Exklusiv: Hamburger Justiz in linkem Würgegriff? E-Mail-Leak offenbart radikale Schieflage
Anfang Februar sollte in Hamburg eine Podiumsdiskussion stattfinden, zu der auch ein AfD-Vertreter eingeladen war – doch sie wurde abgesagt. Brisante interne E-Mails von Hamburger Juristen, die FREILICH exklusiv vorliegen, zeigen den wahren Grund dafür und werfen zudem die Frage auf, ob man noch an die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt glauben kann.
Mit der Feststellung, dass die ersten guten Vorsätze bereits über Bord geworfen seien, erinnert Oberstaatsanwalt Sebastian K. seine Kollegen am 20. Januar 2025 per Rundmail an eine bevorstehende Podiumsdiskussion unter dem Titel „Rechtsstandort Hamburg – Was ist er Hamburg wert?“ im Hamburger Ziviljustizgebäude. Anlass ist die für den 2. März 2025 angesetzte Bürgerschaftswahl. Auf der Teilnehmerliste stehen Vertreter aller in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien, darunter auch der Jurist Dr. Alexander Wolf, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der dortigen AfD-Fraktion.
Die joviale Erinnerung, die K. an die E-Mail-Verteiler der Hamburger Staatsanwaltschaften und Gerichte schickt, stößt jedoch auf wenig Gegenliebe. Vorwürfe und Drohungen prasseln auf den Oberstaatsanwalt ein, der die Podiumsdiskussion als Co-Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins geplant hatte. Schließlich muss K. nachgeben – die für den 6. Februar angekündigte Podiumsdiskussion wird abgeblasen.
Bestürzung über Teilnahme der AfD
Das Signal zum Angriff gibt am 28. Januar keine einfache Beamtin im Justizbereich, sondern Laura Sch., Richterin am Landgericht. Während Sch. ihre Zeilen tippt, wälzen sich Protestmassen gegen die AfD durch die Straßen Hamburgs. Die Polizei spricht von 60.000 Demonstranten. Sch. schreibt, dass sie die Einladung einer „in Teilen gesichert rechtsextrem[en]“ Partei bestürzend finde. Die AfD Hamburg kokettiere mit Slogans, die an Losungen der SA erinnerten, so die Richterin. Auf keinen Fall dürfe man der AfD im Wahlkampf Beachtung schenken. Das sei nicht der geeignete Zeitpunkt, „falls es einen solchen überhaupt gibt“. Sie könne nicht begreifen, dass der Hamburgische Richterverein der AfD erlaube, „gleichberechtigt mit Vertreter*innen demokratischer Parteien“ aufzutreten. Zudem sei AfD-Redner Wolf Mitglied einer Burschenschaft, die vom bayerischen Geheimdienst beobachtet werde.
Am selben Tag beantragt die Union im Bundestag als Reaktion auf das Messerattentat von Aschaffenburg eine Wende in der Migrationspolitik. Der Antrag erhält mit den Stimmen der AfD eine knappe Mehrheit. Das Bröckeln der Brandmauer löst in weiten Teilen der Republik Entsetzen aus.
Linke und Grüne sagen Teilnahme ab
Am 29. Januar schreitet die Linken-Frau Carola Ensslen zum holzvertäfelten Rednerpult der Hamburger Bürgerschaft. Eben wurde dort der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht. Die Geschichte des Holocaust, behauptet sie, sei dabei, sich zu wiederholen. Ensslen meint, die Ursache dieser Entwicklung sitze zu ihrer Rechten. Dabei gestikuliert sie aufgeregt in Richtung AfD-Fraktion. „Demokrat:innen dürfen rechter Hetze keinen Raum geben“, fordert die Linke, die auf der Podiumsdiskussion gegen Alexander Wolf hätte antreten sollen.
Nach der Bürgerschaftsdebatte wendet sich die Grünen-Frau Lena Zagst betont aufgewühlt an ihre Instagram-Follower. Sie sei fassungslos, dass der Unions-Antrag mit den Stimmen der AfD im Bundestag angenommen wurde. Doch verzagen wolle Zagst nicht. Sie wolle ein Zeichen setzen. Übermorgen werde sie, die ebenfalls zur Podiumsdiskussion eingeladen war, an der „Menschenkette gegen Rechtsextremismus“ teilnehmen.
Aus Protest gegen die Einladung des AfD-Politikers Alexander Wolf sagen Zagst und Ensslen kurz darauf ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion ab. Wolf äußert gegenüber FREILICH die Vermutung, dass dadurch politischer Druck auf die Veranstalter ausgeübt worden sein könnte. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem Hamburgischen Anwaltverein schreibt der Hamburgische Richterverein, dass kurzfristige Absagen dazu geführt hätten, dass die Podiumsdiskussion nicht habe stattfinden können.
Richter bezeichnet AfD als „Faschisten“
Der schrille Ton der Brandmauerbefürworter hallt jetzt auch immer häufiger im E-Mail-Verkehr der Hamburger Justizbeamten wider: Amtsrichter Stephan Sch. behauptet, CDU-Chef Friedrich Merz mache „gemeinsame Sache mit den Faschisten“. Union und AfD planten, ein „ausländerfeindliches und wahrscheinlich rechtswidriges Gesetzesvorhaben“ in den Bundestag einzubringen. Gemeint ist das Zustrombegrenzungsgesetz. Wegen der Abwesenheit von FDP- und Unions-Politikern findet es bei der Abstimmung schließlich keine Mehrheit. Auf eine Diskussion mit dem AfD-Politiker Wolf dürfe man sich keinesfalls einlassen: Denn „Faschisten und Rechtsextreme wie die AfD“, meint der Richter, hätten kein Interesse an einer „Diskussion in der Sache“. Wohlgemerkt: So äußert sich ein deutscher Richter, der zur richterlichen Neutralität und neutralen Amtsführung verpflichtet ist – es geht nicht um nüchterne Verwaltungsbeamte der Bürokratie, sondern um entscheidende Akteure der Justiz, die über Recht und Ordnung entscheiden. Andere Hamburger Juristen werden sich im Verlauf der Diskussion noch radikaler äußern.
Alexander Wolf bezeichnet den Faschismusvorwurf gegenüber FREILICH als „Absurdität“. Die Behauptung, die AfD sei undemokratisch, erwecke Zweifel am „geistigen Gesundheitszustand“ der Urheber derartiger Aussagen.
Oberstaatsanwalt Michael A. zeigt sich „sehr erschrocken“ über die Einladung an den AfD-Politiker Wolf. Ihm fehlten die Worte, dass sich kurz nach dem 80. Holocaust-Gedenktag im Bundestag „Rechtsextreme jubelnd in den Armen“ liegen. Dass die Regenbogenfahne aus „Gründen der Neutralität“ (Anführungszeichen von A., Anm. d. Verf.) nicht mehr vor Hamburger Gerichten gehisst werde, habe ihn bereits irritiert. Als private Organisation, so A., sei der Hamburgische Richterverein nicht der Neutralität verpflichtet. Gegnern des Rechtsstaats wie der AfD dürfe man keine Gelegenheit geben, ihre „häufig gelogenen“ Ansichten in den Räumen der Hamburger Justiz zu verbreiten. Die Frage, ob er Beispiele für die Lügen der AfD nennen könne, lässt A. unbeantwortet.
Keine neutrale Justiz?
Amtsrichter Stephan Sch. kann der Forderung nach einer unpolitischen Justiz ebenfalls wenig abgewinnen: „Aber seit wann ist die Interessenvertretung der Richter:innen und Staatsanwält:innen unpolitisch?“, schreibt er. Überparteilichkeit bedeute seines Erachtens nicht, „unpolitisch zu sein oder keine Partei zu ergreifen für den Rechtsstaat, die Menschenrechte und die Demokratie“. Der Schutz von Menschenrechten und Grundfreiheiten zähle nach seinem Selbstverständnis auch zu den Zielen des Deutschen Richterbundes, dem der Hamburgische Richterverein angehört. „Inwieweit dieses Ziel damit vereinbar sein soll, den Rechtsextremen und Faschisten der AfD die gleiche Bühne zu bieten wie den Vertretern der Parteien, die auf dem Fundament der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, erschließt sich mir nicht.“
Amtsrichterin Claudia D. mache die Einladung an die AfD „erschüttert und traurig“. Sie schließe sich den Positionen ihrer Kollegen Laura Sch., A., Mona P. und Stephan Sch. „vollumfänglich“ an. Die Richterin droht Stephan K. damit, ihre Mitgliedschaft im Hamburgischen Richterverein zu überdenken.
Vereinsmitgliedschaft als „Gewissensfrage“
Auch der Familienrichter Bardia R. verbindet seine Teilnahme an der E-Mail-Debatte mit einer subtilen Drohung: „Für mich als Mann, der derzeit zum Judentum konvertiert, stellt sich hier eine sehr persönliche Gewissensfrage, ob ich dem Verein weiter angehören will.“ Er wolle den „Schabbat nutzen“, um in den nächsten Tagen eine Entscheidung zu treffen. In einer TV-Sendung hatte sich R., der die deutsche und iranische Staatsbürgerschaft besitzt, Mitte Januar dagegen ausgesprochen, Doppelstaatern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Denn dadurch würde das „Gleichheitsversprechen“ des Grundgesetzes verletzt. In der internen E-Mail-Debatte um die Einladung der AfD erklärt R. hingegen, dass ihn die Forderung des Hamburgischen Richtervereins nach Gleichbehandlung politischer Parteien nicht überzeuge.
Oberstaatsanwältin P. schreibt, man mache es sich zu einfach, wenn man die Teilnahme der AfD mit dem Gebot der Überparteilichkeit rechtfertige: „Die Justiz ist diesbezüglich nicht neutral, sondern aufgerufen, sich aktiv für die Demokratie einzusetzen“, so P. Man beachte: Hier spricht eine Vertreterin des Rechtsstaates und damit eine Akteurin mit großer Verantwortung, denn ihr Handeln kann harte Konsequenzen wie Verurteilungen zu Haftstrafen und vieles mehr nach sich ziehen.
Als einer der wenigen widerspricht Amtsrichter Andreas Sch. der Politisierung der Dritten Gewalt durch die Oberstaatsanwältin. Das Grundgesetz stelle die Parteien in Artikel 23 unter besonderen Schutz. Zudem sei der Hamburgische Richterverein kein „Kaninchenzüchterverein“. Als Vereinigung von Amtsträgern müsse der Richterverein die verfassungsmäßig gebotene Toleranz auch gegenüber „abscheulichen politischen Standpunkten“ üben.
Verweis auf gemeinsame Erklärung
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den genannten Personen nicht um einfache Angestellte in kleinen Kanzleien handelt, sondern sich darunter auch Oberstaatsanwälte befinden, fragte FREILICH bei der Hamburger Justiz nach, wie sie die Forderungen nach einer Ungleichbehandlung der AfD vor dem Hintergrund der beamtenrechtlichen Grundpflicht zur Unparteilichkeit und Gerechtigkeit nach § 33 des Beamtenstatusgesetzes bewerte. Die Pressestellen des Oberlandesgerichts Hamburg und der Justizbehörde verweigerten eine Antwort. Sie verwiesen stattdessen auf den Hamburgischen Richterverein. FREILICH betonte daraufhin, dass die thematisierten Äußerungen mit amtlichen E-Mail-Adressen der Hamburger Gerichte und Staatsanwaltschaften getätigt worden sind. Zudem wiesen wir darauf hin, dass viele Äußerungen von Personen stammen, die nicht Mitglied im Hamburgischen Richterverein sind. In beiden Fällen lag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Recherche noch keine Antwort auf unsere Nachfragen vor.
Von Sebastian K. wollte FREILICH wissen, wie er seine intern geäußerte Ansicht begründe, dass ein Ausschluss der AfD nicht mit der „gebotenen Überparteilichkeit des Hamburgischen Richtervereins“ in Einklang zu bringen wäre. Als einer der führenden Akteure des Hamburgischen Richtervereins verwies K. auf eine gemeinsame Erklärung mit dem Co-Veranstalter, dem Hamburgischen Anwaltverein. Danach habe man sich von einer Einladung aller in der Hamburger Bürgerschaft vertretenen Parteien einen Beitrag zum „demokratischen Diskurs“ erhofft. K. widersprach einer Veröffentlichung seiner Äußerungen im dienstlichen E-Mail-Verkehr über die Podiumsdiskussion mit der AfD „ausdrücklich“. Die Echtheit der geleakten E-Mails bestritt er nicht.
Zweifel an Unparteilichkeit
Der AfD-Politiker Alexander Wolf ist der Auffassung, dass die obigen Äußerungen Zweifel an der Unparteilichkeit einiger Hamburger Richter aufkommen lassen. Er betont, dass Mitglieder der AfD, die als Prozesspartei solchen Richtern gegenüberstehen, diese wegen Befangenheit ablehnen können. Dessen waren sich offenbar auch einige der Amtsträger bewusst, die sich am E-Mail-Verkehr über die Podiumsdiskussion beteiligten. Ein Verwaltungsrichter und eine Amtsrichterin empfahlen, die Diskussion auf den Verteiler des Hamburgischen Richtervereins zu beschränken. Dem stimmte ein Generalstaatsanwalt zu: „Ja, genau. Es handelt sich hier immerhin um einen dienstlichen Account.“
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl und in einer Phase, in der in Deutschland von vielen Seiten immer vehementer ein Verbot der AfD gefordert wird, wirft der Einblick in den E-Mail-Verkehr und damit in die Haltung einiger hochrangiger Richter und Staatsanwälte ein äußerst fragwürdiges Licht auf die angebliche Unparteilichkeit der Justiz im Land.