Das demographische Dilemma (II)

Im zweiten Teil seines Beitrags zum demographischen Dilemma konzentriert sich Daniel Fiß auf die Zusammensetzung der Wählerschaft und hält fest, dass CDU und SPD als die beiden großen Volksparteien ohne die Ü60-Wähler in den Wahlergebnissen bei unter 20 Prozent liegen würden.

Daniel Fiss
Kommentar von
9.1.2023
/
3 Minuten Lesezeit
Das demographische Dilemma (II)

Daniel Fiß

Der erste Teil kann hier nachgelesen werden.

Die Demographie ist immer auch eine Schicksalsfrage. Sie wird in den kommenden Jahren der entscheidende Treiber der gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationsprozesse sein. Der Gesundheits- und Pflegebereich wird sich auf deutlich mehr Versorgungsansprüche einstellen. Angesichts geringer Eigentumsquoten und teuren Preisen auf dem Wohnungsmarkt, wird es kaum möglich sein, wie beispielsweise in Japan mehrgenerationale Modelle des Zusammenlebens zu schaffen, um somit die Altenpflege zu entlasten. Das Innovationspotential sowie Risikokapital und Investitionen werden deutlich zurückgehen.

Und auch die Zusammensetzung des Elektorats und damit die demoskopische Machtverteilung in einer Demokratie ist diesen Veränderungsprozessen unterworfen. Wir haben in der Bundesrepublik nach wie vor eine klare Blockkonzentration über die beiden großen Volksparteien CDU und SPD. Würde man ein hypothetisches Höchstwahlalter einführen und damit alle Ü60 Jährigen vom Wahlakt ausschließen, würde zumindest die klare Dominanz dieser beiden Volksparteien deutlich zusammenschmelzen.

Ohne die Ü60-Wähler wären beide Parteien unter 20 Prozent gelandet. Die Grünen wären mit 20 Prozent stärkste Kraft, die FDP käme auf 14,7 Prozent und für die AfD und die Linkspartei wären die Zuwächse geringfügig höher. Bei der AfD hängt dies insbesondere mit ihrer schwachen Performance in der sehr jungen Altersgruppe zwischen 18-24 Jahren zusammen.

Noch deutlicher wird die Macht der Alten jedoch in der umgekehrten Rechnung, wenn nur die 60-Jährigen wählen könnten. Insgesamt stellen die Gruppe der Ü60-Altersklasse mehr Wahlberechtigte als alle Alterskohorten zwischen 18-44 Jahre zusammengenommen. Doch auch trotz des schlechteren Abschneidens der kleineren Parteien in den älteren Jahrgängen kann es sich keine leisten auf die Ü60 Wähler zu verzichten. In absoluten Stimmen gaben beispielsweise bei der letzten Bundestagswahl 1,4 Millionen der über 60-Jährigen der AfD ihre Stimme. Damit setzt sich auch die Gesamtwählerschaft zu fast einem Drittel aus den höheren Jahrgängen zusammen.

Bei den 18–34-Jährigen kommt die Partei hingegen nur auf zusammengerechnet 819.000 Stimmen. Das heißt selbst wenn der prozentuale und ins Verhältnis gesetzte Mobilisierungsanteil in den Ü60 Altersgruppen gering ausfällt, ist er mit Blick auf die absoluten Stimmenverhältnisse immer noch eine wahlentscheidende Ressource. Hinzu kommt, dass die ohnehin stark vertretene Ü60-Altersgruppe im Durchschnitt eine 15 Prozent höhere Wahlbeteiligung aufweist. Das Stimmengewicht der Ü60-Jährigen ist demnach bereits um den Faktor 3 stärker als jenes der U30-Jährigen.

Die meisten Parteien sind also bereits von der heutigen Rentnergeneration abhängig, wodurch das Elektorat auch weniger Dynamik und Flexibilität aufweist. Die heutigen demoskopischen Verhältnisse sind noch immer Ausdruck der alten westdeutschen politischen Ordnung und spiegeln bis heute die politischen Sozialisationsprozesse der frühen Bundesrepublik.

Nicht nur bei der Parteienpräferenz zeigen sich die demographischen Missverhältnisse in der Gesellschaft. Auch in Meinungsumfragen sehen wir eine stärkere Gewichtung für bestimmte Positionen, die insbesondere die Stimmungsbilder älterer Befragter wiedergeben. Das exemplarische Beispiel dafür war die Corona-Pandemie. Über die meiste Zeit sprach sich stets eine Mehrheit für die Maßnahmenpolitik der Bundesregierung aus. Schaute man jedoch genauer auf die Altersverteilung der unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten, so wurde klar, dass ältere Befragte wesentlich stärker hinter den Corona-Maßnahmen standen. Durch die statistische Überrepräsentation dieser Gruppe konnte schließlich auch das verzerrte Bild einer „breiten Zustimmung“ zu den Corona-Maßnahmen vermittelt werden.

Wir werden uns den demographischen Realitäten in all ihren Ausprägungen und Folgen stellen müssen und auch anerkennen, dass wir uns zu bestimmten Entwicklungen und Tendenzen nur noch verhalten können, aber für ein proaktives Gegensteuern die Instrumente limitiert sind oder zumindest ihr zeitlicher Wirkungseintritt, eher auf langfristige Perspektiven angelegt ist. Die rechten Versprechungen von Wohlstand, familienfreundlichen Klima und einer vitalen Volkskultur können nur unter der Prämisse eines zwangsläufigen demographischen Schrumpfungsprozesses gedacht werden.


Zur Person:

Daniel Fiß, geboren 1992 in Rostock – studierte sechs Semester Good Governance und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Von 2016 – 2019 war er Bundesleiter der Identitären Bewegung Deutschland. Seit 2017 betreibt er als selbstständiger Unternehmer eine eigene Grafikagentur. Fiß befasst sich intensiv mit den Fragen politischer Kommunikation und ihrer Wirkung und ordnet diese in grundlegende strategische Fragestellungen des rechtskonservativen Milieus ein. Seit 2020 betreibt er dafür den Feldzug Blog, in dem er sich regelmäßig Analysen zu Demoskopie, politischer Soziologie und Kommunikation widmet.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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