Nach der Parlamentswahl in der Slowakei: Das nationale Momentum?
Am 30. September haben die Slowaken ihren Nationalrat neu gewählt und das Wahlergebnis scheint einschneidend zu sein. Während in Deutschland oder Österreich die Einteilung des Parteienspektrums in Links-Mitte-Rechts relativ klar vorgenommen werden kann, ist dies mit Blick auf das slowakische Nationalparlament nicht so einfach.
Als Außenstehender könnte man meinen, dass die Sozialdemokratie ein sehr gutes Ergebnis erzielt hat und es sich um einen klassischen Linksruck handelt. Mit 22,9 Prozent der Stimmen konnte sich „SMER – slovenská sociálna demokracia“ an erster Stelle behaupten. Sie legte im Vergleich zu den Wahlen 2020 um 4,6 Prozentpunkte zu. Darüber hinaus konnte die Smer-Abspaltung „Hlas – sociálna demokracia“ mit einem Zugewinn von mehr als elf Prozentpunkten und einem Gesamtergebnis von 14,7 Prozent den dritten Platz erreichen. Beide Parteien tragen den Begriff „Sozialdemokratie“ im Namen, sind aber mit der bundesdeutschen SPD oder der österreichischen SPÖ kaum vergleichbar.
Klarer Gewinner neben Hlas ist die liberale Progresívne Slovensko (PS), die mit 18 Prozent den zweiten Platz unter den genannten Parteien einnimmt. Ihr Zugewinn von elf Prozentpunkten erklärt sich unter anderem durch den Absturz der bürgerlichen „Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti“ (kurz: OĽaNO). Mit einem Verlust von 21,9 Prozentpunkten rutschte sie vom ersten auf den vierten Platz ab. Mit leichten Zugewinnen folgen die christdemokratische „Kresťanskodemokratické hnutie“ (KDH) mit 6,8 Prozent, die libertäre SASKA mit 6,3 Prozent und die rechtskonservative „Slovenská národná strana“ (SNS) mit 5,6 Prozent.
Fokus auf die Rechtsparteien
Bevor auf die beiden sozialdemokratischen Parteien und die damit verbundene Koalitionsbildung eingegangen wird, soll das zersplitterte rechte Lager unter die Lupe genommen werden.
Die SNS ist eine relativ alte Rechtspartei, die bereits bei den ersten Nationalratswahlen 1990 antrat und seitdem mit Wahlergebnissen zwischen drei und 14 Prozent regelmäßig den Einzug in das nationale Parlament verpasst oder erreicht hat. Wenn ihr der Einzug gelang, regierte sie häufig in Koalitionsregierungen mit, zuletzt in der Legislaturperiode 2016-2020. Sie zeichnet sich durch eine nationalkonservative und EU-kritische Programmatik, aber auch durch eine russlandfreundlichere Positionierung aus. Die SNS dürfte auch von der Schwäche der „Sme rodina“ (SR) profitiert haben. Sie vertritt ebenfalls nationalkonservative und leicht EU-kritische Positionen, orientiert sich aber außenpolitisch an der NATO und weniger an Russland. Mit nur 2,2 Prozent verfehlte sie die Fünf-Prozent-Hürde deutlich. Auf europäischer Ebene ist sie Mitglied der ID-Partei, in der auch die AfD und die FPÖ organisiert sind.
Die neofaschistische „Kotlebovci - Ľudová strana Naše Slovensko“ (ĽSNS) verfehlte den Wiedereinzug deutlich. Während sie sowohl 2016 als auch 2020 mit jeweils acht Prozent den Einzug schaffte, konnte sie diesmal nicht einmal ein Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Davon profitierte vermutlich die „Hnutie Republika“, die mit 4,8 Prozent den Einzug knapp verpasste. Die Republika ist eine nationalistische Partei, die sich aus ehemaligen Mitgliedern der ĽSNS rekrutiert. Diese erheben den Anspruch, mit ihrer neuen Partei weniger radikal zu sein als ihre Vorgängerpartei. Beide Parteien lehnen die Mitgliedschaft in EU und NATO ab und gelten als russlandfreundlich. Während die ĽSNS jedoch deutlich auf Faschismus und Nationalsozialismus Bezug nimmt, zeichnet sich die Republika durch den Versuch aus, sich von dieser Programmatik zu distanzieren.
Insgesamt ist das Lager rechts der Mitte in viele Parteien zersplittert, sodass nur die SNS die Position der klassischen Rechtspartei im Nationalrat einnehmen kann.
Rechte Linke?
Zurück zu den beiden sozialdemokratischen Kräften Smer und Hlas.
Die Smer des Parteivorsitzenden und langjährigen Premierministers Robert Fico ist zwar Mitglied der sozialdemokratischen EU-Fraktion S&D und der dazugehörigen EU-Partei „SPE“, vertritt aber neben einer sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik kaum Positionen, die mit den Sozialdemokraten westeuropäischer Prägung vergleichbar sind. In gesellschaftspolitischen Fragen vertritt sie konservative Positionen und lehnt beispielsweise die LGBT-Ideologie ab und fordert eine strengere Migrationspolitik. Zudem steht sie der EU, der NATO und dem Westen im Allgemeinen häufig kritisch gegenüber und tendiert zu einer russlandfreundlicheren Politik. So ist es nicht verwunderlich, dass die Smer in der Vergangenheit unter anderem mit der SNS Koalitionsregierungen gebildet hat.
Die Hlas ist wiederum eine Abspaltung der Smer, kann aber nur bedingt als sozialdemokratische Partei westlichen Typs angesehen werden. Sie tendiert mehr zur Mitte als die Smer und steht der NATO und der Europäischen Union positiver gegenüber. Auch sie lehnt illegale Einwanderung ab, fordert aber im Sinne wirtschaftlicher Interessen weitere Migration und verwendet in außenpolitischen Fragen den Slogan „Slowakei zuerst“.
Dennoch bleibt die Hlas in vielen Punkten vage. Damit ist sie für verschiedene politische Lager anschlussfähig, was sie angesichts des Wahlergebnisses zur Königsmacherin macht.
Koalition der nationalen oder liberalen Kräfte?
Es wird erwartet, dass die drei Wahlsieger Smer, Hlas und SNS eine Koalition bilden könnten. Sie würden die Slowakei als eines der vier Visegrád-Staaten wieder auf einen deutlich EU-kritischeren Kurs bringen und sich gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine aussprechen. Darüber hinaus wäre zu erwarten, dass die Slowakei die Bemühungen zur Eindämmung der Migration über das Mittelmeer begrüßt.
Die Hlas könnte sich aber auch anders entscheiden. Die PS diskutiert derzeit, ob sie der Hlas das Amt des Ministerpräsidenten anbieten soll, obwohl die PS mehr Stimmen als die Hlas erhalten hat. Außerdem könnten sich OĽaNO und SASKA dieser Koalition anschließen und so eine liberalere und EU-freundlichere Regierung bilden.
Es liegt nun in den Händen von Hlas, in welche Richtung sich die Slowakei entwickeln wird. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, sie wird nicht nur für die Slowakei in den nächsten Jahren von großer Bedeutung sein, sondern auch ein weiterer wichtiger Baustein für die Entwicklung in Mitteleuropa.
Zur Person:
Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.