Gutachten zum AfD-Verbot: „Positive Bezugnahme“ auf Potsdamer Treffen soll Verbot rechtfertigen
Ein Gutachten von 17 Verfassungsrechtlern hält ein AfD-Verbotsverfahren für möglich, stützt sich dabei aber auf fragwürdige Belege wie widerlegte Correctiv-Recherchen zum sogenannten Geheimtreffen in Potsdam im Herbst 2023.
Berlin. – Derzeit sorgt ein rechtswissenschaftliches Gutachten für den Innen- und Rechtsausschuss des Bundestages, das FREILICH vorliegt, für Aufsehen. Der Grund: Eine Gruppe von 17 Verfassungsrechtlern, deren Neutralität allerdings bezweifelt werden darf, ist sich einig, dass ein seit langem diskutiertes Verbotsverfahren gegen die AfD durchaus Aussicht auf Erfolg hätte (FREILICH berichtete). Die „Belege“, die sie für die Verfassungswidrigkeit der Partei anführen, sind allerdings teilweise absurd und dürften bei dem einen oder anderen Beobachter vermutlich für Kopfschütteln sorgen.
Fragwürdige Grundlage für AfD-Verbotsforderung
In dem rund 31-seitigen Gutachten wird einleitend darauf hingewiesen, dass die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln vom 08.03.2022 und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.05.2024 „in eindrücklicher Weise“ gezeigt hätten, dass sich bei der AfD zahlreiche Äußerungen finden ließen, die auf verfassungsfeindliche Bestrebungen hindeuteten. Schon eine eher oberflächliche Sichtung des derzeit öffentlich zugänglichen Materials mache deutlich, dass sich die gerichtliche Belegsammlung sowohl für die AfD-Bundespartei als auch für alle Landesverbände „beinahe beliebig erweitern“ lasse, heißt es in dem Gutachten. Es folgt eine Belegsammlung, die sich in vier Fallgruppen gliedert, nämlich „ethnisch-kultureller Volksbegriff“, „ausländer- und islamfeindliche Agitation“, „sexistische, homo- und transphobe, queer-feindliche und ableistische Agitation“ sowie „Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip“.
In allen genannten Fallgruppen finden sich zahlreiche Beispiele für Äußerungen von AfD-Politikern oder Verbänden auf Bundes- beziehungsweise Landesebene, die die Verfassungswidrigkeit der Partei belegen sollen. Ein „Beleg“, der sich gleich in der ersten Fallgruppe findet, sticht dabei besonders ins Auge. Es geht um das sogenannte Geheimtreffen im Herbst 2023 in Potsdam und die Reaktionen, die folgten, nachdem das linke Recherchenetzwerk Correctiv seine Recherchen zu diesem Treffen veröffentlicht hatte.
Correctiv-Recherchen unter juristischem Beschuss
Geht es nämlich nach den 17 Verfassungsrechtlern, dann ist schon verfassungswidrig, wer sich positiv auf das „Geheimtreffen“ in Potsdam bezieht. Konkret heißt es dazu: „Dass die AfD von einem ethnisch-kulturellen Volksbegriff ausgeht, zeigt sich auch in ihrem Umgang mit dem im Januar 2024 vom Recherche-Netzwerk Correctiv veröffentlichten Bericht über ein Geheimtreffen in Potsdam. Dort soll über die Forderung, mehrere Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben, unter dem Stichwort 'Remigration' diskutiert worden sein. Dabei sei es auch um die Umsetzbarkeit einer Abschiebung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die nicht in das ethnisch-kulturelle Volksverständnis der Teilnehmenden passen ('nicht assimilierte Staatsbürger') gegangen. Diese rassistische Hierarchisierung von Menschen ist mit der unantastbaren Würde aller Menschen nicht vereinbar und klar verfassungswidrig. Auch das Demokratieprinzip wird unterlaufen, wenn ein Teil des Staatsvolkes nach Art. 20 Abs. 2 GG entlang rassistischer Zuschreibung von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen und deportiert werden soll.“ Und weiter: „Unabhängig davon, ob die Recherche von Correctiv vor dem Bundesverfassungsgericht als Beweismittel Bestand hätte, haben sich inzwischen mehrere führende Funktionäre der AfD positiv auf das Treffen bezogen und sich die Forderung zu eigen gemacht.“
Dass sich die Verfassungsrechtler in ihrer Argumentation für die angebliche Verfassungswidrigkeit der AfD unter anderem auf die Recherchen von Correctiv stützen, das in den vergangenen Monaten mehrere juristische Niederlagen wegen falscher Darstellungen des Treffens einstecken musste, mutet befremdlich an. Erst im Juli hatte etwa das Oberlandesgericht Hamburg dem NDR untersagt, in seiner Berichterstattung zu behaupten, bei dem Treffen in Potsdam sei die Abschiebung deutscher Staatsbürger diskutiert oder gefordert worden (FREILICH berichtete). Nach Ansicht des Gerichts konnte der Sender diese Behauptung nicht ausreichend belegen. Der NDR legte zwar Revision ein, diese wurde im September aber abgelehnt. Geklagt hatte der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau.
Juristen sehen Verfassungsfeindlichkeit
Dennoch beziehen sich die Verfassungsrechtler in dem Gutachten auf die Recherche und sehen in der positiven Bezugnahme auf das Treffen durch Äußerungen verschiedener AfD-Politiker einen Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei. So wird im Gutachten der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Stefan Keuter, zitiert, der nach der Veröffentlichung der Recherche auf X schrieb: „Wir haben einen 'geh heim' Plan'! #Remigration“.
Ein weiteres Beispiel ist die Reaktion des parlamentarischen Geschäftsführers der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. Er sagte im Januar in der Tagesschau: „Das war ein Treffen, wie es tausende in Deutschland gibt [...] Wir sind für Remigration“. Dieser Forderung schloss sich auch der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer an, der im Januar auf X erklärte: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“ Und auch Ulrich Siegmund, Fraktionsvorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, betonte: „Remigration ist kein Unwort, Remigration ist eine Selbstverständlichkeit und das Gebot der Stunde“. Dies sind nur einige der Zitate, die das Gutachten zum Treffen in Potsdam auflistet.
Wie die AfD „Remigration“ definiert
Irritierend ist in diesem Zusammenhang jedenfalls die Aussage der Juristen, führende AfD-Funktionäre hätten sich die Forderung nach Remigration „zu eigen gemacht“. Dass die Partei diese Forderung vertritt, ist nicht neu und geschieht auch nicht erst seit Bekanntwerden des „Geheimtreffens“, sondern bereits seit Jahren. Rund zwei Wochen nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen verabschiedete der AfD-Bundesvorstand Ende Januar in Abstimmung mit dem für Programmatik zuständigen Bundesfachausschuss ein Papier mit dem Titel „Wie die AfD den Begriff ‚Remigration‘ definiert“, um ihre Position zu dem Begriff noch einmal deutlich zu machen.
Remigration umfasse demnach „alle Maßnahmen und Anreize zu einer rechtsstaatlichen und gesetzeskonformen Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer in ihre Heimat“, heißt es in dem Positionspapier, das sieben Forderungen zusammenfasst. Dabei betont die Partei auch ausdrücklich, dass sie nicht zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheide. Vielmehr gehörten alle Deutschen unabhängig von ihrer Herkunft, Abstammung, Weltanschauung oder Religionszugehörigkeit zum Staatsvolk. Verfassungswidrige Forderungen wie die willkürliche kollektive Abschiebung von Ausländern unabhängig von einem bestehenden individuellen Aufenthaltsrecht oder gar die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund würden auf entschiedene Ablehnung stoßen, betont die Partei.