Europawahlen 2024: Der europäische Rechtsruck
In Frankreich, Deutschland, Österreich und anderen Ländern konnten die Rechtsparteien am Sonntag über ihre Ergebnisse bei den Europawahlen jubeln. In anderen Ländern mussten sie deutliche Verluste hinnehmen. In seiner Analyse für FREILICH wirft Marvin Mergard einen Blick auf das Gesamtbild, das zum Teil spannende Entwicklungen zeigt.
Die Medien und die Vertreter der etablierten Parteien von links bis zur Mitte haben vor der Wahl davor gewarnt, dass die Europawahl 2024 ein deutlicher Rechtsruck erfolgen könnte. Doch man könnte diese Warnung auch als einen Hoffnungsschimmer begreifen, wenn einem das politische Spektrum rechts der Mitte näher steht. Und tatsächlich scheint sich diese Prognose – mag man sie befürworten oder mag man sie verdammen – bewahrheitet zu haben.
Für alle wirklichen Konservativen, Patrioten, Systemkritikern und Rechten ist die Wahl als ein großer Erfolg zu verbuchen. Es haben noch nie so viele Wähler bei einer Wahl des Europaparlaments für Parteien rechts der Mitte votiert wie bei dieser Wahl. Dennoch zeichnet sich anhand der Wahlergebnisse der verschiedenen Länder kein einheitliches Bild ab.
In manchen Ländern konnten rechte Parteien zulegen, in manchen verloren so deutlich. Im Gesamtbild überwiegt dennoch der Zugewinn der rechtsgerichteten Parteien.
Und dieses Gesamtbild sollte genauer betrachtet werden. Nicht jeder kleine Gewinn oder Verlust ist von besonderer Bedeutung, jedoch finden sich in ausgewählten Landesergebnissen spannende Entwicklungen.
Die rechte Bastion Ungarn
Die Fidesz-Partei von Viktor Orbán konnte zusammen im Bündnis mit einer kleineren christdemokratischen Partei mit rund 45 Prozent der Stimmen ihre traditionelle Position als stimmenstärkste Kraft verteidigen. Seit der ersten ungarischen Europawahl konnte bisher keine andere Partei oder ein Zusammenschluss mehrere Parteien auch nur annähernd ähnlich starke Wahlergebnisse vorweisen.
Und nicht nur das. Der Fidesz ist weiterhin die erfolgreichste Rechtspartei innerhalb der Europäischen Union. In keinem anderen Land konnte eine Partei rechts der Mitte die Marke von 40 Prozent erreichen. Damit wird Viktor Orbáns Partei weiterhin eine der wichtigsten Akteure im rechtskonservativen Gefüge Europas bleiben.
Dies alles kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das starke Ergebnis dennoch mit einem Verlust von rund acht Prozentpunkte einhergeht. Die mehr als 50 Prozent bei der Wahl im Jahr 2019 sind damit verfehlt worden. Die rechts von ihr stehende Mi Hazánk Mozgalom („Unsere-Heimat-Bewegung“) hat mutmaßlich von diesen Verlusten profitieren können. Sie verdoppelte ihr letztes Wahlergebnis auf nun mehr als sechs Prozent der Stimmen und erlangt damit zum ersten Mal einen Sitz im Europäischen Parlament.
Politisches Nachbeben in Frankreich
Sowohl der Rassemblement National von Marine Le Pen als auch die Reconquête! von Éric Zemmour können sich über starke Wahlergebnisse freuen. Während der RN zum ersten Mal bei einer Europawahl die symbolische Marke von 30 Prozent überspringen und zum dritten Mal in Folge den ersten Platz ergattern konnte, hat die Reconquête! mit ihrem ersten Antritt zu einer Europawahl knapp den Einzug nach Brüssel geschafft.
Bereits am Wahlabend reagiert der Präsident Emmanuel Macron auf den Erfolg des RN und löste daraufhin die Nationalversammlung auf. Somit wird bereits für Ende Juni eine Neuwahl des Parlaments angesetzt, die der RN wahrscheinlich für sich entscheiden dürfte.
Stärkste Kraft in Österreich: FPÖ
Die Umfragen haben es prognostiziert und die Freiheitlichen haben es geschafft: Sie konnten sowohl die ÖVP als auch die SPÖ hinter sich lassen und zum ersten Mal bei einer Europawahl zur stimmenstärksten Partei aufsteigen. Der Wahlerfolg könnte sich in Teilen durch die erheblichen Verluste der Volkspartei (minus zehn Prozentpunkte) erklären.
Mit diesem Ergebnis kann sich die FPÖ mit optimistischer Einstellung in die im Herbst anstehende Nationalratswahl begeben. Auch dort wird ihr in den aktuellen Umfragen ein deutlicher Sieg vor allen anderen Parteien zugesprochen – vielleicht sogar mit einem historischen Bestwert von über 30 Prozent. Ob dieses Novum gelingen wird?
AfD vor Regierungsparteien
Auch das Wahlergebnis in Deutschland hat für viel Furore gesorgt. Die AfD hat nicht nur fast 16 Prozent der Stimmen und Zugewinne von rund fünf Prozentpunkten verbuchen können, sie hat auch die Kanzlerpartei übertrumpft, die sich nun die Frage gefallen muss, ob Olaf Scholz noch der geeignete Kanzler für die SPD sein kann. Darüber hinaus wird ebenfalls über das Fortbestehen der Ampelkoalition gemutmaßt: Keine der drei beteiligten Parteien konnte sich über Stimmenzuwächse freuen und besonders die Grünen haben mit einem Minus von rund neun Prozentpunkten ein Debakel zu verkraften.
Die besonders starken Ergebnisse im Osten der Republik bieten der AfD ebenfalls die Chance, mit einer positiven Grundstimmung in die dortigen Landtagswahlen im September einzusteigen. Das einzige Hindernis könnten erneut innerparteiliche Auseinandersetzungen sein.
Die AfD-Delegation hatte sich, mit der Unterstützung der Parteispitze, mehrheitlich gegen die Aufnahme von Maximilian Krah in ihre Delegation ausgesprochen und damit den Unmut einiger Unterstützer, Wähler und Mitglieder entflammt.
Rechter Rollentausch in Dänemark
In manchen Ländern konnten rechte Parteien zulegen, in anderen wiederum mussten Verluste hingenommen werden. Dänemark vereint beide Aspekte.
Die seit dem Jahre 1995 bestehende rechte Dänische Volkspartei hat ihre Hochphase von 2014 schon lange hinter sich lassen müssen. Damals gelang ihr mit mehr als 26 Prozent bei der Europawahl ein fulminanter Sieg. Nun jedoch, zehn Jahre später, muss sie sich mit gerade mal rund sechs Prozent der Stimmen zufriedengeben.
Auf der anderen Seite kann eine andere rechte Partei vom Abstieg der Dänischen Volkspartei profitieren. Die im Juni 2022 gegründeten Dänemarkdemokraten haben bei ihrer ersten Europawahl 7,4 Prozent und den fünften Platz erreichen können. Damit teilt sich das rechte Potenzial in Form von zwei Parteien und damit auf zwei einzelne Abgeordnete auf.
Überraschende Erfolge der griechischen Rechten
Die griechische politische Landschaft rechts der konservativen Nea Dimokratia ist seit Jahren aufgespalten. Neugründungen und Abspaltungen sind regelmäßig wiederkehrende Prozesse, die den Erfolg der politischen Rechten verhindern.
Umso überraschender ist es, dass sogar drei rechte Parteien den Einzug in das Europäische Parlament schaffen. Die stimmenstärkste Partei ist die nationalkonservative Elliniki Lysi (Griechische Lösung), die zuvor in den Umfragen bereits bei etwa neun Prozent gelistet wurde und diese Erwartungen auch erfüllte.
Die rechtskonservativ-christliche Niki wurde zuletzt noch knapp über der Drei-Prozent-Sperrhürde aufgeführt, jedoch war damit der Einzug alles andere als sicher. Mit einem Ergebnis von etwas mehr als vier Prozent hat sie jedoch deutlich ihren ersten Einzug nach Brüssel geschafft.
Die größte Überraschung war der Einzug der dritten Rechtspartei. Die Foni Logikis (Stimme der Vernunft) wurde erst ab Mitte März in den Umfragen aufgelistet und überstieg bis zum Wahltag zu keinem Zeitpunkt 2,8 Prozent. Andere Umfragen erwarteten sogar ein etwas schlechteres Ergebnis. Am Ende konnte sie mit 3,04 Prozent denkbar knapp einen Sitz im EU-Parlament erreichen.
Allgemeiner Trend
Im neu zusammengesetzten EU-Parlament werden sich die alten sowie neuen Vertreter der politischen Rechten umorganisieren müssen. Da noch nicht absehbar ist, ob die Idee einer Zusammenführung von nationalkonservativer EKR und rechter ID zu einer großen gesamt rechten Fraktion umsetzbar sein wird, ist auch nicht einzuschätzen, wie sich manche Rechtsparteien verhalten. Nicht jede EKR-Mitgliedspartei würde mit den Parteien der ID in einer gemeinsamen Fraktion zusammenarbeiten wollen und umgekehrt trifft dies ebenfalls zu.
Es bleibt auch weiterhin nicht ausgeschlossen, dass, wenn die AfD außerhalb dieser Fraktion in die Fraktionslosigkeit gedrängt würde, sich neue Partner für eine neue rechte Fraktion finden lasswen würden. Die Mindestanzahl von 23 Abgeordneten aus mindestens sieben Ländern dürfte rechnerisch zwar nicht unmöglich sein, aber ob sich ausreichend Abgeordnete auf einen kleinen gemeinsamen Nenner einigen können, um gemeinsam eine Fraktion zu bilden, ist ebenfalls etwas, über das aktuell nur spekuliert werden kann.
Die Wahlergebnisse zeigen jedenfalls, dass vieles rechts der Mitte in Bewegung geraten ist. Was am Ende entsteht, kann derzeit keiner vorhersagen. Eines steht jedoch bereits jetzt fest:
Die politische Rechte geht gestärkt aus der Wahl hervor und dort entstehen nun die größten Dynamiken.
Damit scheint die Zeit nach der Wahl sogar interessanter zu werden als die eigentliche Wahl selbst.
Zur Person:
Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.