Kolumne: Wenn Türkise als Grüne aus Wien zurückkommen

Was vor wenigen Monaten für viele noch als unvorstellbar galt, ist nun Realität: Die türkise ÖVP, welche mit der Fortsetzung eines Mitte-Rechts-Kurses warb, verhandelt mit den Grünen über eine Koalition.
Julian Schernthaner
Kommentar von
13.11.2019
/
4 Minuten Lesezeit
Kolumne: Wenn Türkise als Grüne aus Wien zurückkommen

Bild Kurz (2016): Dragan tatic / Rat Brüssel via Flickr [CC BY 2.0] / Bild Wöginger (2017): Hosi4b via Wikimedia Commons [ (beide freigestellt) / Hintergrund Grünen-Plakate: Manfred Werner – Tsui (own work) via Wikimedia Commons [CC BY-SA 3.0] (Bildausschnitt) / Collage: Die Tagesstimme.

Was vor wenigen Monaten für viele noch als unvorstellbar galt, ist nun Realität: Die türkise ÖVP, welche mit der Fortsetzung eines Mitte-Rechts-Kurses warb, verhandelt mit den Grünen über eine Koalition.

Kommentar von Julian Schernthaner.

Eigentlich waren sich die meisten Beobachter bereits vor dem Urnengang einig, was nach der Wahl passieren würde. Kurz würde eine schwächere FPÖ noch einmal ins Boot holen, diese vielleicht um ein paar Kernressorts kastrieren. Der junge Altkanzler sprach von einer Fortsetzung seines Weges und die Freiheitlichen plakatierten eine Neuauflage. Die Warnungen Hofers vor einer türkis-grünen Koalition wurden als Wahlkampfgetöse belächelt.

Die Utopie wird zum greifbaren Szenario

Dann kam der Wahlsonntag: Die Blauen brachen um fast zehn Prozent ein, ein Resultat eines absoluten Seuchenwahlkampfes. Die Partei lavierte zwischen Hofer-Kuschelkurs und knallharter „Law & Order“-Politik von Kickl herum. Dann mischte sich ein Spesenskandal und die Verwendung patriotischer Akteure als Billardkugel zur Distanzierung auf Zuruf zur Unzeit dazu. Am Ende rannte jeweils eine Viertelmillion zum ehemaligen Koalitionspartner beziehungsweise blieb zuhause.

Es soll hier allerdings gar nicht so sehr darum gehen, welche Fehler die FPÖ zu dieser Wahlschlappe brachten – nahm sie sich doch daraufhin ohnehin selbst aus dem Koalitionspoker. Sondern darum, was Österreich ins Haus steht. Zwar galt eine türkis-grüne Koalition selbst am Wahlabend noch eher als Spinnerei von ein paar durchgeknallten Journalisten und Politologen. Mit etwas Pech liegen aber Anschober und seine abgelehnten Lehrlinge anstatt Kickl und sein Ausreisezentrum unter dem Weihnachtsbaum.

Ex-blaue Wähler wollen keine ‚Linkswende‘

Wirklich niemand wird glauben, die Viertelmillion, welche aus dem blauen Lager diesmal für Kurz votierten, hätte sich davon erhofft, dass das neue Türkis einen etwas grüneren Farbton bekommt. Und wie hätten sie auch sollen: Beschwörte man doch die Stärkung der eigenen Identität als höchste Priorität. Bei der Rieder Messe trällerte August Wöginger auch, dass er nicht wolle, dass seine Kinder als Grüne aus Wien zurück kämen.

Nun sitzt er mit Hebein, der am linken Rand anstreifenden Chefin der am weitesten links stehenden Landesgruppe der linkesten Parlamentsfraktion am Verhandlungstisch, um über Soziales zu beraten. In der illustren Runde befindet sich auch Sigrid Maurer, welche eine österreichische Identität jenseits des Übergenusses von Schnitzel einst infrage stellte. Perfekte Vorzeichen also, dass Wögingers zur VP-Wahl verdonnerte Kinder diesen aufgrund der anstehenden Bescherung daheim gar nicht mehr rein lassen.

Türkise Mitte-Position als zweischneidiges Schwert

Aber so unbegreiflich es scheint: Es zeigt auch die Wandelbarkeit der ÖVP. Als deklarierte „Mitte-Partei“ kann sie mal auf beide Seiten ausschwenken, ohne ihre Authentizität zu verlieren. Diese durch unzählige Bünde gestützte Inhaltsleere galt stets als Erfolgsmodell. Man konnte vor der NEOS-Gründung jene urbanen Linksliberalen einfangen, denen die Grünen zu utopisch waren. Und seit zwei Jahren bedient man vermehrt seine konservativen Wähler, welche zuvor drohten, zu den Blauen zu laufen.

Gleichzeitig bedeutet diese Offenheit nach beiden Seiten eben auch, nach beiden Seiten auslaufen zu können – gerade, wenn man fliegend von einer Weltanschauungspartei zur anderen wechselt. Denn wie Wöginger etwa in seiner Innviertler Heimat, vor Kurz stets blaue Hochburg und auch Hort des konservativen ÖVP-Parteiflügels, vermitteln möchte, wieso er mit den Grünen im Gepäck heimkehrt, fragt sich hier am Stammtisch sowieso jeder.

FPÖ darf nicht zu lüstern hoffen

Egal, ob bereits in den Verhandlungen oder während der Zusammenarbeit – eine türkis-grüne Regierung wird scheitern. Die Menschen im Land wollten vor zwei Jahren eine konservativ-patriotische Wende. Sie möchten nicht plötzlich wieder über Gendersterne, Verbote und Abschiebestopps reden. Und: Spätestens an der Realität – Stichwort neue Balkanroute – wird sich eine derartige Koalition spießen – und ein darin gefangener Kurz sich wohl endgültig entzaubern.

Gut möglich also, dass der abgebrühte Taktikfuchs insgeheim ohnehin darauf schielt, die Verhandlungen scheitern zu lassen, um dann Anleihen bei Schüssel zu machen und eine billige Koalition mit der FPÖ einzugehen. Deren Chef ließ bereits ausrichten, in diesem Fall zur Verfügung zu stehen. Viel zu früh: denn Hofer müsste den koalitionären Sprengmeister Kurz dann eigentlich erst mit Zugeständnissen inständig betteln lassen, die Zeit ihrer Existenz beliebte Koalition um jeden Preis wieder aufleben zu lassen.

Schreckgespenst und Chance zugleich

Für viele Patrioten ist eine türkis-grüne Koalition das Schreckgespenst der möglichen Regierungen. Gerade für solche wie mich, welche sich den ebenso mit den eigenen Leuten solidarischen wie in der Sache harten Kurs einer „sozialen Heimatpartei“ wünschen, wie man ihn bei den Blauen einst kühn überall plakatierte. Denn Türkis-Grün bedeutet mehr Brüssel, mehr weltfremde Schreibtischtäter, mehr Wirtschaftsliberalismus. Kommt sie zustande, stehen uns Patrioten harte und kalte Jahre bevor.

Aber sie ist auch eine Chance: Denn die Zufriedenheit mit dem Experiment wird sich schnell aufbrauchen. Die Scheuklappen der heutigen Hinnehmer werden schon bald fallen wie die Tore beim Handball. Vorausgesetzt, die Freiheitlichen lernen endlich ihre Lektionen – denn türkis-grün ist leider der Liebling der etablierten Schreibstuben. Vielleicht also ein Weckruf für den letzten blauen Bezirksrat, den Wert einer patriotischen Zivilgesellschaft sowie einer Gegenöffentlichkeit in Form freier Medien zu erkennen. Zumal dann in Zukunft keiner mehr in Ibiza fragwürdige Gespräche führen muss.


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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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