Drei aktuelle Bruchstellen der Weltpolitik: Ukraine, Pazifik und Naher Osten

Der Weltpolitik stehen unruhige Zeiten bevor. Jede mögliche Wende in Europa, im Pazifik oder im Nahen Osten wird den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen beeinflussen, meint FREILICH-Autor Dr. Seyed Alireza Mousavi in seiner Analyse.

18.9.2024
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5 Minuten Lesezeit
Drei aktuelle Bruchstellen der Weltpolitik: Ukraine, Pazifik und Naher Osten
© IMAGO / MediaPunch

Der Westen ist erneut dabei, eine von Russland gezogene rote Linie zu überschreiten. US-Präsident Biden steht offenbar kurz davor, der Ukraine die Stationierung westlicher Langstreckenwaffen auf russischem Territorium zu gestatten, solange sie keine US-Waffen einsetzt. Aus diesem aktuellen Anlass führte US-Präsident Biden kürzlich in den USA Gespräche mit dem britischen Premierminister Keir Starmer. Aus Washington verlautete, dass es vorerst keinen Strategiewechsel der USA bei der Lieferung von Langstreckenwaffen an Kiew geben werde. Laut der britischen Tageszeitung Guardian soll Großbritannien jedoch in Absprache mit den US-Amerikanern bereits die Entscheidung getroffen haben, der Ukraine den Einsatz von Storm-Shadow-Marschflugkörpern gegen Ziele tief in Russland zu erlauben. Dem Bericht zufolge soll die Entscheidung jedoch nicht öffentlich gemacht werden.

Einsatz von Langstreckenwaffen auf russischem Territorium

Alles deutet darauf hin, dass die USA nach der ukrainischen Invasion bei Kursk Russland weiter unter Druck setzen wollen, ohne selbst die Verantwortung für eine neue Runde in der Eskalationsspirale zu übernehmen. Tatsächlich versuchen die USA, sich aus dem Konflikt in Europa herauszuhalten, indem sie London grünes Licht geben wollen, den Stellvertreterkrieg mit Moskau durch den Einsatz britischer Langstreckenwaffen von Kiew auf russisches Territorium zu eskalieren. Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Westen bereits davor gewarnt, weitreichende Angriffe zuzulassen. Eine Zustimmung des Westens zum Einsatz weitreichender Waffen durch die Ukraine gegen Ziele in Russland würde bedeuten, so der russische Präsident, dass sich die NATO-Staaten „im Krieg“ mit Russland befänden.

Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert seit Monaten, die französisch-britischen Marschflugkörper SCALP/Storm Shadow und die US-amerikanischen Artillerieraketen ATACMS innerhalb Russlands einsetzen zu dürfen. Dies würde den Charakter des Konflikts erheblich verändern. Ziel Kiews sei es, die russische Logistik zu stören und die Luftwaffenstützpunkte weit hinter der russisch-ukrainischen Grenze anzugreifen. Washington beschränkt den Einsatz von Waffen aus amerikanischer Produktion bislang auf die Abwehr der russischen Offensive gegen die ostukrainische Stadt Charkiw.

Gleichzeitig kursierten Gerüchte, die USA wollten die Bundesregierung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine drängen. Bundeskanzler Scholz schloss jedoch bei einem Bürgerdialog im brandenburgischen Prenzlau die Lieferung weitreichender Präzisionswaffen an die Ukraine auch für die Zukunft und unabhängig von Entscheidungen der Bündnispartner erneut aus. Nach den Wahlsiegen der AfD in Thüringen und Sachsen und voraussichtlich noch in diesem Monat in Brandenburg hat Scholz offenbar keinen Spielraum mehr für eine weitere riskante Entscheidung, die sein politisches Schicksal besiegeln könnte. Das Parteiensystem der BRD sei nach dem Wahlsieg der AfD und dem Wahlerfolg des BSW „unter beispiellosen Druck geraten“, kommentierte das internationale Wochenmagazin The Economist.

Wollen die USA den Krieg in den Pazifik tragen?

In Asien sind die Rivalen der USA dabei, ihre Kräfte zu bündeln, um die US-Vorherrschaft in der Region weiter anzugreifen. In der vergangenen Woche fand in St. Petersburg die 14. Sicherheitskonferenz der BRICS-Staaten statt. Die Vertreter der BRICS-Gruppe sollen nach russischen Angaben darüber beraten haben, wie sie gemeinsam gegen die vom Westen aufgezwungene „regelbasierte Ordnung“ vorgehen können.

Auch China warb vergangene Woche auf dem jährlichen Xiangshan-Forum in Peking für eine engere Zusammenarbeit mit dem globalen Süden. Russland warnte unterdessen davor, dass die USA militärische Konflikte in den asiatisch-pazifischen Raum verlagern wollen. Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin wählte in seiner Rede auf dem Sicherheitsforum in China scharfe Worte: Die USA versuchten, China und Russland in der Region einzudämmen und sich durch die Bildung neuer Sicherheitsblöcke auf einen Krieg in Asien vorzubereiten.

Die Russen arbeiten intensiv daran, die Chinesen für eine schärfere Konfrontation mit dem Westen zu gewinnen. Denn die Entwicklungen im Pazifik deuten darauf hin, dass Washington seine militärische Präsenz in der Region ausbauen will. CIA-Direktor Bill Burns kündigte vergangene Woche an, 20 Prozent seines Budgets für China auszugeben - eine Steigerung um 200 Prozent innerhalb von drei Jahren. Zur Strategie der USA gehört auch die Stationierung schwerer Waffen in der Region. So hat die US-Regierung ihr Interesse an der Stationierung eines Mittelstreckenraketen-Systems in Japan bekundet. China ist bereits empört. Denn damit stünden amerikanische Mittelstreckenraketen quasi vor der Haustür.

Auch in den ostasiatischen Gewässern ist die Lage inzwischen angespannt. Und mit starker Präsenz mischen auch EU-Staaten im Pazifik mit. In den vergangenen Wochen passierten Kriegsschiffe mehrerer europäischer Staaten, darunter auch deutsche, die Taiwanstraße. „Die Taiwan-Frage ist keine Frage der Freiheit der Schifffahrt, sondern der Souveränität und territorialen Integrität Chinas“, hieß es in einer Erklärung der chinesischen Botschaft in Berlin.

Russland machte in der vergangenen Woche mit einer groß angelegten Militärübung auf sich aufmerksam. Die Übung „Okean-2024“, benannt nach dem russischen Wort für Ozean, knüpfte an gleichnamige Manöver der Sowjetunion an. An der Neuauflage nahmen nach Angaben des Kremls unter anderem mehr als 90.000 Soldaten, über 400 Schiffe sowie 125 Flugzeuge und Hubschrauber teil. Das Manöver fand auf mehreren Meeren statt. Sie bot alles, was im Westen als Drohkulisse wahrgenommen werden könnte: Schauplätze vom Fernen Osten über das Mittelmeer bis zur Ostsee mit chinesischer Beteiligung. Russland will damit signalisieren, dass es von allen strategischen Gewässern aus einen Krieg gegen den Westen führen könnte.

Im Nahen Osten wächst die Angst vor einem neuen Krieg

Der Zermürbungskrieg zwischen Israel und der Hisbollah hat sich in den vergangenen Tagen wieder verschärft (FREILICH berichtete). Die israelische Luftwaffe flog Angriffe nicht nur im Süden des Libanon, sondern auch in der Bekaa-Ebene im Osten des Landes, weit außerhalb der üblichen Kampfzone. Die Hisbollah wiederum feuerte täglich Dutzende Raketen auf Israel ab. Die vom Iran unterstützte schiitische Organisation hatte am 8. Oktober eine neue Front an der Nordgrenze Israels eröffnet, um die Hamas im Gazastreifen zu entlasten. Seitdem sind auf beiden Seiten der Grenze zehntausende Menschen durch die Gewalt vertrieben worden.

Tatsächlich scheint ein Grenzabkommen derzeit in weiter Ferne, da die Hisbollah ihre Verhandlungsbereitschaft an ein Ende des Krieges im Gazastreifen knüpft. Mit dem Scheitern der Waffenstillstandsverhandlungen im Gazastreifen ist nun eine Ausweitung des Gazakrieges auf den Libanon sehr wahrscheinlich. Ein heißer Krieg zwischen der Hisbollah und Israel würde die Region in Flammen setzen. Im Falle einer Ausweitung dürften auch andere Verbündete des Iran ihre Angriffe auf Israel verstärken, darunter die Huthi im Jemen. Eine mögliche Invasion des Libanon würde auch die USA in einen neuen Krieg gegen Israel hineinziehen.

Vor allem die jüngste Operation der israelischen Armee in Syrien deutet darauf hin, dass sich Tel Aviv auf eine Invasion des Libanon vorbereitet. In einem gewagten Luftlandemanöver griff Israel in den vergangenen Tagen eine „Fabrik für Präzisionsraketen“ in Syrien an, wobei israelische Hubschrauber in den syrischen Luftraum eindrangen und mehrere Dutzend israelische Kommandosoldaten absetzten. Ziel war eine unterirdische Bunkeranlage, in der der Iran angeblich Waffen für die Hisbollah baute. Mit dem Bau der unterirdischen Anlage, die aus der Luft nicht zerstört werden kann, soll Teheran in Absprache mit der Hisbollah und Syrien begonnen haben, nachdem eine Reihe von israelischen Luftangriffen den Großteil der iranischen Raketenproduktionsinfrastruktur in Syrien zerstört hatte. Offenbar will Israel vor einem erneuten Einmarsch in den Libanon zunächst die Nachschublinie der Hisbollah in Syrien unterbrechen.

Es brennt derzeit überall auf der Welt. Jede mögliche Wende in Europa, im Pazifik oder im Nahen Osten wird vor allem den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen beeinflussen. Jede neue Eskalationsspirale bedeutet mehr Flüchtlingsströme und noch höhere Inflation im Westen. Damit steigen auch die Chancen von Ex-Präsident Trump, die Wahlen in den USA zu gewinnen. Biden wird nun alles daran setzen, Herr der Lage in der Weltpolitik zu werden, damit seine Vize Kamala Harris als Siegerin aus der Präsidentschaftswahl hervorgeht. Im Ukraine-Krieg versucht er zunächst, die USA aus einer weiteren Eskalation herauszuhalten. Im Nahostkonflikt strebt er weiterhin eine Einigung zwischen der Hamas und Israel an. Den Konflikt mit China versucht Biden unter einer Schwelle zu halten, die eine Abkopplung Chinas vom Westen und eine weitere Annäherung an Russland bedeuten würde.

Über den Autor

Seyed Alireza Mousavi

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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