Steiermark: Nach der Wahl ist vor dem Regierungspoker
Nach dem historischen blauen Wahlsieg in der Steiermark beginnt die Suche nach einer mehrheitsfähigen Koalition. Dabei hat die FPÖ gute Chancen, in der neuen Landesregierung zu sitzen – könnte aber auch leer ausgehen. Welche Koalitionsvarianten gibt es, wie realistisch sind sie?
Das Ergebnis erinnert frappant an das der Nationalratswahl: Die FPÖ verdoppelt sich praktisch, während ÖVP/SPÖ/Grüne zusammen 17 Prozent verlieren und NEOS sich trotz minimalen Plus als zweite Wahlsieger sehen. Die KPÖ blieb indes hinter eigenen Erwartungen zurück. Doch beim folgenden Prozedere könnte es anders laufen als im Bund. Zum einen billigt die Landesverfassung der stimmenstärksten Partei das Vorrecht für Gespräche zur Regierungsbildung zu. Zum anderen schließen ÖVP und SPÖ eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht aus. Ihre Präferenz, die eigene schwarz-rote Koalition fortzusetzen, geht sich hingegen rein mathematisch nicht aus.
FPÖ und ÖVP: Der konservative „Heimat-Klassiker“
Am naheliegendsten – und vertrautesten – wäre für die FPÖ, die dezimierte ÖVP zu umwerben. Mit 30 von 48 Sitzen hätte dieses Bündnis eine satte Mehrheit. Mario Kunasek war selbst Verteidigungsminister einer schwarz-blauen Bundesregierung, könnte nun im Land aus der Position des Seniorpartners für eine deutliche „blaue Handschrift“ für die nächsten fünf Jahre sorgen. Dass die Parteiprogramme etwa zu zentralen Themen wie Migration oder Wirtschaft kompatibel sind, ist hinlänglich aus dem Bund bekannt. Nach Ober- und Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg wäre es die fünfte aktuelle Zusammenarbeit mit der ÖVP.
Dem entgegen steht, dass ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler vor der Wahl eine klare Präferenz für eine Zusammenarbeit mit der SPÖ ausgab. Laut Beobachtern dürfte sein Interesse, vom Landesvater zum Vize abzusteigen, überschaubar sein. Umgekehrt könnte man gewisse Punkte aus dem schwarzen Wahlprogramm – Abbau der Bürokratie, Bezahlkarte für Asylwerber – als klares Signal in Richtung der FPÖ sehen.
Ein Reibungspunkt könnte die von der FPÖ geforderte Corona-Aufarbeitung werden. Zwar gab sich Drexler nach Kunaseks „Corona-Brief“ aufgeschlossen. Doch die Entscheidung, geimpfte Bewerber für den Landesdienst zu bevorzugen, fiel in seine Verantwortung als Personallandesrat. Andererseits rang sich auch Mikl-Leitner als „Mutter der Impfpflicht“ zu einer Entschuldigung durch und einigte sich mit der FPÖ in Niederösterreich auf einen Entschädigungsfonds, wie ihn die Blauen auch in der Steiermark fordern.
Schmerzhafter würde da schon die Frage nach dem Leitspital in der Obersteiermark, von Drexler eigentlich zur Koalitionsbedingung erklärt. In jenen Gemeinden, die ihr eigenes Krankenhaus dafür aufgeben müssten, triumphierte die FPÖ: In Rottenmann erreichte man stolze 63 Prozent (plus 35 Prozent), in Schladming (51 Prozent) und Bad Aussee (34 Prozent) legte sie um je 22 Prozent zu. In ersterer Gemeinde landete die ÖVP überhaupt nur auf dem letzten Platz. Bei einer Koalition wäre das Prestigeprojekt wohl kaum zu halten.
FPÖ & SPÖ: Stärkung der „sozial-patriotischen“ Achse
Das Festhalten an diesem kostete auch der SPÖ in ihren einstigen Hochburgen im Norden des Landes viele Stimmen. Der steirische SPÖ-Chef Anton Lang verfehlte zudem trotz vorhandener Sympathiewerte im Volk sein Ziel des ersten Platzes deutlich, unterbot das historisch schlechteste Ergebnis hingegen noch. Umgekehrt wollte er schon im Vorjahr trotz klarer Tendenz zur ÖVP eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht ausschließen. Mit 28 Mandaten verfügt diese Option nun auch über eine stabile Mehrheit.
Es wäre eine untypische Koalition, allerdings auch außerhalb von Proporz-Regierungen kein Novum. In den Ländern gilt die „Vranitzky-Doktrin“ schon seit Jahren nicht mehr so strikt wie im Bund. Schnittmengen gibt es bei sozialen Themen – leistbares Wohnen, Kampf gegen die Inflationsfolgen – aber durchaus auch bei der Migration, wo sich Lang seit Jahren als offener Unterstützer des Doskozil-Kurses positioniert. Damit würde die SPÖ auch auf unorthodoxe Weise ihr Wahlziel erreichen, eine schwarz-blaue Regierung zu verhindern …
Zugleich wäre es eine Vorleistung für eine zweite rot-blaue Koalition im Burgenland, wie sie bereits von 2015-2020 dort bestand. Was für eine solche Konstellation in der Steiermark spricht: Für die SPÖ würde sich strukturell wenig ändern – sie bliebe Juniorpartner. Aktuell ist die SPÖ unter anderem für Finanzen, Verkehr, Soziales, Arbeit, Umwelt oder Energie zuständig. Mit einigem Verhandlungsgeschick könnte sie trotz des schlechten Wahlergebnisses die Mehrheit dieser mitunter postenreichen „roten Kernressorts“ behalten. Blau-Rot wäre zwar vielleicht nicht der Favorit der Buchmacher, aber realistischer als auf den ersten Blick ersichtlich.
ÖVP & SPÖ plus X: Nächstes Ampel-Experiment?
Allerdings könnten ÖVP und SPÖ auch die Gespräche mit Kunasek gezielt scheitern lassen, um danach das Narrativ der Notwendigkeit eines „Bündnisses der Vernunft“ auch im Land zu lancieren. Es wäre eine riskante, aber nicht ganz unwahrscheinliche Option: Drexler und Lang zeigten sich vor der Wahl beide als Fans ihrer Zusammenarbeit, sie hat in der grünen Mark auch Tradition. Seit 1945 regierten die beiden Parteien immer gemeinsam, über viele Jahrzehnte sogar exklusiv. Erst in der jüngeren Vergangenheit ermöglichte das bis 2015 gültige Proporz-System der FPÖ einzelne Landesräte.
In der Geschichte schweißte es die beiden Parteien immer wieder zusammen – auch dann, wenn sie zuvor vom Souverän abgestraft wurden. Nach der unbeliebten Gemeindestrukturreform verloren beide 2015 je über neun Prozent. Das Köpferollen blieb – bis auf Ex-Landeshauptmann Franz Voves – überschaubar, man arbeitete trotzdem wieder zusammen. Für die „Leitspital“-Debatte könnte es ein Vorbild sein, die Aufregung einfach „durchzutauchen“: Der Schaden ist ja angerichtet, bei der nächsten Wahl ist’s nicht mehr umkehrbar.
Das Problem für die ehemalige „große Koalition“: Allein hat sie keine Mehrheit, sie bräuchte einen dritten Partner. Diese wäre mit 27 (mit den Grünen) beziehungsweise 26 Sitzen (NEOS beziehungsweise KPÖ) zwar abgesichert, aber immer noch kleiner als jede Kooperation mit der FPÖ. Hier dürften wie im Bund eher die NEOS infrage kommen, die immerhin keine Verluste einfuhren und seit ihrer Gründung betonen, dass sie trotz ihrer geringen Größe immer für eine Regierungsbeteiligung zu haben sind. Für eine Partei, die über nur zwei Mandate im Landtag verfügt, wäre es ein denkbar „billiger“ Landesrat-Posten.
Mit den Grünen hat indes SPÖ-Chef Lang als Verkehrslandesrat keine Freude. Aus Sicht der ÖVP wäre ein solches Bündnis nach den Scherereien mit den Grünen in der letzten Bundesregierung ausgerechnet in der Heimat von Kogler und Gewessler kein attraktives Los. Ersterer richtete Drexler aus Wien sogar aus, „Stimmenfladerei“ zu begehen. Mann müsste erklären, weshalb ausschließlich „Verliererparteien“ paktieren. Dass die KPÖ, die nach Verlusten mit Ach und Krach ihr Grundmandat verteidigte, erstmals seit 1948 wieder Teil einer Regierung in der Steiermark ist, gilt indes als nahezu ausgeschlossen.
ÖVP und SPÖ allein: Minderheitsregierung als Wagnis
Theoretisch wäre auch möglich, dass ÖVP und SPÖ einerseits keine Koalition mit der FPÖ wollen – andererseits aber auch keinen dritten Partner ins Boot holen. Es wären Verhältnisse nach dem „Thüringer Modell“: Die beiden Parteien haben zwar keine eigene Mehrheit – aber auch keine Mehrheit gegen sich, sondern verfügen mit 24 Sitzen eben genau über die Hälfte der Mandate.
Sofern man vollzählig in einer Sitzung ist, droht also kein Ungemach durch potenzielle Misstrauensanträge. Man wäre aber in einer Art „Pseudo-Proporz“ darauf angewiesen, sich für Gesetzesmehrheiten um wechselnde Mehrheiten zu kümmern. Man könnte dann etwa bei Migrationsthemen der FPÖ einige Zugeständnisse machen, bei Klimathemen den Grünen, bei Bildungsthemen den NEOS oder beim Wohnthema der KPÖ.
Zwar hatten Proporz-Regierungen in Österreich viel Tradition und existieren derzeit in Ober- und Niederösterreich weiter. Aber auch dort gibt es in der Regel ein Arbeitsübereinkommen mit Mehrheit. In Vorarlberg war es umgekehrt jahrzehntelang Tradition, dass die ÖVP anderen Fraktionen trotz eigener absoluter Mehrheit einzelne Regierungsposten anbot. Eine handfeste Minderheitsregierung im Landtag wäre allerdings Neuland. Auch deshalb ist es die unwahrscheinlichste der vier Optionen in der traditionsbewussten Steiermark.