfristig nicht sehr praktikabel ist. Abgesehen von drei Nachwahlen finden im Moment keine Wahlen statt, auch nicht im nächsten Jahr. Erst in drei Jahren, also 2026, wird wieder gewählt. Aber langfristig gibt es eine Chance, denke ich. Ich hoffe auch, dass es zu einem Bündnis kommt und wir eine Art NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion) der Rechten bilden können.
Das könnte sehr gut funktionieren. Ich denke, wir würden im ersten Wahlgang 35 bis 40 Prozent erreichen. Das wäre in Frankreich ein Dammbruch. Wenn das eines Tages wirklich passieren würde, wäre das bemerkenswert. Denn so etwas haben wir noch nie erlebt und es wäre letztlich auch die sogenannte „extreme Rechte“, die dann 2027 oder 2032 an die Macht käme.
Rémy (RN): Wie dem auch sei, sobald es ein Bündnis gibt, haben die Wähler, die Zemmour, Le Pen oder wen auch immer wählen wollen, keine Wahl mehr, und dementsprechend würden sie mit Sicherheit sehr gute Ergebnisse erzielen. Für die französische Politik wäre das ein Geschenk des Himmels, vor allem auf lokaler Ebene. Denn die Kommunalwahlen stehen vor der Tür und man braucht Zeit, um sich darauf vorzubereiten.
Es dauert Jahre, Listen aufzustellen. Aber jetzt wäre der Moment zu sagen: „Bei den Parlamentswahlen haben wir Mandate verloren, weil wir uns nicht zusammengeschlossen haben“. Warum also nicht über Bündnisse auf lokaler Ebene nachdenken, um in den großen Städten starke Listen aufzustellen und Stadträte oder sogar rechte Bürgermeister in Frankreich zu stellen?
Aber das ist eine Strategie für die lokale Ebene. Auf nationaler Ebene scheinen wir von dieser Art der Konsolidierung weit entfernt zu sein. Was denkt ihr, wie werden die Parteien auf nationaler Ebene vorgehen, wenn sie ihre Lehren aus dem Wahlkampf 2022 gezogen haben?
Quentin (R!): Ich stimme zu, dass ein Bündnis auf Führungsebene im Moment überhaupt nicht möglich ist und auch nicht angestrebt wird. Es wird von beiden Seiten nicht in Betracht gezogen, vor allem von Seiten des RN, der die Kandidatur von Eric Zemmour ziemlich schlecht aufgenommen hat. Ich denke, der RN wird weitermachen wie bisher. Meiner Meinung nach sollte die Veränderung eher von Eric Zemmour kommen, denn die Reconquête hat bei den Parlamentswahlen im Durchschnitt vier Prozent bekommen, was relativ wenig ist.
Die meisten Kandidaten haben nicht einmal ihre Wahlkampfkosten erstattet bekommen. Ich weiß also nicht genau, was danach passieren wird, aber ich denke, es wird eine Veränderung geben. Nächstes Jahr sind Europawahlen, und ich weiß, dass jede Partei eine Liste aufstellen wird. Ich gehe davon aus, dass die Reconquête nur vier bis fünf Prozent bekommen wird, wenn sich nichts ändert. Aber die meisten Sitze werden an den RN gehen, der schon bei den letzten Europawahlen sehr gut abgeschnitten hat.
Rémy (RN): So ist es. Im Moment bleiben beide Parteien ihrer Linie treu - sie bleiben getrennt. Aber die Europawahlen und ihr Ausgang werden in der Tat von großer Bedeutung sein. Je nachdem, wie viele Sitze die beiden Parteien erringen, wird sich die Frage nach einem Bündnis zumindest für die Zukunft stellen. Wenn zum Beispiel der RN viele Sitze gewinnt, wird er keinen guten Grund sehen, später ein Bündnis mit Eric Zemmour einzugehen. Wenn aber beide Parteien bei den Europawahlen eine Niederlage erleiden, dann wird sich die Frage nach einem Bündnis sehr wohl stellen. Aber im Moment, also wenn man sich die aktuelle Situation und die Ergebnisse der letzten Europawahlen anschaut, vor allem aber die Ergebnisse der Parlamentswahlen 2022, dann ist es verständlich, dass man im Moment überhaupt nicht an ein Bündnis denkt.
Der zweite Teil des Interviews wird in den nächsten Tagen veröffentlicht.
Zu den Personen:
La Cocarde, die gegen den Linksruck an den Universitäten kämpft, besteht aus Mitgliedern aller Fraktionen der patriotischen Rechten in Frankreich. Unsere Interviewpartner Rémy und Quentin waren während der Parlamentswahlen 2022 als lokale Wahlkampfleiter für ihre jeweiligen Parteien tätig und haben weiterhin aktive Führungsrollen in ihren Ortsverbänden von La Cocarde Etudiante inne.
Die Übersetzung besorgte Yannick Gregory.
Twitter Rémy: https://twitter.com/RuerRemy
Twitter Quentin: https://twitter.com/Quentin_1er
Twitter La Cocarde Étudiante: https://twitter.com/cocardeetud
Instagram La Cocarde Étudiante: https://www.instagram.com/cocardeetudiante