Analyse: Nach der Hofburg-Wahl ist vor der Maskenpflicht
Am gestrigen Sonntag wurde der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen für weitere sechs Jahre zum Bundespräsidenten gewählt. Obwohl sich der polit-mediale Komplex – und darin nicht weniger als vier von fünf Parlamentsparteien – für ihn aussprach, fiel die Mehrheit mit gut 55 Prozent nicht wirklich überwältigend aus.
Er nahm nicht an direkten Konfrontationen mit seinen Herausforderungen teil – und die Regierung dürfte mit der Wahl zufrieden sein. Dies lässt sich durch eine Wahlstatistik untermauern: Unter jenen Bürgern, welche der Ansicht sind, die Regierung solle im Amt bleiben, wählten 75 Prozent den Amtsinhaber. Unter jenen, welche für eine Entlassung der schwarz-grünen Koalition sind, wäre FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz mit 35 Prozent sogar auf den ersten Platz gekommen. Dieser Meinung ist die Mehrheit (73 Prozent) seiner Wähler – dafür nur jeder sechste VdB-Wähler (17 Prozent).
Alt, betucht & studiert: Das ist der VdB-Wähler
Der durchschnittliche Van-der-Bellen-Wähler ist Teil des Establishments, der Hautevollée – und öfters bereits in Pension: Diesen Eindruck gab es bereits vor sechs Jahren und er hat sich kaum geändert. Bei Akademikern kam er auf 69 Prozent, bei den Rentnern auf 72 Prozent. Unter jenen, die selbst nach der Rekordinflation noch gut mit ihrem Einkommen auskommen, kam er auf 62 Prozent.
Bei jenen, die schon mit der Teuerung kämpfen (39 Prozent), bei Erwerbstätigen und Personen mit einem Lehrabschluss (je 49 Prozent) sowie allen Wahlberechtigten unter 60 Jahren (47 Prozent) hätte sich der Amtsinhaber zumindest einer Stichwahl stellen müssen. Die mit der Politik zufriedenen Bürger wählten ihn zu 82 Prozent – die darüber verärgerten allerdings nur zu 40 Prozent.
Maskenpflicht noch am Sonntag angekündigt
Die Wahl ist ein Zeichen: Van der Bellen und seine Wähler stehen tendenziell für ein „weiter so“. Das nahmen erste Vertreter der schwarz-grünen Regierung bereits zum Anlass, die Daumenschrauben gegenüber dem Volk wieder anzuziehen. Nur gut eine Stunde (!) nach geschlagener Wahl erklärte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer, dass die Regierung demnächst die unbeliebte Maskenpflicht in den Innenräumen wieder einführen will. Sogar aus Sicht eines ORF-Mannes ein interessantes Timing:
Rosenkranz als „Gegenpol zum System“
Rein arithmetisch heißt es trotzdem: Mit dem geballten Rückenwind des „Systems“ schaffte er es, mehr Stimmen auf sich zu vereinen als alle Mitbewerber. Wie alle seine Vorgänger vermied es VdB, beim zweiten Antreten in eine Stichwahl zu müssen. Trotzdem ist das Wahlergebnis von Rosenkranz recht beachtlich: Knapp 18 Prozent sind das zweitbeste Ergebnis eines FPÖ-Kandidaten bei einer Hofburg-Wahl nach jenen von Norbert Hofer vor sechs Jahren – trotz viel Konkurrenz im „Wählerteich“.
Interessant sind hier die Wahlmotive: Das beliebteste Hauptmotiv war, dass er einen „Gegenpol zum System“ darstelle (69 %), es folgte „Verständnis für Sorgen“ (62 %), ein Motiv das bei Van der Bellen nur auf den drittletzten Platz (40 %) kam. Den Amtsinhaber wählten zudem drei Viertel all jener, die eine passive Rolle des Bundespräsidenten bevorzugen – der Eindruck des „grünen Schweigers in der Hofburg“ kommt also wohl nicht von ungefähr.
Städte für VdB, knapperes Rennen in Kärnten
Bleibt zuletzt einmal mehr die Analyse der regionalen Unterschiede. Und hier bleibt Van der Bellen vorwiegend der Kandidat des städtischen Bürgertums. In Wien, Salzburg, Innsbruck, Linz und Graz erreichte er über 60 Prozent. In Kärnten hätte er hingegen in die Stichwahl gemusst. Besonders in den strukturschwachen Gebieten geriet der Amtsinhaber hier ins Hintertreffen – im Bezirk Feldkirchen schmolz sein Vorsprung auf etwas über 4 Prozent (36,12 % vs. 31,94 %).
Im Tiroler Oberland verhinderte der „Heimatbonus“ des im Kaunertal aufgewachsenen Präsidenten ein ähnliches Schicksal – in Spiss gab es trotzdem eine absolute Mehrheit für Rosenkranz. Das Osttiroler Bergdorf Virgen bleibt zwei Wochen nach der Landtagswahl erneut eine „blaue Hochburg“. In eine Stichwahl gemusst hätte Van der Bellen erwartungsgemäß auch in den drei Bezirken des Innviertels – eine historische Hochburg des freiheitlichen Wählerpotenzials; wenn auch knapp.