Macrons Spiel mit dem Feuer: NATO-Truppen für Dritten Weltkrieg?

Der französische Präsident Emmanuel Macron überschritt mit der irren Idee von NATO-Bodentruppen in der Ukraine eine rote Linie, die riesiges Eskalationspotenzial bis hin zu einem globalen Krieg birgt.

Julian Schernthaner
Kommentar von
1.3.2024
/
6 Minuten Lesezeit
Macrons Spiel mit dem Feuer: NATO-Truppen für Dritten Weltkrieg?

Selenskyj und Macron

© IMAGO / ZUMA Wire

Ausgerechnet jener Staatsmann, der dem transatlantischen Bündnis vor nicht einmal fünf Jahren den bevorstehenden „Hirntod“ attestierte, brach als erster das Tabu: Beim Ukraine-Sondergipfel in Paris brachte er die Entsendung von NATO-Bodentruppen an die Front im osteuropäischen Land ins Spiel. Damit ist die Katze aus dem Sack, und nicht mehr so leicht einzufangen.

Teurer Stellvertreterkrieg

Im Stellvertreterkonflikt in Osteuropa droht der Westen ins Hintertreffen zu geraten. Allein die EU pumpte bis Mitte Jänner knapp 86 Milliarden Euro – vor allem Finanzhilfen – in die korruptionsgeplagte Ukraine. Die USA beteiligten sich mit 67,7 Milliarden Euro, wobei Militärhilfen mit über 42,2 Milliarden Euro den Löwenanteil ausmachen. Aus Deutschland kamen Kriegsgüter um 17,7 Milliarden Euro, die Briten steuerten 9,1 Mrd. Euro bei, die Dänen immerhin noch 8,4 Milliarden Euro.

Vergleichsweise gering sind die Ausgaben für humanitäre Hilfe – die genannten fünf Akteure stellten hierfür zusammen nur 7,5 Milliarden Euro zu Verfügung. Doch der Aufwand trägt kaum Früchte: Die große Gegenoffensive wurde zum Rohrkrepierer, am Schlachtfeld errang Russland zuletzt strategisch wichtige Siege bei Awdijivka. In westlichen Ländern schwindet der Glaube der Bürger an die Sinnhaftigkeit, ihr Steuergeld in der Ukraine buchstäblich zu verpulvern.

Transatlantisches Re-Framing

Die „Slava Ukrajini“-Front hat eine Moralspritze bitter nötig. Letzte Woche preschte das mit maßgeblicher Hilfe des Soros-Netzes gegründete und von der NATO, West-Regierungen, mächtigen Stiftungen und Großkonzernen finanzierte „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) vor. Die transatlantische Denkfabrik veröffentlichte eine Umfrage mit dem Titel „Kriege und Wahlen: Wie europäische Politiker die öffentliche Unterstützung für die Ukraine aufrechterhalten können“.

Angesichts der wachsenden Sehnsucht der Europäer nach Frieden schlug das ECFR vor, den Begriff in bester Orwellscher Manier einfach umzudeuten und zwischen einem „Frieden zu russischen Bedingungen“ und einem „dauerhaften Frieden“ mit einem militärischen Sieg der Ukraine zu unterscheiden. Davon beflügelt, knallte Macron sein geopolitisches Gemächt auf die Tischplatte, ohne zu bedenken, dass es ähnlich kümmerlich bestückt ist wie das kleine französische Atomwaffenarsenal.

Drehen an Eskalationsspirale

Apropos Atomwaffen: Hier testete auch die deutsche Spitzenpolitik zuletzt die Grenzen des Sagbaren: SPD-EU-Spitzenkandidatin Katarina Barley brachte die Idee europäischer Atombomben zur Abschreckung gegen Russland ins Spiel. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sprach davon, den „Krieg nach Russland“ tragen zu wollen, FDP-Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekundete die Forderung nach der Taurus-Lieferung sogar auf der Kleidung. Irgendwo dazwischen fallen die ständigen Warnungen vor dem drohenden Krieg mit Russland binnen der nächsten drei bis acht Jahre.

Dieses Schreckgespenst dient aktuell dazu, die jahrzehntelang kaputtgesparten europäischen Armeen massiv aufzurüsten. Sogar das neutrale Österreich schafft dutzende neue Panzer an und soll dem NATO-Raketenschirm „Sky Shield“ beitreten. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, deren Land unter allen Staaten den höchsten Anteil des Bruttoinlandsprodukts für die Ukraine bereitstellt, schrieb wiederum auf X: „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um Russland zu stoppen – und wir müssen es schnell tun.“

Kollektive „Stop Putler“-Psychose

Zudem, so Kalla, habe man „aus den Dreißigerjahren gelernt, dass mit jeder Zögerlichkeit, jedem Aufschub, der zu zahlende Preis umso höher wird.“ Um die Freiheit zu schützen, müsse man bereit sein, für sie zu kämpfen – auch wenn dies einen Preis habe, meinte sie bereits kurz davor bei einer Rede in Wien. Die österreichische NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, vor zwei Jahren Teilnehmerin der Bilderberg-Konferenz in den USA, verglich die fehlende Aufrüstung mit der Appeasement-Politik.

Der „Präventivschlag gegen Putler“ wurde also bereits diskursiv vorbereitet und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die NATO-Bodenoffensive in der Ukraine spruchreif wird. Macron sprach also bloß aus, was westliche Kriegsfanatiker längst dachten. Ist’s erst draußen, finden sich schnell einflussreiche Stimmen, die beipflichten. Wolfgang Ischinger, Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und ECFR-Mitglied meinte am Mittwoch wohlwollend, der Vorschlag sei „kühn, aber nicht falsch“.

Taktische Distanzierung

Andere Stimmen, darunter auch der deutsche SPD-Kanzler Olaf Scholz, gehen noch auf Distanz zu dieser Forderung. Doch womöglich ist es nur ein kleines Aufmucken, um die Stimmung im Land zu besänftigen. Auch bei der Lieferung schwerer Panzer legte er sich quer, um schließlich – wohl auch auf Zuruf aus Washington und Brüssel – einzuknicken. Gewiss, bis deutsche Soldaten wieder gegen Russland in die Schlacht ziehen, mag noch einiges Wasser die Spree runterfließen.

Aber wie Macron, Ischinger und Co. sagen: Ausschließen sollte man nichts. Und wenn der vorgenannte CDU-Politiker Kiesewetter nach der Eskalation im Nahostkonflikt schon darüber nachdachte, deutsche Soldaten die Interessen Israels mit ihrem Leben verteidigen zu lassen, scheint diese Stoßrichtung auch in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Womöglich wartet der transatlantische Komplex nur auf die optimale Gelegenheit, es wie eine Notwendigkeit zur „Selbstverteidigung“ gegen den gefräßigen russischen Bären aussehen zu lassen.

Die Mär vom „Verteidigungsbündnis“

Auch beim internationalen Militäreinsatz in Libyen hieß es ursprünglich, deutsche Soldaten sollten sich nicht an einem Krieg beteiligen, ehe Frankreich mit kruden „Kreuzzug“-Metaphern aufwartete, die NATO das Kommando übernahm und Merkel das Chaos nutzte, um den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan „zur Entlastung“ auszuweiten. Auch das Bombardement von Jugoslawien vor 25 Jahren hatte mehr von einem Angriffskrieg als von einem „Verteidigungsbündnis“.

Damals drohte bei der Aufstellung von „Friedenstruppen“ im Kosovo am Flughafen von Pristina kurzzeitig auch die Eskalation zwischen Soldaten Russlands und der NATO, was damals noch durch die beherzte Vermittlung britischer Offiziere verhindert wurde. Doch inzwischen spielt das Bündnis, dessen Ziel es laut seinem ersten Generalsekretär Lord Ismay stets war, „die Amerikaner drinnen, die Russen draußen, die Deutschen am Boden“ zu halten, offener mit der Konfrontation. Für den totalen Sieg heiligt der Zweck die Mittel, und dazu zählt nun auch der totale Krieg.  

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Anders lässt sich auch kaum erklären, warum deutsche Warnungen vor einem Krieg mit Russland zuerst in der transatlantisch verpflichteten Springer-Presse auftauchten. Deren Chef Mathias Döpfner schrieb schon im März 2022: „Wenn Putin Kiew erobert, weil der Westen, also vor allem die Mitglieder der NATO, keinen militärischen Widerstand geleistet haben, ist der Westen geschwächt.“ Deshalb müssen die NATO-Mitglieder JETZT handeln. Sie müssen JETZT ihre Truppen und Waffen dahin bewegen, wo unsere Werte und unsere Zukunft NOCH verteidigt werden.“

Er nahm dabei auch einen Weltkrieg in Kauf: „Frankreich, England, Deutschland und Amerika müssen als Allianz der Freiheit Putins mörderisches Treiben mit ihren Truppen und Waffen in Kiew […] beenden. Es ist ein furchtbares Dilemma. Wenn das geschieht und nicht schnell gelingt, droht eine Eskalation bis zum 3. Weltkrieg. Wenn es nicht versucht wird, bedeutet das Kapitulation.“ Doch die Aussagen Macrons zeigen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Um die Hegemonie der USA und seiner europäischen Vasallen zu retten, ist man bereit, die ganze Welt in den Krieg zu stürzen.

Spiel mir das Lied vom Tod …

Die Folgen würden Unheil über ganz Europa bringen, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl warnte: „Wenn Soldaten von anderen Ländern in Särgen nach Hause kommen und an die Familien übergeben werden – das soll die Zukunft Europas werden?“ Es brauche ein Ende der Eskalationsspirale, eine Normalisierung der Beziehungen und Friedensverhandlungen. Der Vorschlag aus dem Frühjahr 2022, dass Russland sich auf seine Positionen vor dem Krieg zurückzieht und die Ukraine zusichert, neutral und kein NATO-Mitglied zu sein, sei ein Ansatz.

Die Verhandlungen in Weißrussland und der Türkei scheiterten damals daran, dass der Westen die Ukraine einredete, ihr ganzes Territorium zurückerobern zu können – einschließlich der Krim, obwohl die dortige russische Bevölkerungsmehrheit spätestens seit der Kappung der Wasserzufuhr durch Kiew, wohl endgültig nicht mehr zur Ukraine zurückkehren will. Und so ehrlich muss man sein: Auch der Donbass, seit 2014 unter der Kontrolle russischer „Volksrepubliken“ wird für die Ukraine schwer zu halten sein. Mit einem Verhandlungsfrieden würde sie unzähligen jungen Soldaten den sicheren Tod ersparen. Noch gibt’s für alle Seiten einen gesichtswahrenden Ausweg.

Das wirkliche „Ende der Geschichte“

Sollte der Westen im Kampf gegen seine geopolitische Bedeutungslosigkeit in einer multipolaren Welt jedoch tatsächlich aufs Ganze gehen, dann ist dieser sichere Tod ein Schicksal, das auch der Jugend in ganz Europa blüht. Wer nicht am Schlachtfeld fällt, verendet in der Heimat im Fallout, wenn die bislang zur Angstmache benutzte Warnung vor dem üppigen russischen Atomarsenal zur Realität wird. Oder man stellt am Ende fest, dass verbrannte Erde keine Münder satt macht.

Dass die Eskalationsspirale zum Dritten Weltkrieg führt – der dann anders als der Erste wirklich zum „Krieg, um alle Kriege zu beenden“ wird – ist angesichts des hohen Preises freilich nicht besonders wahrscheinlich. Nicht umsonst blieben die US-Atombomben-Abwürfe auf Japan im Zweiten Weltkrieg bislang ein unrühmlicher Einzelfall. Doch das Risiko sollte man keinesfalls eingehen. Egal, wie sich’s weiter entwickelt – eines ist jedenfalls klar: So hat sich Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ nun wirklich nicht vorgestellt …


Zur Person:

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert. Der Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert leidenschaftlich in seiner ausgiebigen Bibliothek und ist passionierter Teetrinker und Käseliebhaber. Als ehemaliger Wachmann war der Freund harter Klänge schon immer um kein Wort verlegen. Seine Spezialität sind österreichische Innenpolitik sowie schonungsloser gesellschaftlicher Kommentar.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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