Parlamentarische Anfragen: Wenn Regierungen die Opposition ausbremsen
Abgeordnete in den Parlamenten nutzen Anfragen als Instrument, um die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Doch diese Kontrolle wird immer wieder behindert, wie eine exklusive FREILICH-Recherche zeigt. Besonders betroffen ist die AfD.
Boris Rhein (CDU) war von 2010 bis 2015 hessischer Innenminister und ist seit 2022 Ministerpräsident des Landes Hessen.
© IMAGO / Michael SchickParlamentarische Anfragen sind ein zentrales Instrument der Opposition, um die Arbeit der Regierungen zu kontrollieren. Sie ermöglichen es Abgeordneten, Informationen von der Exekutive einzufordern und Sachverhalte zu hinterfragen. Doch immer wieder zeigen Fälle, dass Antworten verzögert oder unzureichend geliefert werden. Eine Recherche unter den Fraktionen in den deutschen Landtagen zeigt: Besonders die AfD beklagt massive Mängel bei der Beantwortung ihrer Anfragen.
Zehn Fristverlängerungen für Anfrage in Hessen
In Hessen hat die AfD im vergangenen Jahr insgesamt 303 Kleine und Große Anfragen gestellt. Laut der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags müssen diese innerhalb der Bearbeitungsfrist von sechs Wochen beantwortet werden. Doch im vergangenen Jahr erlebte die Fraktion einen besonders drastischen Fall: Bei einer von ihr eingereichten Kleinen Anfrage zur Stellenbesetzung in der Landesverwaltung wurde insgesamt zehn Mal um Verlängerung ersucht – am Ende führte das zu einer Verzögerung von 48 Wochen.
Konkret wollte die AfD in der Anfrage an die Landesregierung von dieser unter anderem wissen, wie viele Stellen in der Landesverwaltung geschaffen wurden und wie viele unbesetzt sind. In Bezug auf die Verzögerung der Beantwortung warf die AfD der hessischen Landesregierung vor, das Instrument der Fristverlängerung gezielt zu nutzen, um unangenehme Fragen nicht zu beantworten. Brisant dabei: Bereits eine fast identische Anfrage aus dem Jahr zuvor sei nie beantwortet worden.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Frank Grobe, sieht darin eine Missachtung der parlamentarischen Rechte. Eine angebliche Begründung wie ein erhöhter Arbeitsaufwand oder Ähnliches seien unglaubwürdig, so Grobe. Die Regierung wolle den hessischen Bürgern „offensichtlich“ die Fakten über Stellenbesetzungen in Landesbehörden vorenthalten, so die Kritik.
Sachsen: Überlegung zur Klage gegen die Regierung
Auch in Sachsen gibt es Beschwerden über die Beantwortungspraxis. Dort stellte die AfD im vergangenen Jahr 1.345 Anfragen. Doch weniger das Fristenproblem als vielmehr die Qualität der Antworten sorgt für Unmut. Die Fraktion erwägt in mehreren konkreten Fällen nun sogar juristische Schritte gegen die Landesregierung, da zahlreiche Antworten als unzureichend eingestuft werden, wie es gegenüber FREILICH hieß.
In Mecklenburg-Vorpommern wurde 2024 keine einzige der 324 Kleinen Anfragen der AfD-Landtagsfraktion innerhalb der vorgesehenen Fristen beantwortet. Während keine Anfrage komplett unbeantwortet blieb, verweist die Fraktion darauf, dass es häufig Hinweise auf längere Bearbeitungszeiten gab, insbesondere bei komplexeren Anfragen. Eine systematische Übersicht über die Verzögerungen sei aus ihrer Datenbank jedoch nicht ersichtlich.
Bawü: 42 Fristverlängerungen für AfD-Anfragen
In Baden-Württemberg stellte die AfD-Landtagsfraktion über 350 Anfragen und Anträge. Davon wurden 310 fristgerecht beantwortet, während die Landesregierung bei 42 Anträgen und Anfragen eine Fristverlängerung beantragte. Bei einer Kleinen Anfrage hatte die Fraktion die Verlängerung jedoch abgelehnt. Von Fristverlängerungen waren besonders Themen betroffen, die in die Zuständigkeit des Verkehrs-, Sozial-, und Innen- sowie Landwirtschaftsministeriums fielen.
Ähnlich sieht es in Rheinland-Pfalz aus, wo die AfD insgesamt 258 Kleine und 43 Große Anfragen gestellt hatte. Bei 13 Kleinen und 15 Großen Anfragen wurde um Fristverlängerung gebeten, vermehrt trat das in den Fachbereichen Inneres, Sicherheit, Finanzen, NGOs und Migration auf.
Unkonkrete und ausweichende Antworten in Bayern
In Bayern, wo die Regierung zu einer Antwort binnen vier Wochen verpflichtet ist, sieht die AfD ebenso wie in Sachsen weniger Probleme mit Fristverlängerungen – die gelegentlich erbeten werden – als mit der Qualität der Antworten. Oft seien diese unkonkret, nichtssagend oder ausweichend formuliert, beklagt die Fraktion. Einzelne Fragen würden mit dem Hinweis auf einen zu großen Bearbeitungsaufwand gar nicht beantwortet.
Im vergangenen Jahr hatte die bayerische AfD-Fraktion 522 Schriftliche Anfragen sowie 269 Anfragen zum Plenum an die Staatsregierung gerichtet. In Hamburg, wo die Fraktion fast 1.700 Anfragen gestellt hatte, seien alle fristgerecht beantwortet worden, allerdings oftmals ebenfalls nicht zufriedenstellend.
Niedersachsen mit gleichem Problem wie Bayern
Auch in Niedersachsen gab die AfD, die im vergangenen Jahr 253 Anfragen zur schriftlichen beziehungsweise kurzfristigen Beantwortung gestellt hatte, an, dass die Landesregierung die Anfragen in der Regel zwar fristgerecht beantworte, es aber durchaus zahlreiche Beispiele gebe, in denen Anfragen nur unzureichend oder gar nicht beantwortet würden. Häufig werde auf allgemeine Sachverhalte verwiesen, ohne konkret auf die gestellten Fragen einzugehen. Typische Formulierungen dabei seien etwa: „Dazu hat die Landesregierung keine Kenntnisse“ oder „Wir beobachten und analysieren das Geschehen.“
Als Beispiel nennt die Fraktion gegenüber FREILICH eine Anfrage ihres innenpolitischen Sprechers, Stephan Bothe. Darin ging es um die Sicherheit an niedersächsischen Bahnhöfen und die Entwicklung der Straftaten dort. Die Landesregierung antwortete darauf unter anderem, dass man keine genauen Zahlen habe und verwies auf allgemeine Sicherheitskonzepte. Eine konkrete Beantwortung der Frage sei hingegen ausgeblieben.
Ein weiteres Beispiel ist eine Anfrage der AfD-Abgeordneten Delia Klages zur Krankenhausversorgung in Niedersachsen. Auf die Frage, wie sich die Anzahl der Kliniken in den letzten zehn Jahren verändert habe, habe sie zwar eine lange Liste mit Klinikschließungen erhalten, doch eine detaillierte Aufschlüsselung nach Versorgungsstufen sei ausgeblieben. Die Begründung: Das niedersächsische Krankenhausgesetz definiere keine Versorgungsstufen. Ebenso seien Fragen zu den Auswirkungen der Krankenhausreform nur mit allgemeinen Hinweisen auf Fördermöglichkeiten beantwortet worden, anstatt klare Aussagen über drohende Engpässe zu treffen.
Anfragen zur Kriminalität besonders betroffen
Probleme bei der Beantwortung von Anfragen gab es auch in Thüringen. Dort hatte die AfD-Fraktion im vergangenen Jahr insgesamt 223 Kleine Anfragen gestellt, bei insgesamt 87 wurde um eine Fristenverlängerung gebeten. Besonders häufig war das laut AfD bei Anfragen der Fall, in denen Abfragen zur Kriminalität, inneren Sicherheit sowie zu haushaltsrelevanten Fragen gemacht wurden.
In Brandenburg stellte die AfD 224 Kleine Anfragen, eine Dringliche Anfrage sowie eine Große Anfrage. Alle Anfragen seien formal beantwortet worden, doch auch dort gibt es Kritik an der Qualität der Antworten. Um Verlängerungen sei vereinzelt gebeten worden, wenngleich dabei kein Muster im Sinne der fachlichen Zuordnung erkennbar sei.
Trickserei im Berliner Abgeordnetenhaus
Im Berliner Abgeordnetenhaus, wo die Fraktion ebenfalls regelmäßig Anfragen stellt, würden diese in der Regel ebenfalls innerhalb der dafür vorgesehenen Frist beantwortet. Systematische oder wiederholte Verzögerungen seien dort nicht bekannt. Es komme allerdings gelegentlich vor, dass sich die Landesregierung kurz vor der Beantwortung einer Anfrage selbst eines Themas annehme und es im weiteren Verlauf öffentlichkeitswirksam aufgreife, um der AfD mutmaßlich den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Außerdem komme es häufig vor, dass die Antworten unvollständig seien. Selbst wenn bei umfangreicheren Anfragen darum gebeten werde, gemäß dem entsprechenden Paragrafen der zugrundeliegenden Ordnung die Frist zu verlängern, um eine vollständige Bearbeitung zu ermöglichen, komme die Antwort in der Standardfrist und unvollständig zurück.
Andere Fraktionen: Weniger Probleme mit Fristen
Während AfD-Fraktionen wiederholt über Verzögerungen und unzureichende Antworten klagen, sehen andere Parteien, die auf die FREILICH-Anfrage reagierten, deutlich weniger Probleme. CDU-, SPD- und Grünen-Fraktionen, die oft selbst Teil der jeweiligen Landesregierungen sind, äußerten sich in ihren Antworten meist zufrieden mit dem Umgang der Exekutive mit parlamentarischen Anfragen.
So sehe die regierungsbeteiligte CDU in Baden-Württemberg keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regierung durch die Beantwortung parlamentarischer Anfragen unangenehmen Fragen ausweichen möchte. Die CDU in Sachsen-Anhalt wurde in Bezug auf ihre 37 Kleinen Anfragen im vergangenen Jahr lediglich sechs Mal von den jeweils zuständigen Ministerien um eine Fristverlängerung gebeten. Gänzlich unbeantwortet blieb dort keine Anfrage.
SPD und CDU nur selten betroffen
Die brandenburgische SPD-Fraktion berichtet lediglich von Einzelfällen in Bezug auf Fristenverlängerungen zu parlamentarischen Anfragen. Dabei handle es sich jedoch um seltene Ausnahmen. Aufgrund fehlender Beschwerden in den letzten Jahren geht die Fraktionsgeschäftsstelle davon aus, dass die einzelnen Abgeordneten mit den Antworten der Landesregierung auf ihre Anfragen „im Grundsatz einverstanden waren“ und sich in der Sache hinreichend informiert fühlten.
Die Hamburger CDU-Fraktion gab an, dass es vorkommt, dass sie als Antwort erhalte, die Beantwortung sei innerhalb der vorgegebenen Frist nicht möglich. In diesen Fällen stehe dann aber das Instrument der Großen Anfrage zur Verfügung.
Grüne ebenso selten betroffen
Die Grünen in Sachsen-Anhalt haben unterdessen gelegentlich das Problem, dass Anfragen unvollständig oder ausweichend beantwortet werden. Von den insgesamt 107 gestellten Kleinen Anfragen wurden allerdings die meisten fristgerecht oder höchstens mit ein paar Tagen Verspätung beantwortet, hieß es gegenüber FREILICH. Lediglich bei der Großen Anfrage zum Thema Elbe als Wirtschaftsfaktor sei zwei Mal um Fristverlängerung gebeten worden, sodass diese mehr als einen Monat später als geplant zurückgekommen sei.
Antworten aus dem Ministerium für Infrastruktur und Digitales seien häufiger – mit Bitte um Fristverlängerung – später zurückgesendet worden. Das sei unabhängig vom Thema, heißt es dazu von der Grünen-Fraktion. Bei dem Bildungsministerium seien Anfragen auch häufiger zu spät zurückgekommen – auch ohne Bitte um Fristverlängerung.
Verzögerungstaktik als Regierungsstrategie?
Die Recherche zeigt, dass vor allem die AfD in mehreren Bundesländern Probleme bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen beklagt. Besonders in Hessen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es extreme Fälle von Verzögerungen oder mangelhaften Antworten. Während Regierungsfraktionen kaum Beschwerden äußern, bleibt für Kritiker die Frage offen, ob Fristverlängerungen und vage Antworten gezielt eingesetzt werden, um die Oppositionsarbeit zu erschweren.