Landtagswahlen im Osten 2024: Fünf Thesen

Die AfD triumphiert in Ostdeutschland, die etablierten Parteien wanken. Ist das das Ende der alten Bundesrepublik? Ein kritischer Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse von Bruno Wolters.

Kommentar von
23.9.2024
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5 Minuten Lesezeit
Landtagswahlen im Osten 2024: Fünf Thesen

Die AfD ist im Osten zur Volkspartei geworden.

© IMAGO / Jacob Schröter

Ostdeutschland hat gewählt. Seit Monaten blickte man mit großer Spannung auf die drei mitteldeutschen Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen, manche sahen den „Durchmarsch“ der AfD schon leicht vor sich, andere waren von Anfang an skeptisch. Einen Tag nach der AfD lassen sich nun aber einige Erkenntnisse formulieren, die manche schon immer wussten oder ahnten und anderen nicht gefallen werden. Sie sind nicht als Anklage oder Besserwisserei gemeint, sondern als Ausgangspunkt für eine offene Debatte.

Erstens: Die alte BRD ist endgültig tot, die Politik kehrt zurück

Die BRD-Parteien und ihre Wähler sind eigentlich nur noch Verschiebemasse, denn gewählt wird nicht mehr nach Verwaltungsfragen (das, was man immer Politik in der BRD nannte) tatsächlichen Inhalten oder gar weltanschaulichen Positionen – wobei natürlich auch eine antifaschistische Position eine solche ist, aber da sie als Meta-Narrativ aller Kartellparteien dient, ist sie „normal“ – sondern nur noch danach, wie man „die AfD verhindern“ kann, wie man zuerst bei der Wahl in Sachsen-Anhalt sehen konnte und jetzt in Brandenburg noch einmal bestätigt bekommen hat.

Allerdings gibt es eine gewisse Diskrepanz: Nur die Kartellparteien wollen weiterhin auf Politik verzichten, während die AfD die politischen Themen immer wieder betonen wird. Oder mit dem Historiker Hans Delbrück gesprochen: „Es ist das Eigentümliche bei absterbenden Ideen, dass, weil sie kraftlos geworden sind, ihre Träger die Form über den Inhalt stellen, die Form heiligen, sich an sie anklammern, weil sie sonst allen halt verlieren würden.“ Mit anderen Worten: Die AfD stellt inzwischen die politische Frage nach dem Wer, Was, Wo, Wie und mit Wem – die Kartellparteien wollen aber weiterhin ausweichen. Statt wie bisher die Frage zu beantworten, wer wann wie viel von wem bekommen soll, wollen sie eigentlich nur noch sagen, wer nicht mehr mitmachen darf: die AfD.

Die Schlussfolgerung ist einfach: Die Zeiten der alten Bundesrepublik, in denen Politik allenfalls darin bestand, darüber zu streiten, ob man die Rente um ein oder zwei Prozentpunkte erhöht und welches Bundesland welche Investitionen bekommt, sind vorbei. Jetzt wird wieder stärker politisch gedacht, vor allem ideologisch und das vor allem in Meta-Narrativen, bewusst und unbewusst. Die Trennlinien sind einfach: Kartellparteien gegen AfD. Internationalismus und Globalismus gegen Heimat und Tradition. Politische Fragen, was Identität überhaupt sei und wie sie zu schützen sei, werden wichtiger, sie waren bei den drei Ostwahlen auch für AfD-Wähler wahlentscheidend. Die AfD kann hier im Vorteil, wenn sie die politischen Fragen aufnimmt.

Zweitens: Es wird nur noch formale Wahlkämpfe geben

Daraus folgt auch eine Veränderung der formalen Abläufe in der Bundesrepublik. Wahlkämpfe werden nicht mehr wie bereits angesprochen mit Pseudo-Inhalten wie besseren Rentenversprechen und Investitionsforderungen geführt, bei denen jeder nur mehr Geld verteilen will als der austauschbare Mitbewerber der Konkurrenzpartei, sondern alle machen nur noch Wahlkampf gegen die AfD. Wahlkämpfe stehen dann unter dem Zeichen des „antifaschistischen Kampfes“ und jede Kartellpartei wird nur noch versuchen, diesen „Kampf gegen Rechts“ besser darzustellen als die anderen. In Brandenburg war dies exemplarisch an Woidke und der SPD zu sehen, die praktisch nur noch einen Anti-AfD-Wahlkampf führte. In der Bundesrepublik ist die „Gegen-AfD“-Mentalität nur noch die einzige Mobilisierungsstrategie der Kartellparteien.

Bedenklich ist vor allem, dass in Brandenburg eine Partei auf Platz 1 gewählt wurde, die im Bundestrend und bei anderen Wahlen nur noch verliert – warum? Weil man damit die AfD „stoppen“ kann. Das geht dann auf Kosten der anderen Kartellparteien, in Brandenburg vor allem der CDU. So werden in Zukunft immer mehr Kartellparteien in dieser großen Zermürbung verloren gehen, bundesweit vor allem die FDP, in Brandenburg die CDU, in Sachsen und Thüringen die SPD. Das ist eine Entwicklung, die durch diese „Alle gegen die AfD“-Haltung in Zukunft noch potenziert wird.

Der AfD selbst kann das durchaus willkommen sein, denn während sich andere mit Forderungen nach Parteiverbotsverfahren und Beschimpfungen von AfD-Politikern zu überbieten versuchen, könnte die patriotische Partei mit einfachen inhaltlichen Punkten viel ressourceneffizienter punkten. Brandenburg und Thüringen haben es positiv vorgemacht.

Drittens: Das BSW ist nicht so gefährlich wie gedacht

Einige Beobachter sahen in der BSW durchaus eine große Gefahr, weil sie vor allem im Osten eine Wählerwanderung von der AfD zur BSW vermuteten. Die Wähleranalysen zeigen jedoch, dass diese Gefahr nie wirklich bestand. Ja, es gab einige AfD-Wähler, die jetzt ihr Kreuz bei der BSW machen, aber die großen apokalyptischen Prophezeiungen von Halbierungen haben sich nicht bewahrheitet. Zudem scheinen die BSW-Wähler auch nicht ganz von der AfD zu trennen zu sein. In Brandenburg trat die Partei zwar nicht direkt in den Wahlkreisen an, aber die Zahlen deuten darauf hin, dass die meisten Wähler, die mit der Zweitstimme BSW gewählt haben, mit der Erststimme AfD angekreuzt haben.

In die obige Skizze lässt sich auch das BSW einordnen: Das BSW ist letztlich auch nur eine Abwehrreaktion der politischen Linken auf die Pseudopolitik der BRD und deren Zerfallsprozesse in eine alles zersetzende Verwaltung und Bürokratie. Dass das BSW hier natürlich Glaubwürdigkeitsprobleme hat, schmälert seine Bedeutung nicht. Die politischen Ränder emanzipieren sich mehr und mehr vom retardierenden BRD-Verwaltungs-Golem.

Viertens: Die AfD Sachsen hat es vermasselt

Die sächsische AfD schnitt im Vergleich zu den beiden anderen Landesverbänden schlecht ab. Keine Sperrminorität aus eigener Kraft, Grüne und SPD im Landtag, nur Platz zwei – trotz bester Ausgangsbedingungen. Potenzialanalysen kurz vor der Wahl gingen von Werten über 40 Prozent aus. Die Gründe sind vielschichtig und können noch diskutiert werden (einige haben der Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser und der Verleger Philip Stein in einem Podcast bereits dargelegt), aber es ist keineswegs abwegig zu meinen, dass die AfD Sachsen mit einer falschen Mentalität in den Wahlkampf gegangen ist.

Die AfD Sachsen hat die in den ersten beiden Punkten angesprochene Polarisierung nicht wirklich zugespitzt, sondern sogar versucht, sie abzuschwächen oder ihr auszuweichen. Mit anderen Worten: Sie hat sich der Auseinandersetzung nicht wirklich gestellt. Für Kretschmer von der CDU war das ein gefundenes Fressen. Mit dem Versuch, so gut wie möglich eine „normale“ Partei zu sein, die aber unfair behandelt werde, hat sich die AfD Sachsen letztlich in eine Sackgasse manövriert und eigentlich nur von der sächsischen „Jetzt erst recht“-Mentalität profitiert. Anders formuliert: Dass die AfD trotz der sächsischen Führung 30 Prozent gewinnen konnte, könnte man zynisch noch als positiv bezeichnen.

Fünftens: Wer mit dem Vorfeld arbeitet, gewinnt

Es kann Zufall sein, es kann aber auch einfach die Folge einer Mentalität sein, die es in Potsdam und Erfurt, aber nicht in Dresden gibt: die Kooperation mit dem Vorfeld. Die Thüringer und Brandenburger haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie mit dem Vorfeld oder mit rechten Akteuren zusammenarbeiten. Björn Höcke war bei Netzaktivisten zu Besuch, Hans-Christoph Berndt ist als organischer Politiker ohnehin nicht von Vorfeldstrukturen zu trennen. Beide Landesverbände haben ihre Ziele ganz oder weitgehend erreicht. Stärkste Kraft in Thüringen, zehn Prozent Abstand zu den Verfolgern, Sperrminorität. In Brandenburg hat es nicht für Platz 1 gereicht, aber für die wichtige Sperrminorität. Und in Sachsen? Wie gesagt – nichts von den Zielen.

Natürlich wäre es jetzt zu vermessen, die Siege in Thüringen und Brandenburg der AfD zuzuschreiben, aber ein gewisser Einfluss scheint nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht ist die AfD nur gut beraten, sich dem Vorfeld zu öffnen und die kreative und freie Energie dort sinnvoll zu nutzen. Gerade in den kommenden Zeiten, in denen sich der Dualismus zwischen den Kartellparteien und der AfD verschärfen wird, könnte sich dies als sehr nützlich erweisen. Die Scheu vor parteifernen Akteuren ist überholt – und oft ohnehin scheinheilig. Manche, die meinen, ein XYZ aus dem neurechten Vorfeld habe als Parteifremder nichts zu sagen, haben in der Vergangenheit allzu gerne Parteifremde wie Berliner Chefredakteure und in die Schweiz ausgewanderte Frankfurter Topökonomen als willkommene Berater angepriesen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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