ÖVP in der Sackgasse: Warum die FPÖ nur langfristig gewinnen kann

Der gestrige Wahlabend hat die politischen Gewichte in Österreich verschoben und könnte für die beteiligten Parteien weitreichende Folgen haben. Vor allem FPÖ und ÖVP stehen vor strategischen Herausforderungen, die über das Schicksal beider Parteien in den kommenden Jahren entscheiden könnten, meint Bruno Wolters in seinem Kommentar für FREILICH.

Kommentar von
30.9.2024
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3 Minuten Lesezeit
ÖVP in der Sackgasse: Warum die FPÖ nur langfristig gewinnen kann

Die FPÖ hat am Sonntag einen historischen Erfolg errungen.

© IMAGO / Andreas Stroh

Der gestrige Wahlabend war ein politisches Erdbeben, das nicht nur kurzfristig für Ärger und Frust in den Koalitionsgesprächen sorgen wird, sondern auch über das Schicksal der beteiligten Parteien entscheiden kann. Je nachdem, welche Koalition die Österreicher am Ende in Wien zu sehen bekommen, könnte das Beben in den nächsten Jahren bei weiteren Wahlen für die einen noch zerstörerischer, für die anderen aber auch erfolgreicher ausfallen. Doch der Reihe nach.

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Fakt ist, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Mehrheit braucht, die er am ehesten mit der ÖVP erreichen kann. Die FPÖ ist zwar stärkste Kraft im Nationalrat geworden, aber im Vorfeld wurde quer durch das Parteiensystem eine Brandmauer aufgebaut, vor allem von ÖVP-Spitzenkandidat Nehammer und SPÖ-Heiland Babler. Innerhalb der ÖVP wird sich entscheiden, inwieweit sich der Flügel um Karl Nehammer im Sattel halten kann, mit ihm steht die Brandmauer zu Kickl und seiner FPÖ. Der amtierende Bundeskanzler ist hier auch der Repräsentant der schwarzen, also auch „alten“ ÖVP mit ihrem Selbstverständnis als konservative Volkspartei der Mitte, die die FPÖ nur als Betriebsunfall ansieht. In diesem Block ist die FPÖ ein politischer Feind, der eigene Mehrheiten verhindert.

ÖVP in der Sackgasse

Wenn Nehammer also bleibt und sich durchsetzt, wird es definitiv kein Blau-Schwarz geben. Wird er gegangen, dann stehen die Chancen für eine FPÖ-ÖVP-Regierung gut. Die ÖVP wäre dann Juniorpartner, strategisch könnte sie davon eigentlich nicht profitieren. Aber hier gibt es wohl auch die größten Überschneidungen mit dem FPÖ-Wahlprogramm. Nehammers Schicksal wird auch davon abhängen, ob er eine Dreierkoalition mit SPÖ und NEOS oder Grünen schmieden kann. Hier wird es inhaltlich schwierig und die FPÖ kann davon nur profitieren. Mit anderen Worten: Die ÖVP steckt in einer strategischen Sackgasse: Entweder eine Verliererkoalition oder Juniorpartner der FPÖ.

Eine Nacht nach der Wahl kann man eigentlich nur als neutraler Beobachter sagen, dass die FPÖ keine Koalition eingehen sollte. Denn eine Regierung mit der ÖVP kann letztlich nur in einer Falle wie Ibiza 2.0 enden, weil die ÖVP, wie bereits erwähnt, in einer strategischen Falle sitzt. Setzt sich der schwarze Flügel um Nehammer durch, wird es wohl zu einer Dreierkoalition mit SPÖ und NEOS oder Grünen kommen. Die Konsequenzen sind einfach: Die Linke würde in dieser Koalition mehr verlieren als die ÖVP, die aber außer dem Kanzleramt und der Verlangsamung des eigenen Niedergangs eigentlich nichts gewinnen kann.

Gewinner wäre die FPÖ, die langfristig gestärkt werden könnte. Denn immer mehr Wähler werden durch die multiplen Krisen unzufriedener und sehen auch, dass man wohl nur mit der FPÖ eine Veränderung erreichen kann. Die Folge: Sie wählen die FPÖ. Die ÖVP würde dann zwar regieren, wäre aber auch mittel- und langfristig auf dem Abstellgleis gelandet. Dass man trotzdem auf diese Option aus dem Nehammer-Block schielt, ist verständlich: Es geht um Macht und Posten. Das ist kurzsichtig.

FPÖ hat die besseren Karten

Aber auch als Juniorpartner hat die ÖVP nichts zu gewinnen. Das will vor allem der türkise Flügel der ÖVP. Aber man würde hier ganz klar zur zweiten Geige werden und es besteht dann die Gefahr, dass man als Original neben der FPÖ einfach untergeht und den Niedergang noch beschleunigt. Aber trotzdem gibt es wohl Fans dieser Koalition, ich kann mir nur vorstellen, dass man hier durchaus wieder zynisch mit gezinkten Karten spielen möchte – das würde auch dem türkisen Flügel entsprechen. Das Drehbuch zum Mai 2019 liegt sicher noch in manchen Schubladen.

Das heißt aber nicht, dass sich die Freiheitlichen nicht ernsthaft um eine Regierungsbeteiligung bemühen sollten. Das sollten sie, aber nicht um jeden Preis. Aber man kann davon ausgehen, dass Kickl weiß, was zu tun ist. Aber vielleicht ist die Zeit noch nicht reif für eine Regierung, mag der eine oder andere denken. Denn die Entwicklungen und die Unfähigkeit, aber auch der fehlende Mut der anderen Parteien spielen der FPÖ nur in die Hände.

Was man sich vorstellen kann: Die ÖVP sägt Nehammer ab, geht mit Karoline Edtstadtler oder einer anderen türkisen Figur als Vize in die blau-schwarze Koalition und sichert sich so etwas wie Wirtschafts- und Justizministerium. Und vielleicht platzt die Koalition dann in zwei, drei Jahren.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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