Top-Ökonom Felbermayr warnt vor schleichender Deindustrialisierung Deutschlands

Der Ökonom Gabriel Felbermayr warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands durch protektionistische Maßnahmen der USA und steigende Produktionsauflagen. Ohne klare Gegenmaßnahmen drohe Deutschland langfristig schwerer Schaden.

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Top-Ökonom Felbermayr warnt vor schleichender Deindustrialisierung Deutschlands

Laut Felbermayr ist die Sorge um die weitere Deindustrialisierung Deutschlands berechtigt.

© IMAGO / Sven Simon

Berlin. – Angesichts zunehmender protektionistischer Tendenzen in den USA und eines globalen Trends zur Abschottung warnt der Ökonom Gabriel Felbermayr in einem aktuellen Interview mit der Wirtschaftswoche vor einer schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands. Die USA, wichtigster Handelspartner Deutschlands, setzen verstärkt auf höhere Zölle und lokale Produktionsauflagen, die das deutsche Exportmodell unter Druck setzen. „Ja, diese Sorge um die weitere Deindustrialisierung Deutschlands ist berechtigt“, so Felbermayr.

Geopolitik als wirtschaftliche Zwickmühle

Er sieht die Gefahr, dass sich deutsche Unternehmen zunehmend gezwungen sehen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern und damit Arbeitsplätze und Steuereinnahmen im Inland zu gefährden. „Der Zwang zur ‚local for local‘-Produktion bedroht deshalb massiv das exportorientierte Wachstumsmodell Deutschlands“, betont er.

Neben den wirtschaftlichen Herausforderungen verschärfen geopolitische Zwänge die Situation. Laut Felbermayr wächst der Druck der USA auf deutsche Unternehmen, ihre Exporte nach China zu reduzieren. Dieses „De-Coupling“ sei zwar nachvollziehbar, stelle Deutschland aber vor eine schwierige Entscheidung zwischen wichtigen Wirtschaftspartnern. Ein Beispiel sei der niederländische Halbleiterhersteller ASML, der auf Druck der USA bestimmte Produkte nicht mehr nach China liefern dürfe. „Geoökonomik ist nichts Anderes als Sicherheitspolitik mit anderen Mitteln“, erklärte Felbermayr und zog Parallelen zur NATO-Strategie: Es gehe nun auch um die „wirtschaftliche Dimension“.

Der Freihandel gerät ins Abseits

Felbermayr beschreibt die aktuelle Entwicklung als Abkehr von den freien Handelsprinzipien. In seinem neuen Buch mit dem Titel „Der Freihandelt hat fertig“ beklagt er, dass der Freihandel in Europa praktisch am Ende sei. Die zunehmende Blockbildung und die Ausdehnung der BRICS-Staaten, die auch NATO-Partner wie die Türkei einschließen, seien Anzeichen für eine veränderte, konfliktreichere Wirtschaftsordnung. „Wer den Freihandel schützen will, muss auf ihn und die Einhaltung der Regeln pochen, notfalls auch mit Maßnahmen, die durchaus auch Geld kosten“, appellierte Felbermayr.

Habecks „Deutschlandfonds“ und Scholz’ „Pakt für Industriearbeitsplätze“

In der deutschen Industriepolitik sieht Felbermayr derzeit keine klare Linie und kritisiert die unentschlossenen Strategien von Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Während Scholz’ plötzlicher „Pakt für Industriearbeitsplätze“ und Habecks milliardenschwerer „Deutschlandfonds“ Reaktionen auf den Druck der Gewerkschaften sind, sieht Felbermayr darin keine langfristige Lösung. „Es ist doch viel besser, den Standort Deutschland insgesamt in den Blick zu nehmen und zu fragen, was gebraucht wird“, sagt er. Er fordert stattdessen strukturelle Verbesserungen wie niedrigere Energiekosten, weniger Bürokratie und gezielte Subventionen bei Marktversagen.

„Europa braucht ein Gleichgewicht des Schreckens“

In dem Gespräch betonte Felbermayr auch die Notwendigkeit einer entschlosseneren Haltung Europas gegenüber Handelskonkurrenten wie China und den USA. „Wir müssen ein Gleichgewicht des Schreckens schaffen“, so Felbermayr. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, sei es wichtig, „selbst Wege zu haben, wie man Schaden anrichten kann“. Statt ausschließlich auf Sanktionen zu setzen, sieht er die Notwendigkeit, strategische Abschreckung als Mittel zur Verteidigung des Freihandels einzusetzen.

Fazit: Handlungsbedarf für die deutsche und europäische Wirtschaft

Insgesamt sieht Felbermayr die deutsche Wirtschaft in einer geopolitisch und protektionistisch geprägten Sackgasse. Ohne entschiedene Maßnahmen zum Schutz des industriellen und exportorientierten Modells drohe Deutschland eine schleichende Deindustrialisierung. Der Appell des Ökonomen an die Politik lautet daher: „Bevor man über Peking oder Washington spricht, müsste erstmal in Brüssel, Paris und Berlin die Vernunft zurückkehren“.

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