So unterdrückt Deutschland die Opposition
Seit Jahren haben die Behörden die rechte Szene im Visier. Aktuell steht der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wegen einer Aussage in einer Rede vor Gericht. Doch nicht nur Politiker, auch Organisationen und Vereine aus dem vorpolitischen Raum geraten immer wieder ins Visier der Behörden. Der Kampf gegen Rechts wird vor allem dann intensiviert, wenn rechte Parteien wie die AfD in der Gesellschaft an Zuspruch gewinnen.
Seit dem 18. April muss sich Björn Höcke vor dem Landgericht Halle verantworten. Um den Prozess zu ermöglichen, hatte der Thüringer Landtag zuvor Höckes Immunität als Landtagsabgeordneter aufgehoben. Inzwischen, und das ist ein Rekord in der demokratischen Geschichte Deutschlands, zum achten Mal. Sein Vergehen? Vor drei Jahren hatte Höcke auf einer Kundgebung in Merseburg gesagt: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“
Die Staatsanwaltschaft interpretiert die Aussage „alles für Deutschland“ als eine Anspielung auf das Motto der SA. Höcke sieht das anders. Auf X erklärte er dem Tech-Milliardär Elon Musk, dass in Deutschland jeder Patriot als Nazi diffamiert werden könne, da sich das deutsche Strafgesetzbuch erheblich von denen anderer Demokratien unterscheide. Sollte das Gericht der Staatsanwaltschaft folgen, droht Höcke nach § 86a StGB eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Drei Wörter reichen
Auf Telegram bezeichnete Höcke die Anklage als Diskriminierung: Niemand werde für die Aussage „alles für die Türkei“ strafrechtlich verfolgt. Die Politisierung des Prozesses zeige sich daran, dass die Anzeige gegen Höckes Merseburger Rede vom Grünen-Politiker Sebastian Striegel stammt. Die parlamentarische Immunität sei für Oppositionspolitiker inzwischen „sinnlos“ geworden. Die linke Regierung in Thüringen könne bei der Verfolgung der AfD auf die Oppositionspartei CDU zählen, so Höcke. Auch die Schweizer Weltwoche bemerkte, dass das Motto „alles für Deutschland“ schon oft von Prominenten und Journalisten verwendet worden sei, ohne dass dies rechtliche Konsequenzen gehabt hätte.
Umfragen zufolge wird die AfD bei den Landtagswahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft. Die Aussicht auf eine AfD-geführte Landesregierung in Mitteldeutschland hat die politischen Wogen nicht geglättet: Bislang haben rund 1,7 Millionen Personen eine Online-Petition unterschrieben, die den Entzug der politischen Rechte von Höcke fordert. Ein Erfolg dieser Forderung wäre einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik.
Im Januar forderte der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) ein Verbot der AfD. Am vergangenen Wochenende schlossen sich die niedersächsischen Grünen auf ihrem Parteitag Wanderwitzens Forderung an. Armin Schuster (CDU) zweifelt an der Machbarkeit eines AfD-Verbots. Der sächsische Innenminister weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht einem Verbotsantrag nur dann folgen würde, wenn alle 16 Geheimdienste der Länder und der Verfassungsschutz die Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufen würden. Bislang, bedauert Schuster, hätten nur die Geheimdienste von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die AfD mit diesem wenig schmeichelhaften Prädikat versehen.
Rechte distanzieren sich von Gewalt, Linke nicht
Mathias Brodkorb kritisiert die Debatte um ein AfD-Verbot: In dem Buch „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?“ warnt der Ex-Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern davor, dass die Bundesregierung den Geheimdienst zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit einsetze. Anders als alle westlichen Geheimdienste bekämpfe der „Verfassungsschutz“ nicht in erster Linie extremistische Gewalt, sondern Meinungen, die er für verfassungsfeindlich halte. „Rechtsextremismus“ sei ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine inflationäre Verwendung werde zur Kriminalisierung der Opposition missbraucht. Anders als bei Verwaltungsakten gebe es für den Bürger keine Möglichkeit, sich gegen Diffamierungen durch den „Verfassungsschutz“ im Widerspruchsverfahren zu wehren. Zudem sei der „Verfassungsschutz“ nicht neutral. Der Präsident des „Verfassungsschutzes“ werde nämlich durch den Bundesinnenminister ernannt und sei diesem gegenüber weisungsgebunden, so Brodkorb.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sowohl Innenministerin Nancy Faeser als auch Brodkorb der SPD angehören. Im Juli 2021 bezeichnete Faeser im linken Magazin Antifa das Internet als eine „Radikalisierungsmaschine“. Der Kampf gegen Rechts gehöre „zur DNA meiner Partei“, gelobte die damalige Landtagsabgeordnete. Im März 2022 stellte Faeser – inzwischen Innenministerin und neben „Verfassungsschutz“-Präsidenten Thomas Haldenwang (CDU) sitzend – einen „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ vor. Demnach will Faeser unter anderem die Finanzquellen rechter Netzwerke austrocknen, Hass im Internet bekämpfen und rechte Beamte aus dem Staatsdienst entfernen.
Ein Jahr später sagte Thomas Haldenwang, die Umfrageerfolge der AfD machten ihm Sorgen: Der Geheimdienstchef wolle mit seiner Behörde Volk und Politiker „wachrütteln“. Im April 2023 erklärte Haldenwangs „Verfassungsschutz“ das neurechte Institut für Staatspolitik und das Bürgernetzwerk Ein Prozent als „gesichert rechtsextremistisch“. Die Begründung für die öffentliche Erklärung, die weite Kreise zog, lautet: „Die propagierte Vorstellung, dass es ein deutsches Volk jenseits des im Grundgesetz als der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen definierten Staatsvolkes gebe, impliziert eine Herabsetzung von eingebürgerten Staatsangehörigen zu Deutschen zweiter Klasse.“
Merkwürdige Argumentationen
Anfang Mai 2023 kommentierte Ein Prozent die Erklärung: „Man muss in diesem Land kein wirkliches Verbrechen begehen, um von den Regierenden zum Staatsfeind erklärt zu werden. Es reicht einzig und allein das geschichtliche Bewusstsein, dass es Deutsche bereits vor der Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik gab, um von den Diensten ins Visier genommen zu werden.“ Ein Prozent zufolge spricht die Begründung des „Verfassungsschutzes“ den heutigen Kurden und den Juden vor der Gründung Israels ihre Identität als Volk ab. Zudem erkenne Artikel 116 des Grundgesetzes die Existenz eines deutschen Volkes vor seinem Inkrafttreten im Jahr 1949 ausdrücklich an. Der „Verfassungsschutz“ habe sich in seiner Begründung in innere Widersprüche verwickelt, so Ein Prozent.
Anfang Juni distanzierte Götz Kubitschek sein Institut für Staatspolitik vom Vorwurf des Extremismus: Weder das neurechte Vorfeld noch die AfD heiße Gewalt gut: „Es gibt keinen Applaus für Gewalttaten, es gibt keinen strukturellen Rückzugsraum für und keine Solidarität mit Gewalttätern.“ Diese Abgrenzung von Gewalt, so Kubitschek, sei im linken Spektrum so nicht zu finden. Das zeige der Fall Lina E., die kurz zuvor wegen ihrer Mitgliedschaft in der linksterroristischen „Hammerbande“ zu einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Lina E. hatte jahrelang Überfälle auf politische Gegner organisiert: Im März 2021 drangen als Polizisten verkleidete Mitglieder der „Hammerbande“ in die Wohnung des Nationalisten Paul Rzehaczek in Eilenburg ein. Die Angreifer fesselten Rzehaczek und zertrümmerten seine Sprunggelenke mit Hämmern. Vor ihrer Flucht entleerten sie eine Dose Pfefferspray in seinem Gesicht und übergossen das Opfer mit Chlor. Ermittlungen ergaben später, dass einer der Täter, Thomas J., in Syrien bei einer Terrorgruppe eine Ausbildung als Scharfschütze absolviert haben soll. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler Notizen, die offenbar die Ausbildungserfahrung von J. in Syrien wiedergaben. Einen Monat später ereignete sich in Erfurt ein ähnlicher Überfall. Als Polizisten verkleidete Antifas brachen die Tür eines anderen Nationalisten auf und fesselten den Mann und seine Frau. Nachdem sie ihm ein Bein gebrochen hatten, gossen sie Chlor über die wehrlosen Opfer. Im Februar 2023 erregte die „Hammerbande“ durch brutale Angriffe auf insgesamt neun Personen in Budapest internationale Aufmerksamkeit.
Götz Kubitschek kritisierte, dass Lina E. umgehend nach ihrer Verurteilung zu fünfeinhalb Jahren Haft Ende Mai 2023 auf freien Fuß gesetzt wurde. Für Kubitschek ist die Freilassung von E., die zuvor bereits zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen hatte, eine Ohnmachtserklärung des Staates. Während des Prozesses hatten linke Aktivisten wiederholt „Faschofreunde“ in Richtung der Richterbank gerufen. Der vorsitzende Richter, Hans Schlüter-Staats, nannte E.s Kampf gegen Rechts „achtenswert“.
Messen mit zweierlei Maß
Wie Kubitschek ist auch die Linke, wenngleich aus diametral entgegengesetzten Gründen, mit dem Urteil unzufrieden: Der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, sprach auf X von einem „völlig übertriebenem“ Urteil und forderte: „#FreeLina!“ Ein Mitglied der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhauses kommentierte: „Wer sich gegen Nazis organisiert, ist nicht kriminell.“ Diese Aussage folgt einem Muster, das Die Linke schon im April 2021 mit der Solidaritätserklärung „Wir sind alle Linx!“ gesetzt hatte: „Wir fordern das Ende der Kriminalisierung von Antifaschismus und die Freilassung von Lina“, heißt es in der Erklärung, die vom Parteivorstand der Linken unterstützt wird.
Am bezeichnendsten für die Rolle des deutschen Parteienstaats ist wohl die Tatsache, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung nach wie vor von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen ist. Selbst die Rosa-Luxemburg-Stiftung erhielt im vorletzten Jahr 80 Millionen Euro Steuergelder. Kritiker dieser Ungleichbehandlung verweisen auf Artikel 21 des Grundgesetzes. Danach entscheidet allein das Bundesverfassungsgericht über den Ausschluss von Parteien von der staatlichen Finanzierung. In der Verfassungswirklichkeit umgeht der parteienbeherrschte Bundestag diese Vorschrift durch Gesetze, die er mit einfacher Mehrheit beschließt. Der Bundestag schließt die AfD auch von der Mitgliedschaft in wichtigen Gremien wie dem Bundestagspräsidium und dem Parlamentarischen Kontrollgremium aus. Letzteres ist wegen seiner Kontrollfunktion gegenüber den drei Geheimdiensten des Bundes von herausragender Bedeutung.
Die Linke hat kürzlich ihren begehrten Sitz im Parlamentarischen Kontrollgremium verloren. Dies geschah nicht, weil sich die anderen Parteien über die Solidarität der Linken mit verurteilten Terroristen empörten. Der Ausschluss der Linken hängt vielmehr damit zusammen, dass neun Abtrünnige die Linksfraktion verlassen haben und eine Konkurrenzpartei gründeten. Dem Verlust des Fraktionsstatus folgte der Rauswurf aus dem Kontrollgremium. Die Anführerin der Abtrünnigen, Sahra Wagenknecht, signalisierte im Februar 2024 ihre Bereitschaft, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Doch auch Wagenknechts Toleranz hat Grenzen: „Wir werden nicht mit Extremisten zusammenarbeiten. Herr Höcke ist ein Rechtsradikaler. Damit haben wir nichts zu tun.“