Das Vorfeld vor der Haustür der AfD: Warum es mehr als nur Heckenschützentum ist

Nach der Vorfeld-Kritik des AfD-Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk ist im rechten Lager eine rege Diskussion entbrannt. Nun meldet sich auch der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul zu Wort und erklärt in seinem Kommentar für FREILICH, dass Gottschalks Vorwurf des „Heckenschützentums“ am Vorfeld zu pauschal und zu wenig differenziert sei.

Kommentar von
13.7.2024
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5 Minuten Lesezeit
Das Vorfeld vor der Haustür der AfD: Warum es mehr als nur Heckenschützentum ist

Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul spricht sich in seinem Kommentar für die Unterstützung des Vorfelds aus – selbst wenn dieses die Partei kritisiert.

© IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Kay Gottschalk hat sich ausführlich zum Vorfeld geäußert. Ich hätte mir indes gewünscht, dass er stärker herausgearbeitet hätte, was er konkret darunter versteht.

In den meisten rheinischen Großstädten, so auch in meiner Heimatstadt Koblenz, sind die Grünen stärkste oder zumindest zweitstärkste Kraft. Es ist eine Binse, dass ihre Wähler längst zu den Etablierten, den Besserverdienenden zählen. Grün zu wählen, muss man sich leisten können. Wer sich um das Ende der Welt sorgt, muss sich zumeist nicht mehr um das Ende des Monats sorgen. Richtet man den Blick auf ihre Hochburgen, fällt auf, wie sorgfältig sie beackert und arrondiert werden.

Ein sozialer Teppich um die Parteizentrale herum

Neben den Parteizentralen entstehen zahlreiche Projekte, Initiativen, Vereine, Verlage und sogar Stadtteilmedien – von der Zeitung bis zum Podcast –, die die grüne Sicht auf die Welt spazieren führen. Abgerundet werden diese Initiativen durch Straßenfeste und „One-World“-Szeneläden. Es entsteht eine Art sozialer Teppich um die Parteizentrale herum, der Wahlergebnisse verstetigen hilft, weil der Lebensstil und das Lebensgefühl in der Nachbarschaft links-grün geprägt werden.

Wer hier lebt und aufwächst, wird das alles als das Normalste der Welt empfinden – und grün wählen. Immer wieder. In dem Koblenzer Viertel, an das ich denke, erzielten die Grünen bei der Kommunalwahl 2024 30,3 Prozent (2019: 36,3 Prozent), die anderen Parteien blieben einmal mehr abgeschlagen zurück. Die AfD rückte von unter fünf Prozent auf immerhin 7,5 Prozent vor.

Die kulturelle Hegemonie in der Praxis

Der landesweite Einbruch der Grünen fiel in der Südstadt also sehr moderat aus, die „kulturelle Hegemonie“ (Gramsci) blieb ungefährdet. Natürlich spielen dabei immer auch soziodemografische Faktoren eine Rolle, die kaum volatil sind. Gleichwohl: diese Ergebnisse sind nicht zuletzt Ertrag grüner Vorfeld-Arbeit.

Zur anekdotischen Evidenz: die junge Bedienung eines veganen Restaurants (blond, aber Dreadlocks) lobte die Grünen dafür, weil diese die Stadt Koblenz aufgefordert hatten, die Unterführung einer Kreuzung im Viertel nicht zuzuschütten, sondern in Vereinsräume umzuwandeln, die – O-Ton – von „den Kollektiven der Bürger“ genutzt werden könnten. Ihr würde es gar nicht in den Sinn kommen, dass bürgerliche Engagement prinzipiell auch nicht linken Positionen folgen, und man auch mal AfD wählen könnte.

Das Vorfeld im Interesse der Partei

Man muss also gar nicht Gramsci lesen, um das Interesse politischer Parteien zu erkennen, mit Impulsen und Ressourcen – vulgo: Geld und Personal – diese Entwicklung systematisch voranzutreiben. Dass es dabei immer zu Reibungen und Spannungen kommen kann, liegt auf der Hand. Und natürlich: die reguläre Parteiarbeit, die Pflege und Führung ihrer Organisation, darf nicht darunter leiden. Gramsci hat jedoch zu Recht darauf verwiesen, dass es zwischen dem von einer (oder mehreren) politischen Partei dominierten oder beeinflussten Staat und der Zivilgesellschaft und der vorherrschenden Kultur keine scharfe Trennung geben kann. Wer wüsste das besser als wir?

Sehen wir uns doch einer Phalanx von „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) gegenüber, die üppig vom Staat alimentiert werden. Und zwar so, dass sie im Grunde verlängerte Arme der Parteien sind, die in Regierungsverantwortung Fördergelder ausschütten. Mit dem Ziel, ihr Klientel bei der Stange zu halten, deren Reichweite zu vergrößern und damit Wahlergebnisse nachhaltig zu verfestigen. Politik wird seit jeher mit Geld und Personal gemacht. Auf unsere Ebene heruntergebrochen, kann es unter Umständen der Partei mehr nützen, ein Vorfeld-Projekt und damit die rechte Zivilgesellschaft und ihre Gegenkultur zu fördern, als eine Parteiveranstaltung zu organisieren. Unter Umständen. Und mit Augenmaß.

Die Vorteile einiger Vorfeld-Initiativen abstrakt definiert

Die alternativen Medien dienen nicht nur der Verbreitung unserer Weltsicht, sondern sie können – sofern sie einige Standards einhalten – jene Leser erreichen, die eine Parteizeitung niemals interessieren würde. Denn viele Leser stören sich nicht an einer grundsätzlichen politischen Ausrichtung eines Mediums (im Gegenteil!), sie wollen aber nicht parteiisch und eng bei der Hand geführt werden und unentwegt Lobhudeleien lesen. Deshalb, und hier irrt Kay Gottschalk, ist es wichtig, dass sich diese alternativen Medien auch kritisch mit dem Tagesgeschäft und Personal jener Partei beschäftigen, der sie nahestehen.

Wenn die taz also das Urteil gegen Björn Höcke kritisiert und zugleich hier und dort mal Fehlentwicklungen bei Grünen thematisiert, also Filz, Faulheit und Inkompetenz, dann schwächt sie sich nicht, sondern stärkt ihre Position. Sie greift über den Rand hinaus. Und stärkt dabei die Reflexion innerhalb der Partei, was diese besser machen kann. Daher ist es ein Widerspruch, wenn Gottschalk erklärt: „Die Partei braucht kluge Köpfe von außerhalb, die mit ihren Projekten Einfluss nehmen“, aber im gleichen Artikel kritische Beiträge als Zumutung empfindet. Es fehlt in Kay Gottschalks Artikel eben einer gut nachvollziehbaren systematischen Einordnung, die Qualitätsstandards für gute Vorfeld-Arbeit aufstellt. 

Es darf aber gerade kein Junktim zwischen der Förderung dieser Medien und der Erwartung einer plumpen Positiv-Berichterstattung geben. Als mir ein Publizist eines Alternativ-Mediums nach dem schwachen Abschneiden nach der Landtagswahl 2021 (8,3 Prozent, -4,3 Prozent) in einer reichlich einfachen Ferndiagnose, die keinen Wert auf ein persönliches Gespräch legte, vorwarf, meine „Arbeiterwähler“ verraten zu haben, machte ich die Faust in der Tasche. Und blieb Abonnent und Förderer. Weil die Publikationen des Verlags zur weltanschaulichen Bildung gerade unter Jugendlichen hervorragend geeignet sind.

Das Vorfeld ist nicht nur auf X zu finden

Von daher ist der Heckenschützen-Vorwurf zu pauschal, zu wenig differenziert, und: welche Rolle spielen denn überhaupt X-Akteure, „die ausschlafen, satt sind und ihre Rülpser auf X für politische Vorfeldarbeit halten“? Richtig: keine. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass der Autor Gottschalk über die eine oder andere kritische Berichterstattung in alternativen Medien verärgert ist, sich aber eben nicht traut, hier Ross und Reiter zu nennen. Die Fokussierung auf das Medium X wird an dieser Stelle der alternativen Medienlandschaft, die aus vielen Druck- und Online-Medien, die hinsichtlich Aufmachung, Stil und Sprachweite zu den etablierten Berufsjournalisten aufgeschlossen haben, einfach nicht gerecht.

An dieser Stelle muss auch klargestellt werden, dass das Gros der Vorfeldler hauptberuflich nicht von der Politik lebt und gerade nicht von der AfD alimentiert wird und die Fördersummen, die zum Beispiel durch Inserate zufließen, nahezu vollständig dem jeweiligen Projekt zugutekommen. Führt man sich die finanziellen Möglichkeiten der Abgeordneten und Fraktionen vor Augen, dürfte die Förderung des Vorfelds finanziell niemanden überfordern. Übrigens zeigt auch hier die FPÖ den Weg. Es ist schon bemerkenswert, wie zahlreich die alternativen Medien in Relation zum zehnmal kleineren Österreich sind.

Neurechter (!) Aktivismus

Es gibt genug Jugendliche, für die das Parteileben aus endlos erscheinenden Sitzungen, Satzungshuberei und „viel Gelaber“ besteht. Sie teilen die Ziele der Partei, gerade was die Remigrationsagenda angeht, wollen aber ihren Protest gut sichtbar auf die Straße bringen und andere Jugendliche mitreißen, was durch die Flankierung durch Social-Media-Aktivitäten heutzutage spielend leicht möglich ist. Wenn dieser Aktivismus absolut gewaltfrei ist, sich im Rahmen der Gesetze bewegt und als außerparlamentarische Opposition die demokratischen Spielregeln anerkennt – das muss allerdings conditio sine qua non sein! – kann er die Wirksamkeit unserer Narrative deutlich steigern, ohne dem Ansehen der deutschen Rechten in der Öffentlichkeit zu schaden.

Im Gegenteil. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich daran, wie vehement die Grünen im Rat meiner Heimatstadt die „Letzte Generation“ und ihre Straßenblockade auf der Hauptverkehrsachse als „radikal, aber gerechtfertigt“ verteidigt haben und selbst jene der bundesweit 1.200 Straftaten, die laut Antwort einer AfD-Anfrage vom 1. Januar 2022 bis 30. September 2023 verübt worden sind – darunter Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b) – nicht als problematisch erkennen wollten. Ein vielsagender Fingerzeig, wie die gutbürgerlichen Grünen mit ihren tatsächlich militanten Aktivisten umgehen. 

Zu guter Letzt: Bildung

Der Aufstieg der SPD begann nicht allein mit guten Wahlergebnissen, sondern mit dem Aufbau der Arbeiterbildung, die den sozialen Aufstieg der Mitglieder förderte. Und zugleich ein weltanschauliches Fundament und ein Wertgerüst vermittelte, das man „Klassenbewusstsein“ nannte. Und auch heute sind beispielsweise die Gewerkschaften natürliches Habitat der linken Parteien oder die Evangelische Kirche ein Vorfeld der Grünen. Zudem gibt es auch bei den Unionsparteien mannigfach Vorfeldgruppen.

Zum Beispiel gab es mit den Vertriebenen zeitweise ein millionenstarkes Wählerreservoir. Mit der „Ost- und mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU“ band die Union dieses Vorfeld sogar organisatorisch als eigenständige Interessengruppe innerhalb der Partei. Diese Vorfeld-Organisationen zeichnen oder zeichneten sich alle dadurch aus, dass sie auch ein geistiges Rüstzeug für die politische Auseinandersetzung vermittelten.

Also: Pro Vorfeld!

Fakt ist: Je größer eine Partei wird – und die AfD befindet sich erfreulicherweise auf gutem Wege –, desto mehr Vorfeld-Initiativen wird es geben – zum Beispiel auf den Feldern Kultur, Sport, Bildung, Meinungsforschung und Wirtschaft. Und dass das Vorfeld mit einer Partei interagiert, ist eben kein spezifisches Charakteristikum der AfD. Von daher: der Vorfeld-Gedanke zeigt, wie die Verstetigung von Wahlergebnissen dauerhaft erreicht wird.


Zur Person:

Joachim Paul ist Landtagsabgeordneter und bildungspolitischer, medienpolitischer und digitalpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.