Drei Fragen an Benedikt Kaiser: „2022 wird ein turbulentes Jahr“
Die Aktivistengruppe „Revolte Rheinland“ hat mit einem kapitalismuskritischen Transparent bei einer Corona-Demonstration für eine hitzige Debatte im rechten Lager, besonders innerhalb der AfD, gesorgt. Die TAGESSTIMME sprach deshalb mit dem Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser über die rechte Kapitalismus-Debatte und die aktuelle Corona-Krise.
TAGESSTIMME: Vor kurzem sorgte ein der Jungen Alternative zugerechnetes Transparent mit der Aufschrift „Die Krise heißt Kapitalismus“ für Aufsehen. In der Folge entbrannte eine große und teils verbissen geführte Diskussion zwischen verschiedenen AfD-Angehörigen und anderen patriotischen Akteuren über die Aussage. Auch Sie und das Konflikt-Magazin haben Stellung dazu bezogen. Jetzt wo sich die Aufregung etwas gelegt hat, ist es Zeit für eine Einordnung: Warum kam es zu solch heftigen Reaktionen, was sollten die Akteure für die nächste Diskussion berücksichtigen und was bringen solche Diskussionen überhaupt?
Benedikt Kaiser: Derartige Diskussionen bringen oftmals nicht viel, das ist zu bedauern. Aber die lebendigen Debatten rund um ein einziges Banner bei einem einzigen Spaziergang von Tausenden zeigen, dass hier offenbar Klärungsbedarf bestand bzw. besteht; es ist eine unvermeidliche Diskussion. Über den Zeitraum kann man streiten. Ich persönliche finde, man hätte den Zusammenhang zwischen Politik, Kapital und Coronaregime auch später noch thematisieren können auf einem Spaziergang, nicht jetzt, in einer akuten Sammlungsphase, in der man Leute aus allen Lagern und allen Schichten anzusprechen vermag, die vor allem eines eint: Ablehnung irrationaler Coronamaßnahmen, die längst so diffus und verworren sind, dass sie keiner mehr nachvollziehen kann, sofern er sich einen skeptischen Blick auf die Dinge bewahrt hat.
Die jungen Aktivisten der Gruppe „Revolte Rheinland“, die – meiner Einschätzung aus der Ferne zu Folge – nicht unbedingt aus Junge Alternative-Mitgliedern besteht, haben aber nun eben bereits jetzt darauf hinweisen wollen, dass die Corona-Krise nicht einseitig zu betrachten ist. Dass man also nicht nur Politiker und Bürokraten für ihr Tun verantwortlich macht, sondern dass man weitere Zusammenhänge hervorheben sollte, darunter die Auswirkungen kapitalistischer Prozesse. Das hat für Wut einiger AfD-Abgeordneter aus dem tiefen Westen geführt, was mich aufgrund der Vehemenz dann doch frappiert hat. Das erinnerte mehr an ein Glaubenssystem, in dem der Gott „Kapital“ heißt und jedwede Kritik als Häresie (oder eben als „Sozialismus“, „Kommunismus“, „Faschismus“), ja geradezu als Sünde verworfen wird. Eine solche quasireligiöse Bekenntnissucht zu falschen Götzen schadet dem gemeinsamen Anliegen. Ich hoffe, dass hier Lernprozesse einsetzen werden. Es geht um zu viel, als dass man in den Schwarz-Weiß-Denkbahnen der 1980er Jahre hängen bleiben darf.
„Die Krise heißt Kapitalismus“ ist eine – wie für Demotransparente typisch – zugespitzte Aussage, die aber natürlich ihren wahren Kern hat, wenn man sich etwa die Folger der Privatisierung des deutschen Gesundheitssystems ansieht. Corona-Maßnahmen, Gesundheitssystem und Kapitalismus – hängt da was zusammen?
Eine gute Frage. Ich erlaube mir aus Platzgründen zunächst auf meine Schrift Corona und Profit. Gewinner und Verlierer der Krise (Schnellroda 2021) zu verweisen, die im Institut für Staatspolitik erschien. Dort führe ich das alles aus, nenne Zahlen, Statistiken, ordne ein.
In aller Kürze aber dies: Die exorbitanten Gewinne der Pharmaindustrie verführen etwa ihre Akteure dazu, die Krise als Chance für exponentielles Wachstum ihrer Branche zu betrachten. Wollen sie, dass ihr Goldrausch endet, dass die Krise endet? Das muss man diskutieren dürfen. Ebenso die Frage nach dem grundlegenden Problem der Ökonomisierung von nicht-ökonomischen Lebensbereichen. Sprich: Muss Gesundheit wirklich auf dem Markt verhandelt werden? Oder ist dieses Grundgut eines jeden Menschen außerhalb der Logik von Rendite und Profit zu stellen? Ich meine letzteres. Auch die Globalismus-Frage wird immer wieder aufgeworfen. Globalismus ist meines Erachtens eine zeitgenössische Form der kapitalistischen Globalisierung. Eine aktuelle Phase, in der ein politmedialer Einheitsblock, Bürokratismus, das Primat der Konzerne und der Finanzmärkte gegenüber Kleinen und Mittleren sowie natürlich die Allmacht der Digitalkapitalisten aus dem Silicon Valley neue Zustände schaffen, deren autoritärer Erhalt sich aus deren Sicht lohnt, uns aber naturgemäß mehr als nur Sorgen bereitet.
Wir müssen als Patrioten aller Art die Entstehung dieser neuen globalistischen Herrschaftsform verstehen, analysieren und kritisieren. Wenn wir hier nur oberflächlich agieren und notwendige inhaltliche Diskussionen scheuen, hindert uns das spätestens bei der Entwicklung fundierter, realitätsorientierter und zukunftsfähiger Gegenkonzepte.
2022 hat relativ frisch mit der Diskussion um das genannte Transparent gestartet, die sich jedoch hauptsächlich in der eigenen Blase abspielte. Was sollte die deutsche Rechte anstatt hitziger interner Diskussionen für die nächsten elf Monate ins Auge fassen, gerade in Hinblick auf die Corona-Maßnahmen und die soziale Frage?
Nun, hitzige Diskussionen sind in Ordnung, solange es nicht beleidigend oder übergriffig wird. Aber 2022 wird thematisch – neben dem alltäglichen Kampf gegen die Impfpflicht und allerhand Freiheitseinschränkungen – ohne Zweifel als das Jahr alter und neuer sozialer Fragen sein. Preisexplosionen im Energiebereich, ob Strom oder Gas, werden sich fortsetzen, das trifft vor allem die Bevölkerungsmehrheit der unteren und mittleren Schichten direkt, nicht die Reichen und Superreichen. Wie immer. Niemand kann fortan aber den Problemen mehr ausweichen (wie zum Beispiel noch bezüglich multikultureller Brennpunkte, die man ignorieren könnte), sie kommen frei Haus. Auch die krasse Vermögensspreizung durch die Pandemie muss von rechts aufs Tableau genommen werden: Milliardengewinne für wenige, Reallohnstagnation bzw. sogar Reallohnrückgang für viele! Prekäre Arbeitsverhältnisse, Einzelhandelsterben, privater Schuldenanstieg, Kurzarbeit, fehlende Planungssicherheit für Tourismus-, Gastronomie- und Hotelbranchen und vieles mehr … Das alles spitzt sich ja weiter zu, während private Konzerne, Pharmaindustrie und digitale Player jene für sie eminent profitable Ordnung gestalten, in der sie ihre Macht und Einflusssphären erfolgreich zementieren.
Das alles spielt sich ab vor den Augen einer devoten Politikerkaste und einem durch diesen usurpierten Staatsapparat. Die Interessen dieser Kaste von Politikern, ob sie sich gelb, schwarz, rot oder grün anstreichen, verlaufen in vielen Bereichen kongruent zu den Interessen der Konzern-Oligopole. Da zudem das Gros der politischen Linken in den historischen Block der herrschenden Eliten eingefügt ist und gewissermaßen als aggressive Fußtruppe des Mainstreams agiert, bleiben viele Felder verwaist.
Die politische Rechte kann sich daher, wenn sie ihr Profil verschiedentlich schärft, glaubhaft als einzige authentische Kraft des Volkes aufstellen:
Für die Freiheit, gegen die Angstpolitik;
für eine gehegte soziale Marktwirtschaft der Vielen, gegen die Profite und Monopole der Wenigen;
für das Leben, gegen unnütze Einschränkungen und Reglementierungen;
für eine Rückbesinnung auf nicht-materialistische Werte wie Familie, Heimat, Volk und Nation; gegen die Ökonomisierung bzw. Verwirtschaftlichung aller Lebensbereiche;
für eine integrale oder „ganzheitliche“ Wende, gegen Symptombekämpfung und Ablenkgefechte … etc.
Diese Liste lässt sich beliebig verlängern. Man sieht: Es ist viel zu tun, und da Geschichte wesensgemäß offen ist, bleibt ausreichend Raum für Hoffnung, dass noch nichts verloren ist. 2022 wird ein turbulentes Jahr, aber noch lebt in Deutschland wie in Österreich die Lust auf das Aufbegehren, ja auf mutigen Widerspruch. Diese Lust alleine ist nicht alles. Aber ohne diese Lust ist alles nichts.
Zur Person:
Benedikt Kaiser, Jahrgang 1987, studierte in Chemnitz Politikwissenschaft mit europaspezifischer Ausrichtung (M.A.). Er arbeitet als Lektor und Publizist, wirkt als politischer Kommentator und Analyst. Regelmäßig schreibt Kaiser für Zeitschriften des In- und Auslands wie Die Kehre und Sezession, Kommentár (Ungarn), Tekos (Belgien) und Abendland/Neue Ordnung (Österreich). Für wichtige Magazine der Nouvelle Droite aus Frankreich – éléments und Nouvelle Ecole – gilt er als deutscher Ansprechpartner.
Weiterführend:
– Kaiser diskutiert mit Philip Stein und Volker Zierke die aktuellen Diskussionen rund um Corona, Profit und AfD: https://podcast.jungeuropa.de/von-rechts-gelesen-sendung-39-sind-die-krise-heisst-kapitalismus/
– Das Aktivistenkollektiv Revolte Rheinland im Interview: »Die Krise heißt Kapitalismus« – Gespräch mit Revolte Rheinland