Undercover unter Grünen: Wie die Grünen tatsächlich über ein AfD-Verbotsverfahren denken
Von dieser Zoom-Konferenz sollte wohl niemand erfahren: Doch FREILICH war live dabei, als am Dienstagabend hochrangige Politiker das Verbot der AfD planten.
Es begann mit einem unscheinbaren Einladungslink zu einer Zoom-Konferenz. Schnell war man angemeldet und konnte den Teilnehmern zuhören. FREILICH war undercover dabei, als hochrangige Politiker von Grünen und SPD über das AfD-Verbotsverfahren diskutierten.
Doch der Reihe nach: Die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast verriet den rund 30 Teilnehmern: Die folgende Konferenz sei „so geheim“, dass der Hauptredner erst mit einiger Verspätung einen Link zur Teilnahme erhalten habe. Im Vorfeld erfuhr FREILICH: Nur ausgewählte Bundestagsabgeordnete wurden per E-Mail eingeladen – zumindest laut Plan, denn der Link ging auch an viele andere. Nicht willkommen dagegen: Abgeordnete der AfD. Denn bei der Konferenz am Dienstagabend diskutierten die Teilnehmer, dass der Verfassungsschutz vor der Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens dem Bundestag zunächst belastbares Material über die AfD zur Prüfung vorlegen sollte.
Grundlage dafür ist ein zweistufiger Antrag, den Grünen-Politiker um die Bundestagsabgeordnete Künast in den Bundestag einbringen wollen. Künast erläuterte in der Konferenz die Forderung ihres Antrages, das freie Mandat der gewählten AfD-Abgeordneten abzuschaffen.
Eine grüne Geheimkonferenz
Mit einigen Minuten Verspätung betrat Hauptredner Christoph Möllers die Bühne: Der Berliner Verfassungsrechtler kritisierte den konkurrierenden Entwurf des CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz für einen AfD-Verbotsantrag als „fragwürdig“. Und unbegründet. Denn sobald 37 Bundestagsabgeordnete vor dem Bundesverfassungsgericht klagten, müssten die Geheimdienste ihre Spitzel aus der AfD abziehen. Im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren, in dem Professor Möllers den Bundesrat vertrat, hatte Karlsruhe moniert, die von V-Leuten durchsetzte Rechtspartei sei als verlängerter Arm des Innenministeriums zu betrachten. Eine Partei mit zweistelligen Zustimmungswerten wie die AfD zu verbieten, so Möllers, sei „irgendwie auch schon krass“.
Einen Tag nach der Geheimkonferenz brachte Wanderwitz seinen Verbotsantrag-Antrag mit der Unterstützung von 113 Abgeordneten in den Bundestag ein. Nicht dabei: Renate Künast. Die Grünen-Abgeordnete kritisierte den Wanderwitz-Antrag gegenüber den Medien als verfrüht.
Die Angst vor dem Scheitern
Die Beteiligten stehen unter Zeitdruck: Anfang der Woche haben sich Union und SPD auf Neuwahlen am 23. Februar 2025 geeinigt, und Künast, die als ernährungspolitische Sprecherin seit einiger Zeit in der zweiten Reihe ihrer Fraktion agiert, könnte etwas Profilierung gut gebrauchen. Die SPD-Politikerin Maja Wallstein sieht in der rot-grünen Minderheitsregierung, die durch den Rückzug der FDP entstanden ist, ein „ultra-schlechtes, politisches Zeichen“.
Trotz des Zeitdrucks wollen die Beteiligten nichts überstürzen: Lukas Benner, der seiner grünen Parteifreundin Künast bei der Ausarbeitung des Antrags geholfen hat, warnte in der Konferenz: Scheitert ein Verbotsverfahren bereits in der Vorprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht, bekommt die AfD einen „Brief mit Siegel“ und dem „Adler von Karlsruhe drauf“.
Künast weiß: Die Hürden für ein Parteiverbot sind extrem hoch, „extremistisch“ muss noch lange nicht „verfassungswidrig“ sein. Die Grünen-Politikerin wies darauf hin, dass die Bundesregierung bisher keinen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren gestellt hat. Dies könne daran liegen, dass Nancy Faeser (SPD), die schon als Gastautorin für das linke Magazin antifa geschrieben hat, noch nicht genug belastbares Material über die AfD gesammelt habe, gab Künast zu bedenken.
Verfahren gegen die AfD schwieriger
Auch Professor Möllers beklagte die Intransparenz von Faesers Inlandsgeheimdienst: Von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster im Mai 2024 sei lediglich das Urteil veröffentlicht worden. Über die Beweisführung tappe die Öffentlichkeit hingegen im Dunkeln. Möllers bezeichnete sich mit Blick auf ein AfD-Verbotsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt als „Skeptiker“. Um Zweifel auszuräumen, müsse ein Verbotsverfahren als „konzertierte Aktion von Bundestag und Bundesregierung“ durchgeführt werden. Man müsse den Sinn eines Verbots „möglichst vielen Parteien erklären“. Er selbst sehe sich allerdings noch nicht in der Lage, diese Erklärung vor einer breiten Öffentlichkeit abzugeben.
Möllers betonte, dass ein Verbotsverfahren gegen die AfD ungleich schwieriger wäre als das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD. Denn anders als diese habe die AfD ein „sauberes Programm“. Anders als im NPD-Verfahren, in dem vor allem öffentlich zugängliche Beweismittel verwendet worden seien, müsse man sich in einem Verfahren gegen die AfD vermutlich stärker auf nachrichtendienstlich gewonnene Beweise stützen. Nachrichtendienstliche Beweismittel seien aber vor Gericht in vielerlei Hinsicht problematisch. Und schließlich: Ein Verbot der AfD würde außenpolitisches Neuland bedeuten. Ob Möllers damit auf den Rechtsruck in Europa und die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten anspielt, ließ er offen.
Ohne Nancy geht es nicht
Der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner beklagte, dass der Bundestag als Antragsteller in einem Parteiverbotsverfahren im Nachteil sei: Anders als Bundesregierung und Bundesrat habe das Parlament keine Behörden hinter sich, die einen wasserdichten Antrag ausarbeiten könnten. Deshalb müsse nun der Inlandsgeheimdienst von Nancy Faeser dem Bundestag belastendes Material über die AfD für ein Verbotsverfahren liefern.
Möllers stimmte zu, dass sich aus dem Recht des Bundestages, einen Antrag auf Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens zu stellen, auch das Recht auf Information durch den Inlandsgeheimdienst ergebe. Die Art und Weise, wie das Innenministerium von Nancy Faeser, der der Inlandsgeheimdienst untersteht, „mit Recht umgeht“, sei allerdings „kleinteilig“. Das schlimmste Szenario wäre, wenn Bundesregierung und Bundestagsmehrheit bei der Vorbereitung eines Verbotsverfahrens nicht an einem Strang zögen. Das würde die Legitimität eines Verbotsantrags in Frage stellen, so der Professor.
Möllers erinnerte: Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren wurde seinerzeit vom Bundesrat beantragt. Ohne die enge Zusammenarbeit der im Bundesrat vertretenen Landesregierungen mit der Bundesregierung wäre ein Verbotsverfahren damals nicht durchführbar gewesen.
Die AfD draußen halten
Der grüne Bundestagsabgeordnete Karl Bär, der mit seiner Parteifreundin Künast im Ernährungsausschuss sitzt, gab zu bedenken: Wenn man den Bundestag mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen über die Opposition füttern würde, bekäme dann nicht auch die AfD diese Informationen? Möllers wiegelt ab: „Ich muss mal ’ne ganz dumme Frage stellen, ist mir ganz peinlich, dass ich das nicht weiß, aber Sie wissen das alle: Sitzt die AfD im Parlamentarischen Kontrollgremium?“ Die Antwort von Künast: „Nein!“
Das Parlamentarische Kontrollgremium ist ein Ausschuss des Bundestages, der die Geheim- und Nachrichtendienste kontrolliert. Es gehört zu den parlamentarischen Gepflogenheiten, dass jede Fraktion entsprechend ihrer Stärke Mitglieder in die Ausschüsse entsenden kann. So steht es in § 12 der Geschäftsordnung des Bundestages. Doch bisher haben die Altparteien verhindert, dass die AfD Abgeordnete in das Parlamentarische Kontrollgremium entsenden kann, um dem Geheimdienst von Innenministerin Nancy Faeser auf die Finger zu schauen.
Damit das so bleibt, schlug Professor Möllers vor, sich eine „Konstruktion auszudenken“, bei der das Parlamentarische Kontrollgremium gemeinsam mit einem weiteren Gremium die Willensbildung für den Bundestag übernimmt. Diese Gremien sollten, so Möllers, stellvertretend für den Rest der Parlamentarier entscheiden, ob der Bundestag ein Verbotsverfahren gegen die AfD einleiten soll.
Ist das noch demokratisch?
Zum Thema Demokratie meldete sich Matthias Gastel zu Wort. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen wollte wissen, ob ein Verbot der AfD aufgrund der Größe der Partei aus demokratischer Sicht problematisch sein könnte. Denn im Falle eines Verbots wären die Parlamente durch den Wegfall der AfD-Mandate „nicht mehr repräsentativ besetzt“.
Dazu Möllers: Das Verbot einer Partei von der Größe der AfD sei „kein Problem“. Problematisch sei nur der Verlust von Mandaten. Denn das könne gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Auch Künast sieht einen Eingriff in das freie Mandat nicht unkritisch: „Naja, weil man da Mandate aberkennt, was schon nicht ohne ist, ne. Wenn wir historisch mal gucken, was hier in diesem Reichstag oder in der Kroll-Oper los war,“ so Künast.