Politikberater Fiß zum AfD-Höhenflug: „Partei muss sich auf zwei Szenarien vorbereiten“

Aktuell befindet sich die AfD im Höhenflug, laut einer aktuellen Umfrage ist sie bundesweit stärkste Kraft. Wie die Partei dieses Potenzial am sinnvollsten nutzen kann und worauf dabei besonders zu achten ist, erklärt Daniel Fiß im Interview mit FREILICH.

Interview von
5.7.2023
/
3 Minuten Lesezeit
Politikberater Fiß zum AfD-Höhenflug: „Partei muss sich auf zwei Szenarien vorbereiten“
© IMAGO / Emmanuele Contini

FREILICH: Herr Fiß, die AfD ist laut Insa nun bundesweit stärkste Kraft. Welche Gründe liegen für diese Entwicklung vor?

Daniel Fiß: Schon in der Vergangenheit bis in die frühen 90er-Jahre zurück schätzten verschiedene Studien das rechte Wählerpotential auf ein Maximum von 15-20 Prozent. Ausgeschöpft werden konnte dieses Potential jedoch nie. Das scheint nun der Fall zu sein. Ich gehe aber auch davon aus, dass wir es jetzt mit einer deutlichen Erweiterung dieses über die Jahre latenten Potentials zu tun haben. Die politischen Raumkoordinaten haben sich in der Wählerschaft deutlich verschoben. Kulturelle Konfliktlinien treten trennschärfer hervor und überlagern die klassischen Links-Rechts-Dichotomien und auch die ökonomischen Differenzen. Dadurch entstehen neue gesellschaftliche Allianzen und Milieus, die sich gegen die Transformationspolitik der Ampel-Regierung stellen und die derzeitigen Maßnahmen als fundamentalen Angriff auf ihre Lebensart und ihre Sicherheit empfinden. Die Wähler wollen die Abgrenzung zu den Grünen möglichst scharf und konsequent zum Ausdruck bringen und die Partei, die sich am deutlichsten und glaubwürdigsten gegen die Grünen positionieren kann, ist eben die AfD.

In den Umfragen scheinen die Grünen noch relativ stabil zu sein. Doch ein Blick auf die Potentialanalysen zeigt, dass die fundamentale Ablehnung (Wähler, die sich gar nicht vorstellen können die Grünen zu wählen) gegenüber den Grünen sich innerhalb der letzten vier Jahre fast verdoppelt hat. Gleichzeitig sank die Ablehnung der AfD um fast 15 Prozent in den letzten Wochen. Es ist also die Mischung aus Diskursnormalisierung, dass Deutschland jetzt schon zehn Jahre ein fest verankerte Rechtspartei in den Parlamenten hat, sowie der Showdown einer als übergriffig empfundenen Ampelpolitik, die beim Normalbürger nur noch befremden auslöst.

Wie kann die AfD am sinnvollsten mit dem Höhenflug umgehen?

In jedem Fall muss die Partei auf zwei Szenarien vorbereitet sein:

Szenario 1: Ein weiterer Anstieg auf bis zu 25 Prozent – Das bedeutet größere Fraktionen, weitere kommunale Führungsämter und eine neue strategische Rolle, in der vor allem im Osten die Altparteien arithmetisch nur noch schwierig Mehrheiten gegen die AfD organisieren können. Die AfD hat bereits jetzt in ihrer kurzen Parteihistorie das Problem, dass die Zustimmung in der Bevölkerung schneller wächst als die personellen Ressourcen und die allgemeine Parteiinfrastruktur. Bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr wird die Partei in vielen Landesverbänden gar nicht flächendeckend antreten können. Die Geschäftsstellen in den Landesverbänden sind bei weitem nicht so potent wie die Fraktionen. Das kann auf lange Sicht, bei ausbleibenden Wahlerfolgen, zu einem Problem werden. Daher liegt in diesem Szenario jetzt die absolute Priorität auf den Aufbau einer robusten Infrastruktur – Mitgliedergewinnung, Spendenakquise, Kampagnenfähigkeit, Talentförderung und Mitgliederschulung.

Szenario 2: Rückgang auf 15 Prozent – Ich bin überzeugt, dass die Partei sich jetzt gerade eine stabile Kernwählerschaft um die 15 Prozent aufbaut, vor einem Jahr lag diese noch bei zehn Prozent. Wir müssen aber auch einkalkulieren, dass sich die Zustimmung auf 15 Prozent wieder zusammenkomprimiert. Das ist dann alles eine Frage der Motivationspsychologie. Es ist wichtig, dass dieses Plateau gehalten wird und man weiter an der diskursiven Normalisierung arbeitet. Die politische Wende ist als Etappenprogramm zu begreifen

Ist mittlerweile die „Brandmauer gegen rechts“ gefallen, sodass immer mehr Bürger sich zur AfD bekennen?

Sie bröckelt zumindest. Der Zuwachs für die AfD findet ja in einer Zeit statt, in der die Ausgrenzung der Partei wesentlich härter betrieben wird als noch in ihren Anfangsjahren. Keine Talkshoweinladungen, Beginn einer Verbotsdebatte, Verfassungsschutzbeobachtung von Teilorganisationen und Vorfeldinitiativen und nach wie vor ein Medienapparat, der die AfD und ihre Mitglieder permanent diffamiert. Wir haben gerade ein gesellschaftliches Trotzmomentum, welches die AfD normalisiert und zugleich als Mobilisierungsverstärker wirkt. Es mag paradox klingen, aber umso stärker die Ausgrenzung der AfD vom politischen und medialen Establishment betrieben wird, umso mehr bröckelt auch die „Brandmauer nach rechts“.

Ist das nur eine Momentaufnahme oder handelt es sich dabei um eine nachhaltige Entwicklung?

Die Transformationspolitik der Ampel hat keinen Backup-Plan vorgesehen. Deswegen wird der AfD-Aufstieg auch nur als ein Kommunikationsdefizit der Ampel-Regierung verstanden. An den entscheidenden Maßnahmen solle man unbeirrt festhalten. Dies wird die Polarisierung weiter anheizen und die ideologischen Kontraste sichtbarer machen. Wenn es die AfD schafft, sich als Vertreter der verwurzelten und traditionellen Lebensmodelle zu positionieren, wenn sie es schafft, ein eigenes potentes Milieu mit eigenen Normen, Werten und Einstellungsmustern herauszubilden, dann wird diese Entwicklung sich in jedem Fall verfestigen.


Zur Person:

Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation widmet.

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