Österreich: Stopp des Familiennachzugs – Kritiker sehen „Blendwerk“
Der von der Bundesregierung angekündigte Stopp des Familiennachzugs entpuppt sich nach Ansicht von Kritikern als bloßes Täuschungsmanöver. Die FPÖ spricht von einem „Blendwerk“.
Der ÖPV begründet die Einstellung des Familiennachzugs mit der Überlastung des Systems. Experten bezweifeln jedoch die Rechtmäßigkeit.
© IMAGO / SEPA.MediaWien/Brüssel. – Die österreichische Bundesregierung hat beschlossen, den Familiennachzug für anerkannte Asylberechtigte vorübergehend auszusetzen. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 26. März im Ministerrat beschlossen und soll im April im Nationalrat verabschiedet werden. Stimmt das Parlament dem Beschluss zu, werden ab Mai 2025 keine Anträge auf Familienzusammenführung mehr bearbeitet. Die Regelung ist vorerst bis September 2026 befristet.
Regierung verweist auf Belastung des Sozialsystems
Die Regierung begründet den Schritt mit einer Überlastung des Sozial- und Bildungssystems. „Wir sind hier am Ende der Belastbarkeit, und deshalb drücken wir die Stopptaste“, erklärte Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP). Vor allem das Bildungssystem leide unter dem hohen Anteil nicht alphabetisierter Migranten.
Laut Zahlen des Österreichischen Integrationsfonds haben in Wien 52 Prozent der Schüler nicht Deutsch als Muttersprache, in manchen Bezirken sind es fast 75 Prozent. Eine Umfrage der Wiener Lehrergewerkschaft ergab, dass die Hälfte der befragten Lehrer in Klassen unterrichtet, in denen mehr als die Hälfte der Kinder nicht ausreichend Deutsch spricht.
Plakolm zeigte sich überzeugt, dass die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs europarechtlich haltbar sei. Aufgrund der Überlastung könnte Österreich vom EU-Recht abweichen, meint die ÖVP-Politikerin. Die Sonderregelung soll im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats per Verordnung umgesetzt werden, sollte das System weiterhin überlastet sein.
Experten sehen „Trick“
Experten bezweifeln allerdings, dass die Maßnahme mit EU-Recht vereinbar ist. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Universität Linz, sagte im Ö1-Mittagsjournal: „Beim Unionsrecht hört die Trickserei auf“. Das EU-Recht garantiere den Familiennachzug durch eine entsprechende Richtlinie, zudem sei das Grundrecht auf Familienleben in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert.
Leidenmühler stellte klar, dass die Argumentation der Regierung völlig unzureichend sei: „Die Überlastung von Bildungseinrichtungen in einzelnen Städten erfüllt das auf keinen Fall. Das stellt keine Gefahr der öffentlichen Sicherheit dar“. Ein Mitgliedstaat müsse akribisch nachweisen, dass solche Maßnahmen das letzte Mittel seien, was bisher noch keinem EU-Land vor dem Europäischen Gerichtshof gelungen sei. Auch ein präventiver Stopp sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zulässig.
Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk kritisierte im Standard die geplante Regelung als „Trick“, da das Recht auf Familiennachzug durch eine verfahrensrechtliche Maßnahme behindert werde. Der geplante Stopp könne letztlich europarechtlich keinen Bestand haben. Für viele Experten handele es sich daher um einen politischen „Trick“ ohne reale Auswirkungen.
Kritik von Oppositionsparteien
Kritik kam auch von den Grünen. Sigrid Maurer, Bildungssprecherin der Partei, sprach von einer „Themenverfehlung“: „Was die Bundesregierung vorgelegt hat, wird keinem einzigen Kind, keiner einzigen Lehrkraft und keinem einzigen Elternteil helfen.“
Besonders scharf äußerte sich die FPÖ. Generalsekretär Michael Schnedlitz sprach von einem „Blendwerk“. „Der Trick, die Bearbeitungsfrist für Anträge auf Familiennachzug zu hemmen, wird keinerlei Wirkung entfalten“, erklärte er. Der Gesetzestext enthalte bereits eine Umgehungsmöglichkeit – „nämlich wenn sich die Antragsteller auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen.“
Schnedlitz befürchtet, dass dies im großen Stil geschehen könnte, auch mit Hilfe der staatlich finanzierten Rechtsberatung für Migranten. Zudem könnte sich bis September 2026 ein enormer Antragsstau aufbauen, der dann auf einmal abgearbeitet werden müsste – was letztlich eine neue Zuwanderungswelle auslösen könnte.