Börsenspekulation: Investoren erwarten Ende der Schuldenbremse
Aktuell spekulieren Investoren auf eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse, während sich die Märkte auf eine höhere Kreditaufnahme Berlins einstellen.
Berlin. – In den vergangenen Wochen ist ein zentraler Marktindikator für deutsche Staatsanleihen erstmals unter Null gefallen: Die Rendite von Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit liegt nun über dem Zinssatz für Euro-Zinsswaps gleicher Laufzeit. Dieser sogenannte Swap-Spread ist besonders sensibel für die Erwartungen zukünftiger Anleiheemissionen. Tomasz Wieladek, Chefökonom von T Rowe Price, deutet diese Entwicklung laut Financial Times als Zeichen dafür, dass eine vorgezogene Wahl eine Reform der Schuldenbremse bedeuten könnte. Das würde wiederum mehr Anleiheemissionen nach sich ziehen.
Die Schuldenbremse im politischen Fokus
Die Swap-Spreads in Deutschland waren lange Zeit positiv, was im Vergleich zu anderen großen Märkten, wo sie häufig unter Null gehandelt werden, ungewöhnlich ist. Dieser Unterschied erklärt sich aus der relativen Knappheit von Bundesanleihen, die als risikoarme Benchmark für die Eurozone gelten. Die traditionell zurückhaltende Kreditaufnahme Deutschlands hat diese Knappheit noch verstärkt.
Die 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, angepasst an den Konjunkturzyklus. Für die 16 Bundesländer gilt ein absolutes Neuverschuldungsverbot. Während der Coronapandemie und nach Beginn des Ukrainekriegs ausgesetzt, ist es in diesem Jahr wieder in Kraft getreten.
Politische Krise und mögliche Neuwahlen
Kritiker bemängeln seit langem, dass die Schuldenbremse zu unflexibel sei, um dringend notwendige Investitionen etwa in die Infrastruktur zu ermöglichen. Politisch ist die Schuldenbremse Gegenstand eines Streits zwischen linken Kräften, die Reformen fordern, und konservativen Stimmen, die an ihr festhalten wollen, um künftige Generationen vor übermäßiger Verschuldung zu schützen.
Der Streit um die Schuldenbremse führte Anfang November zum Bruch der Ampelkoalition. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte eine Aussetzung der Schuldenbremse zugunsten höherer Ausgaben, unter anderem für die Ukraine-Hilfe. Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte dies ab, woraufhin Scholz ihn entließ. Daraufhin verließ die FDP die Regierung und Scholz verlor seine parlamentarische Mehrheit. Am 16. Dezember will der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar frei zu machen. Die CDU, die laut Umfragen gute Chancen auf einen Wahlsieg hat, könnte von der Krise profitieren.
CDU deutet Reformbereitschaft an
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der die Schuldenbremse bislang für unantastbar hielt, zeigte sich zuletzt offen für Reformen. Auf einer Wirtschaftskonferenz sagte er, nur wenige Artikel der Verfassung seien unveränderbar. Alles andere könne man diskutieren und reformieren. „Die Frage ist: Wozu? Mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein.“ Merz sagte weiter: „Ist das Ergebnis: Es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein.“
Deutschlands Markt verliert seinen Sonderstatus
Laut Rohan Khanna, Leiter der europäischen Zinsforschung bei Barclays, spiegelt die Entwicklung der Swap-Spreads einen grundlegenden Wandel in der deutschen Wirtschaft wider. Das Land bewege sich von einem Modell mit hohen Wachstumsraten und geringer Verschuldung hin zu einem System mit geringerem Wachstum und höherer Verschuldung. Dies sei ein Zeichen dafür, dass der deutsche Anleihemarkt und die deutsche Wirtschaft ihren ideologischen Sonderstatus verloren hätten, so Khanna. In den kommenden Monaten könnte sich entscheiden, ob Deutschland seinen finanzpolitischen Kurs neu ausrichtet – mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft, Politik und Anleihemärkte.