EU-Kommission will private Kommunikation stärker überwachen
Die EU-Kommission will im Kampf gegen Kindesmissbrauch im Netz auch Chats durchleuchten. Doch Experten fällten nun ein vernichtendes Urteil, dem sich auch der Wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments anschloss.
Brüssel. - Mit der Rede- und Meinungsfreiheit ist es in der EU ohnehin nicht zum besten bestellt. Aber das reicht den Kommissaren noch nicht: schon letztes Jahr präsentierte die Kommission den Entwurf einer Verordnung, der darauf abzielt, auch die private Kommunikation im Internet – etwa über WhatsApp oder per Mail – völlig „gläsern“ zu machen. Konkret: die EU-Bürokraten wollen sich mit der neuen Verordnung das Mitlesen privater Inhalte erlauben, noch bevor die Verschlüsselung durch den Anbieter greift.
Experten stellen vernichtendes Urteil aus
Natürlich musste auch diesmal der vermeintliche Kinderschutz als Begründung herhalten: sowohl Kinderpornographie als auch die Kontaktaufnahme mit Minderjährigen gelte es zu verhindern, argumentierte die Kommission. Aber: aus der Komplettüberwachung der privaten Kommunikation wird wohl nichts. Denn die von der Kommission mit der Begutachtung des Entwurfes beauftragten Experten fällten ein vernichtendes Urteil – dem sich jetzt auch noch der Wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments anschloss.
Die Fachleute sprechen von einem massiven Eingriff in Grundrechte, der überdies die verschlüsselte Kommunikation aufhebt. Die damit einhergehende Datensammlung würde gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen, weil in gigantischem Ausmaß ohne konkreten Anlass personenbezogene Daten überwacht und verarbeitet würden. Hiergegen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Vergangenheit schon mehrmals Urteile gefällt, etwa bezüglich der Vorratsdatenspeicherung. Massenüberwachung ohne Anlass ist demnach unzulässig. Illegal ist es auch, Diensteanbieter zu einer generellen Überwachung zu verpflichten. Darüber hinaus verletze der Vorschlag die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie die unternehmerische Freiheit.
Zweifel an technischer Durchführbahrkeit
Der Wissenschaftliche Dienst hat darüber hinaus Bedenken, ob das Vorhaben technisch überhaupt durchführbar ist. Hinzu kommt ein gigantischer – und kostspieliger – Mehraufwand für die Behörden. Es sei fraglich, ob die Ermittler die Fülle an anfallendem Material überhaupt bearbeiten können. Die neuen Technologien würden „zu einer Zunahme der gemeldeten Inhalte und einer Abnahme der Genauigkeit führen, was sich erheblich auf die Arbeitsbelastung der Strafverfolgungsbehörden auswirken wird“, kritisieren die Experten.
Die geplante Verordnung dürfte deshalb spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern. Auch im Europaparlament, wo der ursprüngliche Kommissionsentwurf offenbar nur wenig zur Kenntnis genommen wurde, regt sich nun Widerspruch, und immer mehr Abgeordnete melden Kritik an. Der deutsche FDP-Abgeordnete Moritz Mölzer empfiehlt deshalb: „Die Europäische Kommission wäre gut beraten, ihre Schnüffelinitiative sofort zurückzuziehen.”