Exklusiv: Etablierte Parteien planen Berufsverbot für AfD-Mitarbeiter im Bundestag vor der Wahl
Noch vor der nächsten Wahl sollen Änderungen der Hausordnung des Deutschen Bundestages, der Geschäftsordnung sowie des Bundestagspolizeigesetzes in Kraft treten – mit dramatischen Folgen vor allem für AfD-Mitarbeiter.
Berlin. – Die AfD ist vielen Beobachtern und auch den im Bundestag vertretenen Parteien ein Dorn im Auge. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete streben daher ein Verbot der Partei an. Experten zweifeln jedoch an den Erfolgsaussichten solcher Verbotsverfahren. Nun soll offenbar auf Umwegen versucht werden, die Arbeit der Partei im Bundestag zu sabotieren. Bereits im Sommer hatte FREILICH berichtet, dass Bundestagspräsidentin Bärbel Bas schärfere Sicherheitskontrollen im Bundestag plane. Diese scheinen nun konkreter zu werden.
Wie FREILICH exklusiv erfuhr, wird sich der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung voraussichtlich noch in dieser Woche mit Änderungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages befassen. Ziel ist es, diese zusammen mit weiteren Änderungen der Geschäftsordnung sowie des Bundestagspolizeigesetzes und des Abgeordnetengesetzes noch vor der nächsten Bundestagswahl in Kraft zu setzen. Die Reformen könnten weitreichende Folgen für die Arbeitsfähigkeit der Fraktionen und ihrer Mitarbeiter haben, insbesondere für die der AfD. So soll AfD-Mitarbeitern leichter die Bezahlung und der Zugang zu Bundestagsgebäuden verweigert werden können. Gerade Letzteres ist einfach umzusetzen: Es reicht eine Abstimmung im oben genannten Ausschuss. Änderungen der Hausordnung müssen nicht im großen Plenum abgestimmt werden.
„Risiken“ statt „Gefahren“
Ein zentraler Punkt der Reform, die sogar eine Rückwirkungsklausel von vier Jahren enthält, ist die Einführung eines erweiterten „Risiko“-Begriffs bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZuV), die jeder Mitarbeiter bestehen muss, um einen Hausausweis für den Bundestag zu erhalten. Bisher hieß es in § 2 Abs. 6a HO und Nr. II.4. ZuV: „Die Zuverlässigkeitsüberprüfung verfolgt den Zweck, Gefahren (Anm.: Hervorhebung durch Red.) für die Sicherheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie aller im Deutschen Bundestag Anwesenden abzuwehren und die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Gremien aufrechtzuerhalten.“ In der neuen Fassung soll es heißen: „Die Zuverlässigkeitsüberprüfung verfolgt den Zweck, Risiken (Anm.: Hervorhebung durch Red.) für die Sicherheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie aller im Deutschen Bundestag Anwesenden abzuwehren und die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Gremien aufrechtzuerhalten.“
Kritiker aus der AfD-Fraktion, wie der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner, warnen vor einem erheblichen Interpretationsspielraum der neuen Formulierung, insbesondere, wenn man sie mit Begriffen wie „erwarten lassen“ und „beeinträchtigen“ kombiniert. Sie sehen hier einen Konflikt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundrechten und regen daher an, von der Einführung eines solchen Risiko-Begriffs Abstand zu nehmen.
Neuer Zusatz geplant
Besonders umstritten ist auch die Rolle des Verfassungsschutzes im gesamten Vorgehen. Dieser kommt in Anlage 3 der ZuV ins Spiel, in der die datenschutzrechtliche Erklärung anlässlich des Antrages auf Zugang zum Deutschen Bundestag geregelt ist. Darin erklärt sich der Antragsteller mit dem Abgleich personenbezogener Daten zum Zwecke der Zuverlässigkeitsüberprüfung einverstanden. In den Absätzen 2a und 2b werden die Kriterien hierfür aufgeführt. Der neu einzufügende Absatz 2c enthält eine Rechtsfolge für den Fall der Feststellung der Unzuverlässigkeit.
Nach dem neuen Absatz kann Personen der Zutritt zu den Gebäuden des Deutschen Bundestages untersagt, beschränkt oder unter Auflagen gestattet werden, wenn von ihnen ein Risiko für die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages oder die Sicherheit seiner Bediensteten ausgeht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbewertung festgestellt wird, dass die Voraussetzungen des § 5 Absatz 2 Nummer 3 des Waffengesetzes vorliegen.
Waffengesetz (WaffG)
§ 5 Zuverlässigkeit
(2) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht,
Bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren
a) Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die
aa) gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind,
bb) gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind oder
cc) durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
b) Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder
c) eine solche Vereinigung unterstützt haben,
Darüber hinaus wird erläutert, wann eine Unzuverlässigkeit vorliegt. Dies ist der Fall, wenn Bestrebungen verfolgt werden oder in den letzten vier Jahren verfolgt worden sind, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind.
Die Zuverlässigkeit ist auch dann nicht gegeben, wenn Bestrebungen verfolgt werden oder in den letzten vier Jahren verfolgt worden sind, die eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder oder eine andere verfassungsfeindliche Tätigkeit oder eine sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeit im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht zum Ziel haben und bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles eine Gefahr für die Funktions- und Arbeitsfähigkeit, die Sicherheit, die Integrität oder die Vertrauenswürdigkeit des Deutschen Bundestages oder anderer parlamentarischer Rechtsgüter zu befürchten ist.
Kritik am Verfassungsschutz
Die Voraussetzungen für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung liegen demnach insbesondere vor, wenn die Personen eine nach Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes verfassungswidrige oder nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verbotene Vereinigung unterstützen oder unterstützt haben oder ihr angehören oder in den letzten vier Jahren angehört haben. Bei der Prüfung, ob Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes bestehen oder in den letzten vier Jahren bestanden haben, sei insbesondere zu berücksichtigen, ob die Personen eine Organisation unterstützen oder unterstützt haben oder deren Mitglied sind oder waren, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt ist oder war. „Gerade vor dem Hintergrund der letzten Skandale um den thüringischen Verfassungsschutzchef Kramer ist dieser Punkt zu betonen“, heißt es in einer kritischen Stellungnahme, die FREILICH vorliegt. Stephan Brandner kritisiert darin auch, dass der Verfassungsschutz zunehmend als politisches Machtinstrument missbraucht werde.
Unkonkrete Formulierungen lassen Interpretationsspielraum
Auch an der geplanten Ergänzung 2c übt die AfD heftige Kritik, insbesondere an unkonkreten Formulierungen. So sei bei der Formulierung „ungesetzliche Beeinträchtigungen“ unklar, ob damit „rechtswidrig“ oder nur „gesetzlich nicht vorgesehen“ gemeint sei, was Interpretationsspielraum lasse. Unklar sei auch, was unter „sonstige verfassungsfeindliche Aktivitäten“ zu verstehen sei. Die Formulierung habe „generalklauselartigen Charakter“ und gehe über § 3 Abs. 1 BVerfSchG hinaus, so die Kritik. Die Fraktion schlägt daher vor, diese Formulierung ersatzlos zu streichen.
Zudem müsse konkretisiert werden, was genau unter „Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu verstehen sei. In diesem Zusammenhang weist die AfD im Hinblick auf die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Parteien darauf hin, dass es Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG nicht mehr gebe. „Sollte damit Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 GG gemeint sein, wonach das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet, wird dies begrüßt.“
Kein Rückgriff auf VS-Berichte notwendig
Auch die Formulierung „verboten ist“ im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in verbotenen Vereinen sollte konkretisiert werden, so die Forderung. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte klargestellt werden, dass von einer „Bestrebung gegen die fdGO“ erst dann ausgegangen werden könne, wenn gegen das Vereinsverbot kein Rechtsmittel eingelegt beziehungsweise nicht fristgerecht eingelegt wurde oder zumindest über einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschieden wurde.
Hinsichtlich der Prüfung der Zuverlässigkeit unter Berücksichtigung etwaiger Erwähnungen im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes führt die AfD aus, dass aus ihrer Sicht ein Rückgriff auf solche Verfassungsschutzberichte nicht erforderlich sei. Es gebe derzeit bereits öffentlich zugängliche Informationen, die bei der Gesamtabwägung der Zuverlässigkeit berücksichtigt werden könnten. Die Fraktion weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass die Hausordnung und die ZuV derzeit keine Vorgaben zu Speicher- und Löschfristen der bei der Polizei beim Deutschen Bundestag gespeicherten personenbezogenen Daten enthalten.
Tiefer Eingriff in Rechte
Die geplanten Änderungen würden jedenfalls tief in die Rechte der Bundestagsabgeordneten und ihrer Mitarbeiter eingreifen. Die freie Auswahl der Mitarbeiter, so die AfD, unterliege dem freien Mandat des Bundestagsabgeordneten nach Art. 38 GG, die freie Auswahl der Mitarbeiter durch eine Bundestagsfraktion dem Parteienprivileg. Da die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei beim Bundesverfassungsgericht monopolisiert sei, dürfe eine nicht in diesem Sinne verbotene Partei auch nicht als verfassungsfeindlich oder quasi-verfassungsfeindlich behandelt werden. Sie unterliege damit weiterhin ihrem Selbstorganisationsrecht.
Umgekehrt würde das mit dem Verbot des Betretens der Bundestagsgebäude und der Nutzung der Bundestags-IT verbundene faktische Berufsverbot für AfD-Mitarbeiter – denn nur diese sollen nach dem Willen der Bundestagsmehrheit offenbar im Ergebnis betroffen sein, ist die AfD überzeugt – einen denkbar intensiven Eingriff in die Berufsfreiheit und den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern darstellen. „Es bedarf keiner längeren Erörterung, dass derart intensive Eingriffe in wichtige und zentrale demokratische Verfassungsprinzipien und Grundrechte wie grundrechtgleiche Rechte keineswegs auf das Postulat vermeintlicher 'Risiken' zumal durch politische Gegner gestützt werden können“, heißt es in der Stellungnahme weiter. „Solche Einschränkungen könnten – wenn überhaupt – allein durch den Nachweis schwerer und konkreter Gefahren für Rechtsgüter gerechtfertigt werden, die dem von der Selbstbestimmungsgarantie des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) umfassten Demokratieprinzip mindestens gleichrangig sind“, heißt es dazu abschließend.