ORF-Generaldirektor wegen angeblichen „Maulkorb“-Erlasses im Kreuzfeuer
Am Dienstag gingen in den sozialen Medien – vor allem auf Twitter – die Wogen hoch. Angeblich sollen sich ORF-Mitarbeiter dort künftig nicht mehr politisch äußern.
Die ÖÖN berichteten unter Berufung auf die APA bereits am Dienstagnachmittag über den Entwurf über neue Social-Media-Guidelines für Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Mediums. Demnach hätten diese künftig „auch im privaten Umfeld“ auf Äußerungen und Kommentare zu verzichten, welche sich mit Parteien, Institutionen oder politischen Akteuren beschäftigen. Dies beziehe sich nicht nur auf eigene Postings, sondern auch auf Aussagen Dritter sowie auf „indirekte Zeichen“ wie Likes oder Retweets.
ORF-Stiftungsräte verantwortlich?
Für die vermeintliche Anordnung von Generaldirektor Alexander Wrabetz fanden sich auch schnell Verantwortliche. Dem Standard zufolge sollen ÖVP- und FPÖ-Vertreter im Stiftungsrat einen solchen Ansatz nämlich bereits seit Jahren andenken. Tatsächlich bestätigte ÖVP-Stiftungsrat erst vor wenigen Tagen diesen Wunsch. Der neue freiheitliche Stiftungsratsvorsitzende Norbert Steger erinnerte das Medium in den vergangenen Monaten regelmäßig an seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Es gelte „Schritte in eine objektivere Berichterstattung“ zu tätigen.
Wrabetz verteidigt Richtlinien-Entwurf
Wrabetz – seinerseits SPÖ-Parteigänger – begründete den Schritt mit der Notwendigkeit der Äquidistanz, man orientiere sich anhand internationaler Vorbilder sowie am ORF-Gesetz. Es gelte, die Glaubwürdigkeit der Sendeanstalt zu wahren, die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Themen dürften nicht den Eindruck einer „Voreingenommenheit“ vermitteln.
Beispielhaft erwähnte er die im Vorjahr erlassenen Richtlinien der renommierten amerikanischen Zeitung New York Times. Auch in Europa wäre der Schritt keinesfalls ein Novum. Die ebenfalls öffentlich-rechtliche BBC in Großbritannien verbietet ihren Mitarbeitern bereits seit einigen Jahren die Teilnahme am politischen Diskurs in sozialen Medien.
Empfehlung ohne angedrohte Konsequenzen
Es handle sich aber bisher ohnehin um einen Entwurf, welcher erst im Juli zur Vorlage bei Redakteursvertretung und Zentrabetriebsrat komme. Außerdem, so Wrabetz, gehe es lediglich um eine Empfehlung für die Mitarbeiter. ORF-Journalisten welche sich kritisch äußerten, hätten auch weiterhin keine dienstrechtlichen Konsequenzen zu befürchten. Auch die gegenwärtigen Twitter-Aktivitäten der prominenten ORF-Journalisten sieht er nicht in Gefahr
Diese seien mit dem Entwurf kompatibel. Als Beispiel führte er auch den ZiB-2-Moderator Armin Wolf an. Dieser ist für seine ausgeprägte und mitunter polarisierende Social-Media-Aktivität bekannt, am Vorabend kritisierte Wolf den Entwurf scharf und unterstellte politische Einflussnahme. Auch der parteiunabhängige Österreichische Journalisten Club hält die künftige Richtlinie für einen „Kniefall“ vor der Politik.
Parteienreaktionen unterschiedlich
Höchst unterschiedlich waren indes auch die Reaktion von Parteien. So zeigte sich die NEOS-Mediensprecherin Claudia Gamon über den Vorschlag irritiert. Sie findet die vorgesehenen Richtlinien für „grundrechtlich höchst bedenklich“. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz sah den Vorstoß „skeptisch“, da er die Meinungsfreiheit als hohes Gut betrachte. Gleichzeitig handle es sich um eine Angelegenheit des ORF, so der Regierungschef vor dem Pressfoyer im Ministerrat.
Auch für Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ist die Meinungsfreiheit wichtig, gleichzeitig erwarte man sich von einem öffentlich-rechtlichen Sender durchaus neutrale und unabhängige Berichterstattung. Der freiheitliche Obmann bezeichnete den Sender am Küniglberg in der Vergangenheit häufiger als „Rotfunk“. Diesen Begriff prägten ursprünglich ÖVP-Politiker während der SPÖ-Alleinregierung in den 1970er und 1980er-Jahren. Immer wieder sorgt eine vermeintliche oder tatsächliche SPÖ-Nähe von hochrangigen ORF-Mitarbeitern seitdem für Kritik.