Wieso Gendern schädlich ist

Der Duden hat einen Gender-Leitfaden publiziert. Neben aktiven Gegnern gibt es viele Unentschlossene – wie überzeugt man sie?

Kommentar von
7.11.2022
/
5 Minuten Lesezeit
Wieso Gendern schädlich ist

Der Duden hat einen Gender-Leitfaden publiziert. Neben aktiven Gegnern gibt es viele Unentschlossene – wie überzeugt man sie?

Geschlechtergerechte, geschlechtersensible, gendergerechte oder nicht sexistische Sprache wird im Volksmund „Gendern“ genannt. Die Befürworter argumentieren, dass die Sprache Frauen (und sexuelle Minderheiten) diskriminiert und deshalb entweder

  • für die Sichtbarkeit der Frauen und Minderheiten in der Sprache gesorgt werden muss oder

  • das Merkmal „Geschlecht“ aus Texten, die sich auf nicht geschlechtsspezifische Gruppen beziehen, eliminiert werden sollte. Dies geht soweit, dass teilweise die vollkommene Entgeschlechtlichung der Sprache gefordert wird.

Die Methoden variieren je nach Quelle. Neben der Beidnennung gehören das Binnen-I (StudentInnen), der Gender-Gap (Student_innen) und substantivierte Partizipien (Studierende) zu den bekanntesten.

Hat das Gendern eine wissenschaftliche Grundlage?

Für den deutschsprachigen Raum gibt es die psycholinguistischen Untersuchungen von Stahlberg/Sczesny. Die vier dort beschriebenen Experimente zeigen tatsächlich, dass sich die Formulierung (generisches Maskulinum vs. neutrale Formen vs. Binnen-I vs. Beidnennung) auf den „gedanklichen Einbezug von Frauen“ auswirken. Frauen werden demnach bei der Verwendung des Binnen-Is am meisten einbezogen. Die Ergebnisse werden jedoch von den Forschern selbst relativiert – einerseits verstärkt die positive Einstellung zu gegenderter Sprache deren Wirkung (ähnlich wie ein Placebo), andererseits könnte die Verwendung des Binnen-Is als femininer Plural missverstanden worden sein oder die Studienteilnehmer dazu verleitet haben, politisch korrekt zu antworten. Tomas Kubelik kritisiert außerdem, dass der zu messende „gedankliche Einbezug von Frauen“ nur durch die Messeinheit (die Studienteilnehmer sollten den Prozentsatz der Frauen innerhalb einer Gruppe schätzen) definiert wird.

Viele Leitfäden zu gendersensibler Sprache sowie Schriften der feministischen Linguistik stützen sich außerdem auf Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum. Die Übertragung von Ergebnissen aus dem Englischen ist allerdings problematisch, da das Englische eine genuslose Sprache ist.

Welche sprachlichen Formen werden durch die Gender-Befürworter kritisiert?

Das generische Maskulinum (Wähler, Bürger, Kunden, Studenten…), das Frauen angeblich unsichtbar macht, da sie in der männliche Form nur mitgemeint werden

Formen, die auf das Geschlecht indirekt schließen lassen (man, jeder … der, keiner … ) Rollenzuschreibungen (damenhaft, mütterlich, auf Vordermann bringen, staatsmännisch …)

Wieso das generische Maskulinum Frauen nicht diskriminiert

Die „männliche“ Form des generischen Maskulinums hat mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) der gemeinten Personen nichts zu tun. „Der Tisch“ ist genauso wenig männlich wie „die Schrankwand“ weiblich ist. Bei Personenbezeichnungen fällt zwar tatsächlich oft das grammatikalische Geschlecht (Genus – übrigens nicht in jeder Sprache zu finden) mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) zusammen – das ist der Fall z. B. bei „der Mann“ und „die Frau“. Aber auch hier gibt es Ausnahmen wie „das Mädchen“ oder „die Person“. Entgegen der Behauptung der Gender-Befürworter bezeichnet das generische Maskulinum NICHT zuallererst Männer und dann erst die (mitgemeinten) Frauen. Diese Aussage ist linguistisch schlicht falsch. Vielmehr trägt das generische Maskulinum keinerlei Aussage über das Geschlecht der Bezeichneten (deshalb ja das „generisch“). Als spezifisches Maskulinum beschreibt es dagegen das Geschlecht und steht in einer Opposition zum Femininum (bei „Studenten und Studentinnen“ bezeichnet das erste Wort nur männliche Studenten).

Wieso Gender-Befürworter die Sprache fälschlicherweise als Sündenbock sehen

Der Vorwurf von Pusch (Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland), es gäbe viele abschätzige Bezeichnungen für Frauen (alte Jungfer, Weibsbild, Hure…), aber keine für Männer, weshalb die (deutsche) Sprache sexistisch sei, ist schlicht falsch. Mit Weichei, Schlappschwanz, Lüstling, Memme etc. gibt es auch speziell für Männer genug Beleidigungen. Doch die sprachliche Möglichkeit der Beleidigung bedeutet noch nicht, dass jemand durch die reine Existenz dieser Worte beleidigt wird. Der abschätzige Sprachgebrauch Einzelner (parole) wird hier mit dem System der Sprache selbst (langue) verwechselt.


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Wieso Gendern schädlich ist

Wie Stahlberg/Sczesny festgestellt haben, wirkt sich die positive Einstellung zur gendersensiblen Sprache vorteilhaft auf den gedanklichen Einbezug von Frauen aus. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Gender-Befürworter die Fähigkeit verlernen, das generische Maskulinum als generisch zu begreifen. Ihnen geht also eine Bedeutungsdimension verloren, die es ohne sprachliche Verrenkungen erlaubt, von Menschen allgemein, statt von Menschen, die ein bestimmtes Geschlecht haben, zu sprechen. Geschlecht muss daher immer konsequent mitbenannt werden, was den Inhalt verfälschen kann. Dies ist nichts anderes als Verlust von Sprachgefühl und Verdummung.

Es findet eine unnötige Fixierung auf Personen statt: „Sponsoren“ können z. B. auch Firmen sein, „Sponsorinnen und Sponsoren“ sind dagegen weibliche und männliche Personen. Sprachliche Eleganz geht verloren: Verlaufsformen wie „Studierende“ führen zu sprachlichen Verwirrungen wie „demonstrierende Studierende“ (diese sollten – wenn man der sprachlichen Logik folgt – gleichzeitig studieren und demonstrieren). Vergleiche werden nur innerhalb eines Geschlechts möglich: Aussagen wie „Frau M. ist die beste Ingenieurin“ sind nicht gleichzusetzen mit „Frau M. ist der beste Ingenieur“, da die erste Formulierung M. nur innerhalb der weiblichen Ingenieure eine herausgehobene Leistung bescheinigt, die zweite aber generell ihre Fähigkeiten im Vergleich zu allen anderen Ingenieuren (auch Männern) lobt.

Sprachliche Ökonomie und Lesbarkeit leiden: Tomas Kubelik führt in seinem Buch eine durch Beidnennung gegenderte Form eines Satzes aus dem Grundgesetz an: „Auf Ersuchen des Bundespräsidenten ist der Bundeskanzler, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten ein Bundesminister verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen“ wird zu „Auf Ersuchen des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin ist der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin, auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin ein Bundesminister oder eine Bundesministerin verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines oder ihres Nachfolgers oder seiner oder ihrer Nachfolgerin weiterzuführen“. Das Verständnis des Textes wird erschwert, weil die hier vollkommen unwichtige Inhaltskomponente Geschlecht bei jeder Personenbezeichnung genannt werden muss.

Es wird eine unnötige Trennung der mündlichen und schriftlichen Sprache herbeigeführt. Viele gegenderte Formen (Gender-Gap, Gender-Sternchen, Binnen-I) lassen sich nicht aussprechen. Sprache hängt aber davon ab, dass sie gesprochen wird. Eine reine Schriftsprache kann sich innerhalb der Bevölkerung nie durchsetzen, weil Menschen viel mehr sprechen als lesen/schreiben. Stets stattfindende sprachliche Markierung der Frauen und sexuellen Minderheiten (die von den Gender-Befürwortern gefordert wird) kann sogar zur Diskriminierung dieser beitragen. Sprachliche Markierung kann auch Stigma sein. Ein krasses Beispiel dafür entstammt der deutschen Geschichte: Juden wurden in der Nazizeit mit der Namensänderungsverordnung bestimmte typisch jüdische Vornamen verliehen, um sie sprachlich erkennbar zu machen.

Konsequentes Gendern trotz Ablehnung dieser Sprachformen durch die breite Bevölkerung kann eine Abwehrreaktion bei den Bürgern auslösen, bei der nicht nur die Sprachveränderung, sondern auch die Ziele dahinter (Sichtbarkeit qualifizierter Frauen im öffentlichen Raum) abgelehnt werden. Wie später gezeigt wird, wird Sprache durch die Entwicklung der Gesellschaft geformt. Totalitäre Sprachkontrolle, die Sprache von oben steuert, um das Denken der Bürger zu beeinflussen, sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft ein Tabu sein. Ein entlarvendes Zitat findet man in einem Artikel der FAZ, wo selbst ein Gender-Befürworter die Forderung, mündlich zu gendern, als „fast totalitäre[n] Anspruch“ bezeichnet. Parallelen zum Orwell’schen Neusprech drängen sich auf.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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