Exklusiv: Gutachten sieht verfassungsrechtliche Grundlage für AfD-Forderung nach privater Abschiebeindustrie
Zuletzt hatte die AfD Brandenburg gefordert, Abschiebungen künftig von privaten Unternehmen durchführen zu lassen. Ein Gutachten hat nun bestätigt, dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt.
Berlin. – Die AfD fordert eine grundlegende Neuordnung im Bereich der Abschiebungen: Bei der Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber sollen künftig verstärkt private Unternehmen eingesetzt werden. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem aktuellen Gutachten, das FREILICH exklusiv vorliegt, die verfassungsrechtlichen Aspekte und bestehenden Grenzen der Privatisierung untersucht. Dabei zeigt sich, dass eine Privatisierung im Zusammenhang mit Abschiebungen in Deutschland bereits teilweise praktiziert wird, jedoch an strenge Voraussetzungen gebunden ist.
Bisherige Praxis der Privatisierung
Private Akteure spielen bereits heute eine Rolle in Abschiebeprozessen. Dies zeigt sich vor allem in zwei Bereichen: Im Luftverkehr nehmen Piloten im Rahmen des Luftsicherheitsgesetzes hoheitliche Aufgaben wahr. „Als Beliehene sorgen sie für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung an Bord“, heißt es hierzu. Dazu gehört auch die Anwendung von Zwangsmitteln. Darüber hinaus werden private Sicherheitsdienste als sogenannte Verwaltungshelfer in Abschiebehaftanstalten eingesetzt. Dort übernehmen sie Aufgaben wie Bewachung, Kontrolle und Betreuung, allerdings immer unter behördlicher Anleitung.
Unter dem Begriff Privatisierung werden verschiedene Modelle zusammengefasst. Von besonderer Relevanz im Zusammenhang mit der Abschiebung sind die funktionale Privatisierung, bei der private Akteure staatliche Aufgaben übernehmen, und die sogenannte Beleihung. Bei letzterer erhalten private Akteure hoheitliche Befugnisse und handeln eigenverantwortlich unter staatlicher Aufsicht. Ein bekanntes Beispiel ist der Einsatz privater Sicherheitskräfte oder medizinischer Dienstleister in Abschiebehaftanstalten. Der Wissenschaftliche Dienst sieht hier Potenziale, betont aber die Notwendigkeit klarer rechtlicher Vorgaben.
Verfassungsrechtliche Grenzen
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes betont, dass die Verfassung einer weiteren Privatisierung Grenzen setzt. Von besonderer Bedeutung ist Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Danach sind „hoheitliche Aufgaben in der Regel durch Beamte wahrzunehmen“. Privatisierungsbestrebungen müssen daher sicherstellen, dass der Staat seine Verantwortung und Aufsicht nicht aus der Hand gibt.
Auch das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip setzen der Übertragung staatlicher Aufgaben auf private Akteure Grenzen. Entscheidend ist, so der Wissenschaftliche Dienst, dass eine „hinreichend enge Anbindung“ zum Staat gewährleistet bleibt. Dies betreffe nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern auch die Kontrolle durch die öffentliche Hand.
Das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes ist aber eindeutig: „Die Entscheidung, Private im Vollzug der Abschiebung einzusetzen, müssten vorrangig die Länder treffen. Ob und unter welchen Umständen eine Privatisierung im Rahmen des Bundesgrenzschutzes (Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG) zulässig wäre, ist umstritten. Im Bereich von Art. 87 Abs. 3 GG dürfte eine Aufgabenprivatisierung jedoch möglich sein“. Aber: „Bei der Verwaltungshilfe muss sich der Staat ebenfalls hinreichende Sicherungs- und Kontrollmöglichkeiten vorbehalten. Die Anforderungen hieran sind im Bereich der Abschiebung und der Abschiebehaft hoch, da diese mit intensiven Grundrechtseingriffen einhergehen.“
Effizienzsteigerung durch private Abschiebeunternehmen?
Der Hintergrund: Im Vorfeld der Landtagswahl in Brandenburg hatte die AfD-Fraktion die angesprochene Forderung erhoben: Abschiebungen sollen künftig von privaten Unternehmen durchgeführt werden, um die Zahl der Rückführungen zu erhöhen. „Der Staat kann es nicht schaffen, durch private Abschiebeunternehmen haben wir eine Effizienzsteigerung“, erklärte die rechtspolitische Sprecherin der AfD, Lena Kotré. Die Fraktion schlägt vor, diese Aufgaben per Ausschreibung an spezialisierte Unternehmen zu vergeben, die unter anderem Flüge organisieren, Ersatzpapiere beschaffen und Verhandlungen mit den Herkunftsländern führen sollen.
Zudem fordert die AfD den Ausbau von Abschiebehaftplätzen mit niedrigeren Standards. „Das ist eben eine Art Gefängnis“, sagte Dennis Hohloch, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion.
Bei den anderen Parteien stießen die Vorschläge der AfD auf Widerstand. Linken-Fraktionschef Sebastian Walter vermutet wirtschaftliche Interessen hinter den Plänen: „Am Ende geht es ihnen darum, ihre Helfershelfer zu unterstützen.“ Auch die Grünen sehen in dem Antrag vor allem ein Wahlkampfthema. „Es ist mal wieder nur Stimmungsmache der AfD“, sagte Benjamin Raschke, Fraktionsvorsitzender der Grünen.
René Springer: „Effizienz zum Wohle der Gesellschaft“
René Springer, Landeschef der AfD Brandenburg und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, verteidigte auf Anfrage von FREILICH die Forderung nach Privatisierung. „Wir brauchen für die große Wende alle tatkräftigen Hände, gerade bei den Korrekturen der Migrationspolitik“, sagte er. Die AfD wolle die sogenannte „Asylindustrie“ auflösen und stattdessen private Akteure zur Rückwanderung motivieren.
Zur verfassungsrechtlichen Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes sagte Springer, Privatisierungen seien grundsätzlich möglich, wenn auch im Rahmen des Grundgesetzes eng begrenzt. „Die Entscheidung über den Einsatz Privater bei der Durchführung von Abschiebungen muss daher vorrangig von den Ländern getroffen werden. Dazu sind wir als AfD Brandenburg bereit“, so Springer.