Lucke, Petry & Meuthen: Warum Parteiprojekte zwischen Union und AfD scheitern

Mehrere Parteiprojekte zwischen der Union und der AfD sind in den letzten Jahren gescheitert. Trotzdem wird oftmals noch von einer „großen einsamen Wählerbasis“ gesprochen, die von einer neuen liberalkonservativen Partei erreicht werden könnte. Der Politikwissenschaftler Daniel Fiß erklärt die Probleme dieser These.
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Mit großen Ambitionen ging die Zentrumspartei am 10. Juni in eine Pressekonferenz, um ihren neuesten Coup zu verkünden. Stolz präsentierte man den Ex-AfD Chef Jörg Meuthen als Neumitglied der traditionsreichen Partei, die in der Weimarer Republik viermal den Reichskanzler stellte und im Kaiserreich die Interessenvertretung des politischen Katholizismus abbildete. Nach dem Krieg versank die Partei in der Bedeutungslosigkeit. Ein Großteil ihrer Wähler und Mitglieder wurde durch die Rolle der CDU/CSU als überkonfessionelle Sammlungsbewegung absorbiert und das Zentrum schrumpfte auf ihren bis heute anhaltenden Kleinstparteistatus zusammen.

Ein Blick in die Geschichte

Immerhin schien sich Meuthen nicht auf das gewagte Experiment seiner gescheiterten Vorgänger Bernd Lucke (Liberal-Konservative Reformer, LKR) und Frauke Petry (Die Blauen) ein und sparte sich die kraft- und zeitintensive Aufbauarbeit einer völlig neuen Partei. Die Erwartungen an seinen Beitritt zum Zentrum waren aber ähnliche, mit denen AfD-Aussteiger immer wieder Hoffnungen in die Fortsetzung ihrer politischen Karrieren setzten. Nur etwas mehr als zwei Monate nach seinem Beitritt zum Zentrum dürfte auch bei Meuthen die Realität für Ernüchterung gesorgt haben. Die erhoffte Parteieintrittswelle durch das prominente Zugpferd Meuthen blieb aus und selbst für den Wahlantritt erreichte man nicht die erforderliche Anzahl an Unterstützungsunterschriften.

Die Grundannahme solcher Parteiprojekte wie des Zentrums, der LKR und der Blauen besteht darin, dass zwischen einem vermeintlichen Rechtsruck der AfD und der Linksverschiebung der Unionskräfte, würde sich ein unausgefüllter politischer Repräsentationsraum eröffnen, den eine neue parteipolitische Kraft besetzen könne. Der Zug zur Mitte der CDU, die bereits von linken Meinungsbildern okkupiert wurde, und die Isolation der AfD bis zur „Unwählbarkeit“ ließen Millionen potenzielle Wählermassen heimatlos zurück, die nur auf das liberalkonservative Angebot zwischen CDU und AfD warten würden. Diese Überlegungen bauen jedoch meist auf falschen Grundannahmen auf und belegen bei so manchen Akteuren doch ein beachtliches Unwissen über die spezifische Wählerstruktur- und Dynamik in der Bundesrepublik.

Wie eine Partei den Durchbruch schaffen kann

Schon ein Blick in die Geschichte könnte Auskunft darüber geben, warum erfolgreiche Parteineugründungen in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend nur historische Zufallsmomente waren und eher die Ausnahme als die Regel blieben. Von 1950 bis 1980 dominierte der Dreierblock aus CDU, SPD und FDP die politische Parteienlandschaft. Und selbst die FDP war in dieser Konstellation nur der kleine Mehrheitsbeschaffer für die beiden großen Volksparteien. Später kamen dann die Grünen, PDS/Linkspartei und schließlich mit einer noch recht jungen Parteigeschichte die AfD dazu. Sechs Parteien in über 70 Jahren Bundesrepublik. Diese Stabilität ist im europäischen Vergleich ohnehin schon bemerkenswert. Auch trotz konstant abnehmender Parteiidentifikation seit Ende der 70er-Jahre sind größere Eruptionen und Verschiebungen (bis auf den Sonderfall der AfD) in den Wählerblöcken ausgeblieben. Allein diese Tatsache müsste eigentlich dafür sorgen, dass kluge Leute wie Meuthen, Petry und Lucke von solchen Experimenten Abstand nehmen würden. Aber das Ego übertrumpft dann doch so manche Rationalität und pragmatische Lageeinschätzung. Auch schon vor dem Aufkommen der AfD blickte das sogenannte liberalkonservative Lager auf einen großen Parteienfriedhof.

Mit der Frage, wie kleine Parteien oder Parteineugründungen erfolgreich werden und ihren politischen Durchbruch schaffen, beschäftigt sich die Politikwissenschaft schon seit vielen Jahren. Einigkeit besteht zunächst in der Voraussetzung einer gewissen internen Organisationskraft und personeller als auch finanzieller Ressourcenverfügbarkeit, um kampagnenfähig zu sein. Diese inneren Strukturvoraussetzungen müssen jedoch durch eine Reihe von exogenen Faktoren katalysiert werden, die sich in der allgemeinen Relevanzwahrnehmung und den demoskopischen Bedingungen niederschlagen. Der Politologe Frank Decker analysierte in seinem Aufsatz „Die Erfolglosigkeit des parteiförmigen Rechtspopulismus in Deutschland“ (2013) neben dem endogenen Faktor der Strategie- und Kampagnenfähigkeit zwei weitere exogene Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg neuer Parteien entscheiden. Das Konzept wird auch als sogenannte „Gelegenheitsstruktur“ beschrieben.

  1. Neue erfolgreiche Parteien entstehen vordergründig durch die Schwächung der Bindungskräfte und Wählervertrauenskrisen gegenüber den etablierten Parteien. Diese Legitimations- und Integrationsdefizite beflügeln ihre Wahlerfolge und traten insbesondere im rechten Parteispektrum immer dann auf, wenn die Union in Regierungsverantwortung stand und dabei die möglichen Versprechungen an ihr konservatives Wählerklientel nicht einhalten konnte.
  2. Der Erfolg neuer Parteien hängt von grundsätzlichen politischen Vertrauenskrisen und einer Vielzahl subjektiv ökonomisch wahrgenommener Deprivationskrisen ab. Diese Parteien bilden ein Ventil, in dem vorrangig klassische Protest- und Nichtwählermilieus ihren Druck entladen können.
  3. Neue erfolgreiche Parteien erwachsen nach der sogenannten „Cleavage-Theorie“ immer im Rahmen neuer soziodynamischer Konfliktstrukturen. Das heißt, gesellschaftliche Milieus bilden eigene soziale und politische Identitäten aus, die in Kontrast zu herrschenden und bisweilen dominanten Weltbildern, Lebensrealitäten und Paradigmen stehen und schließlich über längere Zeiträume auch in einer konkreten parteipolitischen Repräsentation münden.

Alle diese Faktoren sprechen gegen den erfolgreichen Durchbruch einer neuen „liberalkonservativen Partei“ in Deutschland. Die Vertrauenskrise gegenüber den Volksparteien hält zwar weiter an, aber hat mit der AfD bereits eine Partei gefunden, die die Unzufriedenheit und den Protest absorbieren konnte. Der erste Achtungserfolg der AfD entstand unter den Bedingungen einer Repräsentationslücke, die unter anderem durch die CDU freigegeben wurde. Der erfolgreiche Durchbruch war jedoch die Migrationskrise als Themenfeld, wo die bundesrepublikanischen Diskursdefizite erstmals plastisch und konkret geworden sind.

Ein historischer Moment der AfD

Das Wählerverhalten orientiert sich heute nicht mehr an abstrakten politisch-räumlichen Dimensionen, sondern an konkreten Leitthemen, die mit zunehmender Polarisierung auch die Erfolgseffekte einer neuen Partei beflügeln können. Weder das Zentrum noch die LKR oder die Blauen hatten oder haben Zugriff auf diese gesellschaftlichen Polarisierungsthemen oder können dies als Kernmerkmale in ihre Parteiidentität einbinden. Sie können nur einen unbestimmten politischen Raum besetzen, der einen anderen Stil oder eine andere Performance zum Ausdruck bringt – es bleibt aber wirkungslos, wenn dies nicht auch mit einem für die potenzellen Wähler emotionalisierenden Kernthema verbunden ist. Die AfD hat die wesentlichen Diskurslücken und Repräsentationsdefizite bereits geschlossen. Ihr programmatisches Angebot deckt den Großteil der politischen Alternativnachfrage im Wählermarkt ab. Es gibt also derzeit kein polarisierendes oder kontroverses Thema, in der ein bestimmtes gesellschaftliches Stimmungsbild oder inhaltliche Position nicht innerhalb des etablierten Parteienspektrums abgebildet werden könnte.

Erfolgreiche Parteien werden als Sammlungsbewegungen von bestimmten Milieus, sozialen Gruppen und psychopolitischen Mentalitäten wahrgenommen. Die deutschen Wählerblöcke sind in ihrer Gesamtheit ziemlich klar und eindeutig strukturiert. Auf der linken Seite ist die Nachfrage schon lange abgedeckt und auch auf der rechten Seite (ohnehin inzwischen ein kleinerer Raum als links) ist die AfD die Sammlungsplattform für das gesamte Spektrum rechts der Union. Dass dieses nicht vollständig ausgeschöpft wird, mag durchaus an der Scheu, der Ablehnung und dem Zweifel gegenüber der AfD liegen. Das ist jedoch eine völlig andere strategische Fragestellung. Was jedoch sicher gesagt werden kann, ist der vorprogrammierte Misserfolg eines Parteiprojektes, welches sich zwischen AfD und CDU schieben möchte, da der Raum zu klein ist, und weder die sozialen noch thematischen Grundvoraussetzungen in der aktuellen politischen Konfiguration vorhanden sind.

Auch die viel beschworenen Umfragen zu alternativen Wahlabsichten einer hypothetischen liberalkonservativen Partei sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Bislang ist die politologische Studienlage dazu recht mager. Meist wurden hierzu nur kontextlose Daten erhoben, die auch nur von hypothetischen Vorstellungen ausgehen. Weitere Parameter wie die langfristige Parteiidentifikation, früheres Wahlverhalten, sozioökonomische und demografische Faktoren sowie tiefere weltanschauliche Einstellungsmuster und Gewichtungen nach Policy- und Themendimensionen sind bis heute nicht zu finden. Möglicherweise würden sich dann die offensichtlichen Diskrepanzen zwischen hypothetischen Wahlabsichten in Umfragen und dem realen Ergebnis liberalkonservativer Kleinparteien genauer erklären lassen. Dieser Artikel skizzierte jedoch zunächst die groben strukturellen Bedingungen, warum sich eine solche Partei nicht durchsetzen wird.


Zur Person:

Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation widmet.

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