Tückische Geschäftsordnung: Warum Merz’ Ankündigung ins Leere laufen könnte

CDU-Chef Friedrich Merz plant, die Rechtslage noch vor der Wahl zu ändern und will dies in den verbleibenden Sitzungswochen des Bundestages beschließen lassen. Doch die Geschäftsordnung des Bundestages setzt hohe Hürden. Welche Möglichkeiten hat die Union? Antworten gibt der Jurist und AfD-Politiker Krzysztof Walczak.

Analyse von
25.1.2025
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4 Minuten Lesezeit
Tückische Geschäftsordnung: Warum Merz’ Ankündigung ins Leere laufen könnte

Der AfD-Politiker Walczak analysiert die Ankündigung von Friedrich Merz.

© IMAGO / Eibner

Es ist aus meiner Sicht als „Geschäftsordnungsenthusiast“ mehr als fraglich, ob Merz noch vor der Wahl eine Änderung der Rechtslage bewirken kann. Entscheidend werden die Regularien der Geschäftsordnung des Bundestages sein und ob Merz bereit ist, nicht nur ein einziges Mal im Plenum, sondern durchgehend und auch in den Fachausschüssen Mehrheiten mit der AfD zu bilden. Eine Übersicht:

Zunächst einmal zu den Mehrheiten. Zwei politisch denkbare Kombinationen hätten eine absolute Mehrheit von mindestens 367 im Bundestag:

Variante 1: Union (196) + FDP (90) + AfD (76) + nicht-linke Fraktionslose (6 — Cotar, Farle, Helferich, Huber, Seitz, Spaniel — Anwesenheit von Uwe Witt mehr als fraglich): 368

Variante 2: Union (196) + FDP (90) + AfD (76) + BSW (10): 372

Wichtig: Anträge und Gesetzentwürfe bedürfen nicht der absoluten Mehrheit von 367 Stimmen, sondern nur der einfachen Mehrheit, das heißt mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen. Wenn Abgeordnete also nicht erscheinen oder sich der Stimme enthalten, fallen sie aus der Kalkulation raus. In der Realität wird es deshalb weniger als 367 Stimmen brauchen, um die CDU-Anträge zu beschließen.

Im relevanten Fachausschuss, dem Innenausschuss, kommen CDU, FDP und AfD auch ohne weiteres auf eine Mehrheit von 24 von 47.

Anträge vs. Gesetzentwürfe – Zwei Optionen für die Union

Nun zu den Anträgen selbst. Die Union hat zwei Möglichkeiten: Entweder sie bringt ihre Initiative als Antrag ein. Dieser würde nicht in Gesetzeskraft erwachsen, sondern lediglich eine Aufforderung an die Bundesregierung enthalten, etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Die noch amtierende rot-grüne Bundesregierung könnte eine solche Forderung rein rechtlich betrachtet erst einmal ignorieren. Daher werde ich diese Variante hier nicht weiter analysieren, weil sie keine konkrete Veränderung der Migrationspolitik vor der Wahl bedeuten würde. Entscheidet sich die Union für einen schlichten Antrag, kann man die Initiative von Merz von Anfang an als reine Wahlkampffinte vergessen.

Oder die Union bringt ihre Vorschläge als Gesetzentwurf ein. Das könnte dann von der noch amtierenden rot-grünen Bundesregierung nicht ignoriert werden, wenn er beschlossen wird. Allerdings ist das Verfahren bei Gesetzentwürfen deutlich schwieriger als bei Anträgen, die auf schlichte Parlamentsbeschlüsse gerichtet sind:

1. § 78 der Geschäftsordnung des Bundestages schreibt drei Beratungen für Gesetzentwürfe vor. In der Praxis heißt das: Erste Lesung im Plenum, dann Überweisung an den Fachausschuss, dann Überweisung zurück ins Plenum (wofür es eine Mehrheit im Ausschuss benötigt), dann zweite und dritte Lesung im Paket im Plenum. Entscheidend ist: Die Überweisung an den Ausschuss kann laut § 80 Absatz 2 der GO nur mit einer Zweidrittelmehrheit übersprungen werden! Diese hat die Union nicht. Das Problem ist hier die Zeit: Die nächste Sitzungswoche ist die vorletzte Sitzungswoche des Bundestages. Geht der Vorschlag zunächst in den Ausschuss, kann er im Ausschuss potenziell z. B. durch Nichtabhaltung von Ausschusssitzungen blockiert werden, bis die Initiative im Ausschuss „stirbt“ und der Diskontinuität anheimfällt.

2. Der Bundesrat müsste grünes Licht geben, indem er jedenfalls nicht Einspruch einlegt, ansonsten müsste der Bundestag den Bundesrat mit entsprechenden Mehrheiten überstimmen — ohne weitere Sitzungswoche ginge das nicht. Bei einem Zustimmungsgesetz würde es noch schwieriger sein.

3. Der Bundespräsident muss unterschreiben; er könnte die Unterschrift ablehnen, wenn er der Meinung ist, dass das Gesetz offensichtlich verfassungswidrig wäre. Dann würde sehr wahrscheinlich im Endeffekt das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Und ich tippe mal: nicht vor der Wahl.

Strategien zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens

Wie könnte die Union jedenfalls dafür sorgen, dass der Bundestag abschließend über den Gesetzentwurf beschließt und er zumindest an den Bundesrat geht? Aus meiner Sicht ist die einzige Möglichkeit, dass die Union die Überweisung an den Fachausschuss hinnimmt und so schnell wie möglich eine Ausschusssitzung erzwingt. Das geht laut § 60 Absatz 2 der GO durch ein Minderheitsverlangen von einem Drittel der Ausschussmitglieder. Wenn der Ausschuss dann zusammentritt, müsste es dann z. B. im Innenausschuss wiederum eine Mehrheit für den Gesetzentwurf geben sowie für alle gegebenenfalls erforderlichen vorgelagerten Verfahrensbeschlüsse, dort hätten Union, FDP und AfD zusammen 24 der 47 Stimmen. Im Anschluss müsste die Union entweder eine Aufsetzung der Ausschussempfehlung auf die Tagesordnung der noch im Kalender vorgesehenen letzten Bundestagssitzungen am 10. oder 11. Februar 2025 verlangen oder eine Sondersitzung des Bundestages erzwingen; dafür ist laut § 21 Absatz 2 der GO ein Drittel der Mitglieder des Bundestages erforderlich (das könnte die Union also nicht alleine, aber z. B. mit der FDP zusammen machen).

Dieser ganze Prozess, das muss man dazu sagen, ist natürlich extrem anfällig für linke Obstruktion. Sowohl die Präsidentin des Deutschen Bundestages als auch der kommissarische Vorsitzende des Innenausschusses gehören zur SPD. Die GO schreibt nicht vor, wie schnell nach einem entsprechenden Verlangen der Bundestag oder die Ausschüsse zusammentreten müssen, im Zweifel entscheidet also der jeweilige Vorsitzende. Hinzu kommt, dass Rote und Grüne natürlich bei jedem einzelnen kleinteiligen Schritt, bei dem Mehrheiten mit der AfD gebildet werden, Zeter und Mordio kreischen würden. Auch ist davon auszugehen, dass die Merkelianer in der Union über das Wochenende Widerstand organisieren werden.

Fazit: Derzeit riecht das alles nach großer Show von Merz, ohne dass es noch vor der Wahl zu einer Änderung der Rechtslage kommt. Die Einsicht kommt viel zu spät! Ohne eine konsequente Planung und Organisation der potenziellen migrationskritischen Mehrheit im Bundestag wird es nicht funktionieren. Jeder Journalist sollte Friedrich Merz daher jetzt fragen, wie er seinen Gesetzentwurf vor dem voraussichtlichen Tod im Fachausschuss retten will.

Über den Autor

Krzysztof Walczak

Krzysztof Walczak, geboren 1994, ist Jurist und seit 2020 Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft sowie Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion.

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