Status Quo Neutralität – Der 26. Oktober und der Abzug der Russen
Der österreichische Nationalfeiertag spiegelt die politische Vergangenheit des Landes wider, geprägt von einem wechselhaften Verhältnis zur Neutralität und den historischen Ereignissen, die diesen Tag bestimmen. Der Historiker Lothar Höbelt zeigt, wie komplex und widersprüchlich der Umgang mit diesem Tag sein kann.
Mit Nationalfeiertagen ist es ein Kreuz. Glücklich, wer da einfach Kaisers Geburtstag feiern kann – allenfalls kann man die Parade dann ja immer noch in günstigere Jahreszeiten verlegen, wie das bei Elizabeth II. zuweilen der Fall war (die bloß ein paar Jahre zu spät kam, um noch als Kaiserin von Indien gefeiert zu werden). Republiken landen dann oft bei dem kuriosen Phänomen, dass brave Konservative, die für derlei Veranstaltungen schwärmen, just irgendwelche Revolutionen feiern müssen, die sie vielleicht kurzerhand unter die Guillotine befördert hätten – wie das z. B. mit dem 14. Juli in Frankreich der Fall ist.
Da passt der 4. Juli in den USA schon besser, weil die amerikanische Unabhängigkeit – bei Licht besehen – doch eher ins Fach konservative Revolution schlägt. (Auch die meisten Monarchen waren 1776 bloß von Schadenfreude über die Briten erfüllt.) Ungarn feiert den 15. März – das geht gegen die Habsburger, siehe 1848, aber wir wollen ihnen verzeihen, ganz so wie Otto es getan hat: Immerhin ist zumindest sein Archiv in die Burg in Buda zurückgekehrt.
Der Streit um den Nationalfeiertag
Einen antihabsburgischen Staatsfeiertag hatten die Sozialisten auch der 1. Republik verordnet – den 12. November, den Tag, als die provisorische Nationalversammlung 1918 Österreich zur Republik und zum Teil des Deutschen Reiches erklärte. Als in den sechziger Jahren über einen „Nationalfeiertag“ diskutiert wurde, war der Anschluss nicht mehr so populär, mit der Nation sollte jetzt die österreichische gemeint seien – eine Idee, die so manche SPÖ-ler in ihrer Jugend noch als „schwer zu übertreffende Zusammenstellung theoretischen Unsinns“ bezeichnet hatten, sobald die Kommunisten in den dreißiger Jahren damit herausrückten.
Auf alle Fälle: Die SPÖ plädierte auch in der 2. Republik weiterhin für den 12. November. Die ÖVP war für den 15. Mai, das Datum des Staatsvertrags – da befanden sich Logik und Parteiinteresse in prästabilierter Harmonie. Denn mit dem Staatsvertrag hatte Österreich seine Souveränität wiedererrungen – und der Staatsvertrag war unauslöschlich mit den beiden großen alten Männern der ÖVP verknüpft: Julius Raab und Leopold Figl. Nur mit den Nachfolgern Raabs in der Kammer handelte die ÖVP sich da Schwierigkeiten ein: Denn die Wirtschaft war keineswegs glücklich mit einem weiteren bezahlten Feiertag, ganz gleich, auf welches Datum er fiel ...
Vom „Tag der Fahne“ zur Neutralität
Später begann die SPÖ im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag immer mehr von Kreisky und Kirchschläger zu reden, aber 1965 legte sie sich noch gegen den 15. Mai quer. Man einigte sich deshalb nolens volens auf den 26. Oktober, den „Tag der Fahne“ – wie er nach schwedischem Vorbild bisher hieß. Das war immerhin auch noch eine Reminiszenz an den Staatsvertrag.
Denn damals habe der letzte Besatzungssoldat Österreich verlassen, so lernten wir es noch in der Volksschule. Genauer gesagt: Bis zu diesem Zeitpunkt, 90 Tage nach der Ratifikation des Staatsvertrages, sollte der letzte Österreich verlassen haben. Offiziell gingen alle früher – hartnäckig hielt sich nur das Gerücht, dass ein paar Briten in Kärnten noch ein paar Tage (oder doch zumindest Stündchen) länger gefeiert hatten. Immerhin galten die Briten in Kärnten tatsächlich als Befreier – waren sie 1945 doch ein paar entscheidende Stündchen vor den Tito-Leuten in Klagenfurt eingerückt.
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Das Tauschgeschäft
Weil am 26. Oktober keine fremden Truppen mehr in Österreich stationiert sein durften, verabschiedete der Nationalrat an diesem Tag auch das Gesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Diese Bestimmung war selbstverständlich der Preis, den Österreich für den Abzug der Russen zu zahlen hatte. Die Amerikaner hatten zugestimmt, unter der Bedingung, dass die Österreicher dafür ein Bundesheer errichteten, das verhindern sollte, dass demnächst vielleicht die nächstbeste Hundertschaft des alten kommunistischen Werkschutzes das Land in den Ostblock beförderte.
Doch man war schamhaft: Das Tauschgeschäft „Abzug gegen Neutralität“ wurde nicht in den Staatsvertrag selbst hineingeschrieben, sondern die Österreicher sollten so tun, als ob sie sich aus freien Stücken für diese Beschränkung ihrer Souveränität entschieden hätten, denn um eine Souveränitätsbeschränkung handelte es sich natürlich: Ein souveräner Staat kann sich nach Lust und Laune von Fall zu Fall neutral erklären, er ist aber nicht dazu verpflichtet.
Österreichs Sonderweg
Doch die Österreicher gewannen die Neutralität lieb – auch und gerade die SPÖ, die so lange eine skeptische Haltung an den Tag gelegt hatte. Sie begann die Neutralität, ängstlich auf Moskauer Reaktionen schielend, immer strikter auszulegen. Mit der Zeit setzte sich deshalb auch die Interpretation durch, der 26. Oktober sei deshalb als Nationalfeiertag zur Ehre der Altäre erhoben worden, weil sich Österreich damals neutral erklärt habe – als erster Schritt zur „Insel der Seligen“ sozusagen, wie Papst Paul VI. das Land angeblich bezeichnet hat.
Nur der VdU, 1955 gerade inmitten der Metamorphose zur FPÖ, stimmte zwar ebenfalls für das Neutralitätsgesetz, bestand aber darauf, der Wahrheit die Ehre zu geben – die Neutralität sei nicht freiwillig beschlossen worden, sondern sie war eben der Preis, der für den Abzug der Russen zu bezahlen war.
Der Kalte Krieg und seine Folgen
Alle waren sich einig, dass die Sache den Preis wert war: Weil als Befreier sah die Russen bestenfalls eine sektiererische Minderheit um die KPÖ. Gegen die Sowjets gekämpft zu haben, galt auch bei den Westmächten im Zeichen des „Kalten Krieges“ keineswegs als Makel. Dem Ritterkreuzträger General Munoz Grandes, dem Kommandanten der spanischen Blauen Division, war bei seinem Besuch in Washington im Vorjahr gerade erst der für Ausländer höchstmögliche amerikanische Orden („Legion of Merit“) verliehen worden.
Tempora mutantur: Der „Kalte Krieg“ wurde gewonnen. Das war so manchen Linken gar nicht recht. Doch wer hätte gedacht, dass zu einem Zeitpunkt, wo selbst heimischen Linken so ihre Zweifel an russischen Entnazifizierungs-Expeditionen kommen, ausgerechnet die Nachfolger des VdU sich zu allerlei Aussagen hinreißen lassen, die bei arglosen Zuhörern den Verdacht erregen müssen, sie würden für die Überreste der Roten Armee ein Maß an Verständnis aufbringen, das ihre Großväter doch sehr erstaunen würde ...