Rechtspopulismus: Was die deutsche Rechte von Javier Milei lernen kann
Javier Milei ist Rechtspopulist, aber kein Rechter. Dennoch kann die deutsche Rechte viel von ihm lernen, wie der Ökonom und AfD-Berater Jurij Kofner in seinem Kommentar für FREILICH betont.
Die extravagante Figur des Javier Milei verkörpert eine neue Art der Revolution in vielerlei Hinsicht. Genauer gesagt, es ist eine populistische Revolution, eine Konterrevolution (!), die er in Argentinien vollzieht. Als erster anarchokapitalistischer Präsident etabliert er sich als Pionier eines neuen politischen Paradigmas.
Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass der ultrakapitalistische Milei in gewisser Weise dazu gezwungen ist, ähnliche Schritte zu unternehmen wie der sozialistische Stalin. Während letzterer auf das Konzept der leninistisch-trotzkistischen Weltrevolution verzichtete, um den „Aufbau des Sozialismus in einem einzelnen Land“ zu fördern, findet sich ersterer gezwungen, eine agoristische Gesellschaft innerhalb eines Staates zu errichten und dabei sogar auf staatliche Mittel zurückzugreifen. Dies könnte potenziell zeigen, dass der Libertarismus nicht nur jenseits des Staates lebensfähig ist.
Angesichts der geballten linken Übermacht aus kollektivem Staatsapparat, Gewerkschaften und Medien musste die geplante liberale Schocktherapie jedoch vorerst auf Raten gestellt werden. Ihr Ziel wäre es gewesen, einen befreienden Ausbruch aus dem erstickenden Griff des Staates in Bezug auf Steuerlasten, Umverteilung und Verwaltung herbeizuführen. Dabei strebte Milei an, mittels Notstandsdekret und Omnibusgesetz, trotz seiner Minderheit im Parlament, eine beispiellose Deregulierung von gewaltiger Tragweite durchzusetzen: die Abschaffung von nahezu 400 Gesetzen und Verordnungen, die Privatisierung von Staatsunternehmen sowie die drastische Auflockerung der Miet- und Arbeitsgesetze. Bedauerlicherweise wurde dieses bahnbrechende Dekret vorerst durch das Verfassungsgericht gekippt.
Milei will durchgreifen
Trotzdem konnte Milei in den ersten 100 Tagen seiner Regentschaft im „Roten Haus“, der argentinischen Präsidentenresidenz, bemerkenswerte Erfolge verbuchen: Er schaffte es, die monatliche Inflationsrate zu halbieren. Gleichzeitig trimmte er den üppig wuchernden Staatsapparat von 19 auf acht Ministerien herunter, wobei er unter anderem das tendenziöse Ministerium für Frauen, Gender und Diversität ausmerzte. Zudem strich er die staatlichen Subventionen für Treibstoff. Argentinien verzeichnete erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt einen Haushaltsüberschuss, und die Rückkehr der ausländischen Investoren auf den Anleihemarkt zeugt davon, dass das Vertrauen in die Wirtschaft wiederhergestellt wurde. Durch eine drastische Abwertung des Pesos lockerte er die Preiskontrollen, wissend, dass ein freier und stabiler Währungsmarkt das „konstituierende Prinzip“ für sämtliche weitere Wirtschaftsreformen bildet. Dieser Grundsatz wurde einst von den ordoliberalen Pionieren Walter Eucken und Ludwig Erhard betont, als sie die Grundvoraussetzungen für das deutsche Wirtschaftswunder herausarbeiteten.
Die Krönung von Mileis wirtschaftspolitischem Vorstoß soll die geplante Abschaffung der Zentralbank und die offizielle Dollarisierung der Wirtschaft sein. Dieser Schritt muss als Legalisierung des inoffiziellen, jedoch faktisch allgegenwärtigen Status quo verstanden werden. Darüber hinaus zielt er darauf ab, zukünftige argentinische Regierungen daran zu hindern, die monetäre Druckerpresse zu missbrauchen. Gewiss, dies wird Buenos Aires in die Abhängigkeit von der Federal Reserve und dem amerikanischen Fiat-Währungssystem bringen, doch ich hege die Hoffnung, dass dies lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg zu Hayeks Vision eines freien Wettbewerbs der (Krypto)Währungen ist, wie uns Ökonomen, die Milei nahestehen, versichern.
Einige harte Schritte
Wollen wir nun zur Kernfrage dieses Beitrags kommen: Ist Javier Milei ein Rechter? Viele Vertreter der politischen Rechten betrachten ihn und bestimmte Aspekte seiner Politik mit Skepsis: seinen kompromisslosen Anti-Kollektivismus und seine pro-kapitalistische Haltung, seine scheinbar naiven Bekenntnisse zum „Werte-Westen“ in Form von Israel, der Ukraine und den USA, seine unkonventionelle Lebensführung („War er nicht einmal ein Sex-Coach? Und war er nicht sogar bei Davos?“) und selbst seinen Erfolg („Kann jemand so erfolgreich sein, ohne heimlich mit der globalen Finanzelite zu paktieren?“). Der überzeugte Individualist ist nicht in den Bund der Ehe eingetreten, hat keine Kinder, dafür aber vier Hunde. Das ist sicherlich nicht gerade das Bild eines Konservativen.
Es ist wahr, dass Milei bereits vor einem Jahrzehnt als Ökonom am WEF teilnahm. Doch selbst damals entsprachen seine Äußerungen keinesfalls den Vorstellungen eines Klaus Schwab. In seiner zweiten, viel berühmteren, kürzlichen Rede in Davos hat der neue argentinische Präsident die WEF-Positionen des Stakeholder-Korporatismus, des Ausbaus des Wohlfahrtsstaates sowie der propagierten „Gleichheit“ und „Vielfalt“ dann vollständig in den Wind geschlagen. Kurz gesagt, er hat die Grundfesten des modernen Sozialismus – also Wokeismus und das „you will own nothing“-Narrativ – rhetorisch platt gemacht.
Ist Milei ein Konservativer?
Des Weiteren setzt Milei sich für ein Verbot von Abtreibungen ein, empfindet die einseitige Bevorzugung sexueller und ethnischer Minderheiten als anstößig und strebt eine harte Hand gegenüber Kriminellen an. Er inszeniert sich mit Kettensägen, bezeichnet etablierte Politiker als „zurdos de mierda“ (linksversiffte Mistkerle) und obwohl er keine Ehegattin hat, ziert eine prominente Schauspielerin seine Seite als First Lady. Ist er also doch ein rechter Gigachad?
Nicht wirklich. Der Anarchokapitalist Milei entspricht dem amerikanischen, aber nicht dem europäischen Verständnis von „Rechts“. Sein Kampf gegen die (Kultur-)Marxisten, Sozialdemokraten und linken Fortschrittsapostel basiert nicht auf konservativen Werten wie Familie, Religion oder Nation, sondern auf den klassisch liberalen Überzeugungen vom Naturrecht auf Freiheit, Leben und Eigentum („life, liberty and property“).
Mileis Forderungen mögen zwar in eine rechtsgerichtete Richtung gehen, doch seine Motivation entspringt libertären Beweggründen. So strebt er die Abschaffung von Abtreibungen nicht an, weil er sie als Angriff auf das gesunde Wachstum des autochthonen Volkes betrachtet, sondern vielmehr als Eingriff in das individuelle Recht auf Leben. Ebenso beabsichtigt er, die staatliche Finanzierung von LGBTQ-Propaganda zu beenden, hat jedoch keine Einwände gegen die Homo-Ehe, da aus liberaler Sicht alle Menschen gleich behandelt werden sollten und das Sexualleben als Privatsache gilt.
Eher libertär als konservativ
In Mileis Politik verbirgt sich jedoch mehr rechtes Gedankengut, als zunächst vermutet wird – nur in anderer Ausprägung. In diesem Zusammenhang gibt es viel, was die deutsche Rechte von ihm lernen kann:
Erstens greift Javier Milei zunächst auf ziemlich autoritäre Maßnahmen wie Notstandsdekrete, „Omnibusgesetze“ und demonstrative Machtausübungen der Polizei zurück, um die Prinzipien von „Leben, Freiheit und Eigentum“ in seinen Reformen gegen den Widerstand sowohl des „Tiefen Staates“ als auch der von linken Gewerkschaften aufgeheizten Straßenproteste durchzusetzen. Dies erinnert an Carl Schmitts Betrachtungen über den Souverän und die Vorrangstellung des Politischen. Es entspricht auch Dmitrios Kisoudis' Ruf nach einem schlanken, aber robusten „Ordnungsstaat“, dessen Apparat schlank, aber kräftig sein muss, um innerhalb seiner Grenzen eine marktwirtschaftliche und freie Gesellschaft zu gewährleisten. Darüber hinaus harmoniert es ideal mit Hans-Hermann Hoppes Überzeugung, dass Freiheit über der Demokratie steht. Letztere kann, wie wir immer wieder sehen, von der herrschenden politischen Elite durchaus manipuliert werden, um die tatsächliche Meinungs- und Wahlfreiheit zu untergraben.
Doch damit sind die konservativ-revolutionären Vibes noch längst nicht erschöpft. Zweitens wird deutlich, dass Milei mit seinem extravaganten Auftreten und seinen gnadenlosen rhetorischen Angriffen perfekt im Einklang mit den Leitlinien des „Rechtspopulismus“ agiert, wie sie 1992 in einem Handbuch von einer der führenden Figuren des modernen Libertarismus, Murray Rothbard, skizziert wurden.
Rechtspopulismus – aber sexy?
Die kommunikationsstrategische Essenz des „Right-Wing Populism“ manifestiert sich folgendermaßen: In einer Welt, in der der „linke Marsch durch die Institutionen“ bereits vollendet ist und progressive Sozialdemokraten – von den allbekannten Fake-Konservativen bis hin zu extremen Klimalinken – die herrschende Elite bilden, in der sie die Mainstream-Medien kontrollieren und alles tun, um den vorherrschenden Status Quo, also ihr eigenes Machtmonopol, um jeden Preis aufrechtzuerhalten, kurz gesagt, in einer Welt, in der die sozialistische Revolution zur Wirklichkeit geworden ist, können freiheitliche beziehungsweise rechte Ideen über herkömmliche Kanäle wie Wirtschaftsverbände, Universitäten oder Zeitungsartikel keinen Erfolg haben. Stattdessen muss die libertäre beziehungsweise rechte Agenda als eine konterrevolutionäre Bewegung gestaltet werden; sie muss von den Massen von unten nach oben gegen die herrschende Elite getragen werden. Sie muss populistisch, cool und laut sein, um trotz des medialen Cordon Sanitaire gehört und verbreitet zu werden. In dieser Hinsicht war Rothbard visionär, als er bereits im Jahr 1992 die von David Goodhart skizzierte neue Frontlinie zwischen den „Somewheres“ und den „Anywheres“ antizipierte und die Erfolgsfaktoren für die neuen Rechtspopulisten wie Trump, Bolsonaro, Orbán und Milei skizzierte. Regime Change von rechts, baby!
Auch inhaltlich sollte es jedem deutschen Rechten möglich sein, seine Zustimmung zu den acht zentralen Forderungen von Rothbards libertärem Rechtspopulismus zu geben, die hier leicht an die aktuelle deutsche Realität angepasst sind:
1. Senkung der Steuern.
2. Stopp der Umverteilung.
3. Abschaffung von Privilegien für Minderheiten.
4. Rückeroberung der Stadtviertel: Auslöschung der Kriminalität.
5. Rückeroberung der Stadtviertel: Eliminierung asozialen Verhaltens.
6. Abschaffung der EZB, Angriff auf die „Bankster“.
7. Deutschland zuerst!
8. Verteidigung von Familienwerten.
Drittens verdeutlicht Mileis Wahlsieg zwei weitere wahlstrategische Meilensteine, die auch zunehmend unter deutschen Bedingungen angewendet werden können und sollten: Unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Hyperinflation und des sozialen Abstiegs, Phänomene, die nicht nur in Argentinien, sondern aufgrund der „grünen Transformation“ auch in Deutschland immer mehr zur Geltung kommen, schätzten die Wähler Mileis brutale Ehrlichkeit während seiner Wahlkampagne: Er verschwieg nicht, dass seine liberale Schocktherapie zur Rückkehr auf den Pfad des wachsenden Wohlstands zunächst schmerzhaft sein würde, betonte jedoch, dass es keinen anderen Weg gäbe. Zudem erhielt der Anarcho-Kapitalist Milei im Segment der „Arbeiterklasse“ etwas mehr Stimmen als sein linker, angeblich „arbeitnehmerfreundlicher“ Präsidentschaftskonkurrent. Dies verdeutlicht, dass unter den richtigen Umständen wohlfahrtsstaatliche Narrative nicht zwingend erforderlich sind, um Wahlen zu gewinnen. Auch hier erwies sich Rechtspopulismus als der entscheidende Faktor, nicht die Rhetorik der Umverteilung.
Die Fronten verschwimmen
Viertens verdeutlicht der Erfolg des mileischen Rechtspopulismus, dass die deutsche Rechte, insbesondere jene, die sich als Sozialpatrioten bezeichnen, nicht darauf verzichten sollten, die großen Denker der libertären und ordoliberalen Schule zu studieren: Mises, Hayek, Rothbard, Röpke und andere. Würden sie dies tun, würden sie erkennen, dass diese Denker keineswegs Apologeten des Fortschrittsgedankens, des atomaren Individualismus oder des „kaltblütigen Marktradikalismus“ sind. Vielmehr greifen sie konsequent den monopolistischen Korporatismus sowie die Vereinnahmung des Staates durch Wirtschaftslobbys an und betonen den fundamentalen Wert von Kultur, Traditionen und den natürlich gewachsenen sozialen Bindungen.
Nicht zuletzt verdeutlicht ein Rückblick in die (Wirtschafts-)Geschichte, dass ein freier Markt und ein rechtes Pathos keineswegs im Widerspruch zueinander stehen, sondern vielmehr zusammen für ein Zeitalter des Wohlstands und des Ruhms gesorgt haben. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert trugen Handelsliberalisierung, eine stabile Währung in Form des Goldstandards, ein schlanker, aber dennoch starker Ordnungsstaat sowie die führende Rolle von Brauchtum, Christentum und der traditionellen Familie gleichermaßen dazu bei, dass sowohl das damalige Argentinien als auch das Deutsche Kaiserreich zu dem wurden, was wir heute kennen und schätzen: zwei der damals wohlhabendsten Staaten der Welt mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung und gestandenen Persönlichkeiten, gekrönt von markanten Bärten. Based!
Zur Person:
Jurij Kofner ist gebürtiger Münchner und arbeitet als Ökonom beim Miwi Institut.