Sprachdebakel in Wien: Die Hälfte der Erstklässler kann nur schlecht Deutsch
Fast die Hälfte der Wiener Erstklässler spricht nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. Kritiker werfen der Stadtregierung Versagen vor, Forderungen nach umfassender Sprachförderung werden laut.
Wien. – Fast die Hälfte der Wiener Erstklässler kann nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. Wie aus einer Anfrage des Standard an das Büro von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) hervorgeht, hatten zum Stichtag 1. Oktober 44,6 Prozent der Taferlklassler einen „außerordentlichen Status“. Von den 8.342 betroffenen Schülern sind 61 Prozent in Österreich geboren.
Dieser Anstieg sei zum Teil auf internationale Krisen zurückzuführen, erklärte Wiederkehr. Besonders betroffen seien Kinder, die im Zuge der Fluchtbewegungen aus Syrien und der Ukraine nach Wien gekommen sind. Dies könne aber nur einen Teil des Problems erklären, so Wiederkehr. Insgesamt spricht jedes fünfte Kind in Wiens Volksschulen nicht ausreichend Deutsch.
Maßnahmen und politische Forderungen
Zur Verbesserung der Sprachförderung wurden die kostenlosen Deutsch-Sommerkurse um 1.000 auf 4.900 Plätze aufgestockt. Davon sind 400 Plätze speziell für Kinder im letzten Kindergartenjahr vorgesehen. Zudem wurde die Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr bekräftigt. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach sich im Standard ebenso dafür aus wie AMS-Chef Johannes Kopf. Auch die SPÖ unterstützt die Forderung, sieht aber die Notwendigkeit einer Gegenfinanzierung. Die ÖVP setzt hingegen auf den Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige.
Scharfe Kritik an der Stadtregierung kommt von der ÖVP. „Wenn Kinder zum Großteil hier geboren werden, aufwachsen, über zwei Jahre den Kindergarten besuchen und zu Schulbeginn trotzdem noch immer nicht Deutsch können, dann hat das nichts mit Fluchtbewegungen oder Planstellen in Wiens Schulen zu tun, sondern mit dem kompletten Versagen von SPÖ und NEOS im Kindergartenbereich“, so Harald Zierfuß, Bildungssprecher der Wiener ÖVP. Er fordert eine Kindergartenpflicht für Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen ab dem dritten Lebensjahr.
FPÖ fordert umfassende Sprachförderung
Scharfe Kritik an der aktuellen Bildungspolitik kommt auch von der FPÖ. Gemeinderat Dominik Nepp bezeichnete Wiederkehr als „komplett gescheitert“. Wiederkehr sei seit vier Jahren im Amt und habe es geschafft, das Wiener Bildungssystem „endgültig in den Abgrund zu führen“, so Nepp. Er fordert von NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger eine Garantieerklärung, dass Wiederkehr nicht Bildungsminister wird.
Nepp betont die Dringlichkeit eines verpflichtenden Sprachscreenings für alle Kinder im vierten Lebensjahr. „Wenn die altersadäquaten Deutschkenntnisse nicht ausreichen, müssen verpflichtende Deutschkurse eingeführt werden – und zwar gemeinsam mit den Eltern.“ Die Verantwortung sieht er sowohl bei den Eltern als auch bei der Politik.
Zudem fordert die FPÖ Sanktionen für Eltern, die sich weigern, an diesen Kursen teilzunehmen. „Wer die Integration verweigert, muss Konsequenzen spüren. Es braucht endlich Mut, in der Bildungspolitik klare Kante zu zeigen, anstatt durch Untätigkeit die Zukunft unserer Kinder zu gefährden“, so Nepp.
Grüne fordern bessere Arbeitsbedingungen
Die Wiener Grünen sehen den Schlüssel in grundlegenden Reformen. Bildungssprecherin Julia Malle kritisierte die bisherigen Maßnahmen als unzureichend: „Wiederkehr kann sich angesichts der gravierenden Probleme nicht länger mit Mini-Maßnahmen wie Sommerdeutschkursen wegducken.“ Gemeinsam mit Felix Stadler forderte sie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung der Deutschförderkräfte. „Sonst wird sich nichts nachhaltig ändern“, betonten beide abschließend.