Rechtsanwalt Roscher-Meinel zu § 130 StGB-Ausweitung: „Ein bisschen wie im Kriegsrecht“
Der Volksverhetzungsparagraf § 130 StGB wurde in einem Schnellverfahren erweitert. Nun soll auch das „gröbliche Verharmlosen“ von Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. Die Konsequenzen sind laut dem Rechtsanwalt Markus Roscher-Meinel für die Meinungsfreiheit und den politischen Diskurs problematisch.
Freilich: Herr Roscher-Meinel – es gab eine große Aufregung im Netz über die Ausweitung des Volksverhetzungsparagrafen § 130 StGB. „Diese Neuregelung ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit“ schrieb der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen auf Twitter. Können Sie kurz für juristische Laien die Bedeutung und den Hintergrund des Paragrafen erklären?
Roscher-Meinel: § 130 StGB ist bereits jetzt ein sehr politischer Paragraf. Als Freund der Meinungsfreiheit habe ich grundsätzlich ein Problem damit, Meinungen, sofern sie nicht beleidigend oder verleumdend sind (§§ 185 ff. StGB), zu verbieten. Wenn man politische Tatsachen leugnet oder entstellt, mag dies von Dummheit zeugen: Sollte Dummheit jedoch bereits unter Strafe stehen, wäre die jetzige Regierung Deutschlands einer massiven Strafverfolgung ausgesetzt. Aber, „Spaß“ beiseite. Die neue Erweiterung verbietet die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung von Völkermord und diversen Kriegsverbrechen, die in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) aufgezählt sind. Das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer politischen Wertung bedürfen. Es handelt sich mithin um einen „Gummiparagrafen“, der Missbrauch und Ausuferung durch die Verfolgungsbehörden Tür und Tor öffnet.
Nun soll auch das „gröbliche Verharmlosen“ von Kriegsverbrechen geahndet werden. Das klingt auf den ersten Blick relativ unwichtig, oder? Wo steckt hier der vermeintliche Angriff auf die Meinungsfreiheit?
Das Problem fängt schon damit an, dass man die Bombardierung eines Angriffsziels für notwendig oder aber eben nicht für notwendig, oder gar verbrecherisch halten kann. Aus meiner Sicht waren die Bombenangriffe auf Dresden und andere deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg glasklare Kriegsverbrechen. In England wurden einem dafür Denkmäler gesetzt. Und diverse Linke wünschten sich sogar Bomber Harris zurück. Kürzlich wurde ein Angriff der Russen mit 80 Raketen von ukrainischer Seite als Völkermord bezeichnet. Was war dann zum Beispiel der Angriff auf Kassel am 22.10.1943 mit 420.000 Stabbrandbomben und 10.000 Toten in nur einer Nacht? Diese Fragen sind viel zu komplex, um sie mit den Mitteln des Strafrechts zu behandeln.
Aus der Sicht eines Laien wirkt die Änderung sehr schwammig. Ist es schon jetzt eine Volksverhetzung, wenn ich die Zahlen der Toten eines Kriegsverbrechens geringer einschätze? Werden jetzt in Zukunft Amtsgerichte darüber entscheiden, ob zum Beispiel Kriegsverbrechen in der Ukraine stattfanden? Gibt es jetzt „amtliche Kriegsverbrechen“, die man nicht „gröblich verharmlosen“ darf und „nicht-amtliche“, die unwichtig sind?
Bei der Anzahl der Toten des Holocaust ist dies bereits der Fall, sodass es analog dazu bei den hier jetzt weiterhin durch den neuen § 130 Abs. 5 StGB geahndeten Kriegsverbrechen sehr wahrscheinlich auch zu einer Verfolgung desjenigen kommt, der eine geringere Anzahl der Opfer benennt, als diese von offizieller Seite – was auch immer man darunter verstehen mag – festgestellt wurde.
Greift hier die Justiz nicht direkt in den politischen Debattenraum ein? Die Thematik der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist zum Beispiel nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische, wenn Gerichte nur russische, aber keine ukrainischen Kriegsverbrechen betrachten würde.
Natürlich ist das der Fall. Und es ist auch aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs erkennbar, dass hier ein „Lex Ukraine“ geschaffen wurde, um möglicherweise Verständnis für die russische Seite im Keim zu ersticken. Es ist bereits ein bisschen wie im Kriegsrecht, wo man dann für die Verbreitung von Feindpropaganda mit härtesten Strafen zu rechnen hat. Mit Freiheit und Demokratie hat das alles schon lange nichts mehr zu tun.
Die Gesetzesänderung wurde in einem Hauruck-Verfahren schnell durch das Parlament gebracht. Es gab keine lange Debatte. Das klingt ein wenig verdächtig. Warum ist die Politik nicht an einer Debatte interessiert?
Eine Debatte birgt die Gefahr in sich, dass bessere Argumente gegen das Gesetzgebungsprojekt sprechen. So lag es hier auch, denn weite Teile der Wissenschaft und Jurisprudenz haben – unabhängig von ihrem politischen Standpunkt – erhebliche Probleme mit der Einführung des § 130 Abs. 5 StGB.
Was kann ich als Bürger nun tun? Am besten gar nicht mehr öffentlich über Kriegsverbrechen sprechen?
Das wäre natürlich fatal, aber wahrscheinlich sogar gewollt. Die „richtige“ Meinung würde dann nur noch von den politischen Machthabern vorgegeben. Wir hätten dann chinesische Verhältnisse. Aber dafür haben ja gewisse Kreise der Grünen bereits eine gewisse Sympathie bekundet. Es wird in jedem Fall schwieriger, in Deutschland einen freien Diskurs zu führen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Das ist nach Überwindung der DDR-Diktatur eine bittere Tatsache und Rückkehr zur Unfreiheit.
Herr Roscher-Meinel, vielen Dank für Ihre Antworten!
Zur Person:
Markus Roscher-Meinel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht sowie BGB-Kommentator. Er ist seit Jahrzehnten im konservativen und liberalen Lager aktiv.
Twitter: https://twitter.com/lawyerberlin