Macht und Zwang: Wer verbietet, zeigt Schwäche

Die Repression gegen rechte und patriotische Akteure nimmt zu, der Verbotsstaat scheint sich immer weiter auszudehnen. Für Dr. Florian Sander zeigt diese Entwicklung jedoch eine Schwäche, die er unter anderem mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns erklärt.

Kommentar von
13.10.2024
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4 Minuten Lesezeit
Macht und Zwang: Wer verbietet, zeigt Schwäche

Innenministerin Faeser ist mit ihrem ihCompact-Verbot vorerst gescheitert.

© Metropolico

Der Verbotsdebatten nehmen wieder Fahrt auf. Nachdem der Verbotsstaat zuletzt (wenn auch teils vergeblich) bei Compact und der „Blauen Moschee“ in Hamburg zugeschlagen hatte, wird jetzt offen über das Verbot einer Partei diskutiert, die in den neueren Bundesländern bereits den Status einer Volkspartei innehat und bei den letzten Landtagswahlen bei um die 30 % lag.

An anderer Stelle haben wir bereits über die Selektivität des Verbotsstaates à la Faeser geschrieben und dabei festgehalten, dass dieser keinesfalls rechtlich greifbaren oder gar verfassungsrechtlich legitimen, sondern selektiven Zielen folgt, die – und das war das spezifisch „neuere“ an unserer Feststellung – vor allem geopolitischer Natur sind. Dies jedoch ist nur ein Aspekt des verbietenden Staates.

Analysiert man einen anderen genauer, so kann man auch eine Feststellung formulieren, die, gewissermaßen vom Bauchgefühl her, zumindest viele Optimisten in der politischen Rechten bereits gemacht haben, die dadurch aber auch soziologisch-theoretisch unterfüttert werden kann: Nämlich, dass das „System BRD“, also die (Alt-)Parteien-Postdemokratie, erhebliche Schwächen und Verfallserscheinungen zeigt, die denen der DDR-Spätphase nicht unähnlich sind.

Vom Gegenbegriff her denken

Der Gesellschaftstheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann – dessen theoretisch-terminologische Präzision immer darauf fundierte, dass er Begriffe und Konzepte von ihrem Gegenteil, ihren Gegenbegriffen her dachte – hat in seinem posthum erschienenen Spätwerk Die Politik der Gesellschaft die hier wichtige Unterscheidung zwischen Macht und Zwang eindrücklich erläutert:

„Macht setzt zunächst eine gegenläufige Struktur von gegebenen (normalen) Präferenzen voraus, nämlich: daß der Machthaber jemanden zu einer Tätigkeit bringen will, die dieser von sich aus nicht wählen würde. Deshalb wird eine zweite, artifizielle Präferenzstruktur mit genauer Umkehrung daneben gesetzt. Es wird eine Alternative konstruiert, die der Machthaber nicht zu realisieren wünscht, die aber für ihn weniger unangenehm ist als für den Machtunterworfenen, etwa Ausübung physischer Gewalt, Bekanntgabe einer unangenehmen Information, Entlassung. Das Medium Macht funktioniert nur, wenn beide Seiten diese Vermeidungsalternative kennen und beide sie vermeiden wollen. Es funktioniert also nur auf der Basis einer Fiktion, einer nicht realisierten zweiten Realität. (…)

Das Ausschließen des anwesenden Ausgeschlossenen erfordert laufende symbolische Anstrengungen. Die Polizei darf erscheinen, aber sie sollte nicht genötigt sein zuzupacken. (…) Die Macht darf sich keine erkennbare Schlappe leisten, weil dies Konsequenzen hätte, die über den Einzelfall hinausgehen. (…) Zur Politik der Macht gehört es daher auch, sich nicht allzu weit vom Gewohnten zu entfernen und das, was sowieso geschieht, als symbolische Betätigung der Macht auszuweisen.

Dies mag miterklären, weshalb Machthaber gern so tun, als ob sie sich im Bereich des schon Konsentierten bewegen; weshalb sie sich als „demokratisch“ geben. Und ebenso erklärt diese gesteigerte Symbolizität, daß es zu plötzlichen Zusammenbrüchen einer scheinbar starken Macht kommen kann, wenn sich zeigt, daß der Machthaber auf eine Herausforderung nicht reagieren kann oder will. Es sind typisch minimale Ereignisse, die Revolutionen auslösen können.“ (S. 47f.)

Diese ebenso eindrückliche wie brillante Aufschlüsselung mag zu einer Konkretisierung in Hinsicht auf aktuelle Ereignisse führen, die man frei nach Luhmann (s. o.) wie folgt zuspitzen kann: „Der ‚Verfassungsschutz‘ darf beobachten, aber der Staat sollte nicht genötigt sein zu verbieten.“ Ab dem Moment, ab dem er nicht mehr nur „beobachtet“, „etikettiert“ und „diskreditiert“, sondern in dem er tatsächlich zur Tat schreitet – verbietet, beschlagnahmt, zensiert; also: Zwang anwendet – ab diesem Moment beginnt der Sterbeprozess seiner Macht. Und ab diesem Moment beginnt die Chance systemoppositioneller Akteure, diese seine Machtlosigkeit als solche zu enttarnen, sie zu benennen und sie gegen ihn zu verwenden.

Der imaginierte Konsens

Die Macht des Staates – insbesondere übrigens des BRD-Staates – liegt im tatsächlichen oder eben fiktiven, aber auf jeden Fall über lange Zeit erfolgreich imaginierten Konsens seiner Gesellschaft. Dies hat über Jahrzehnte hinweg einigermaßen gut funktioniert. Zu Beginn hat es noch etwas „gescheppert“ (man darf ja durchaus attestieren, dass ein Kurt Schumacher, damit im historischen Vergleich ein eher untypischer Vertreter seiner SPD, im Gegensatz zur westorientierten Adenauer-CDU fundamental andere, weil souverän-neutralistische Vorstellungen vom idealen Deutschland hatte).

In der Folge aber harmonierten alle heutigen Altparteien relativ gut miteinander: Man war, trotz teilweise vorhandener Anfangsskepsis bei unterschiedlichen Beteiligten und je nach Konstellation, grundsätzlich untereinander „koalitionsfähig“, mit der Linkspartei zumindest auf kommunaler und auf Landesebene. Erst das Aufkommen der AfD hat einen echten, d. h. langfristig stabilen „Störfaktor“ in dieses fiktiv-konsensuale System gebracht, der die alten (vermeintlichen) Gewissheiten und Sicherheiten, die alten Narrative und Frames grundlegend infrage stellte und stellt.

Das war es, was die Macht dieses Systems stetig erschütterte. Was begann, war (Achtung, Insider für Systemtheoretiker) eine Art „paradoxer Ohnmachtkreislauf“ oder (nochmal für Frankfurter und kritische Theoretiker) eine „Dialektik der Macht“: Der durch Macht durchgesetzte Rechtsbruch durch die Machthaber im Rahmen von Eurokrise und Migrationskrise stärkte die AfD, was wiederum die Erosion der Macht nur noch weiter beschleunigte.

Waren diese Rechtsbrüche in der öffentlichen Meinung noch schwer „greifbar“ und erschienen eher wie eine abstrakte rechtstheoretische Auslegungssache, offenbarte sich spätestens mit den Corona-Zwangsmaßnahmen und den „Bildern“, die diese lieferten (Ordnungsbeamte und Polizisten, die Jugendlichen ohne Maske im Freien hinterherrannten etc.) eine grotesk wirkende staatliche Machtlosigkeit, die an die verzweifelten, auch im Luhmannschen, also systemtheoretischen Sinne symbolischen Machtdemonstrationen des SED-Regimes im Jahre 1989 erinnerten.

Machtverlust des Systems

Der durch die Ampelkoalition verfestigte Verbotsstaat, der – dazu, wie andernorts beschrieben, hochselektiv und in vorauseilendem geopolitischen Gehorsam – verbietet, was das Zeug hält, also faktisch Akteuren, die sich nicht strafbar gemacht haben, wegen „Meinungsdelikten“ den Mund zuhalten muss und dann auch noch (!) in mindestens einem Fall damit vorm Bundesverwaltungsgericht scheitert, offenbart damit in eindeutiger Form eine Schwäche und eine um sich greifende Verzweiflung, die für die BRD im Grunde beispiellos ist.

Das bedeutet keinesfalls, dass das Ende dieses Repressionssystems zwingend bald kommen wird – viele solcher Systeme werden eben erst noch schlimmer, bevor sie endgültig scheitern. Es zeigt aber sehr klar, dass es seinen wichtigsten Vorteil bereits in wesentlichen Angelegenheiten verloren hat: nämlich die Ausübung echter Macht.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Florian Sander

Dr. Florian Sander, geboren 1984, studierte Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Bielefeld. Er publiziert in verschiedenen patriotischen Medien.

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