Europäische Gewerkschaft warnt: Green Deal könnte europäische Industrie schwächen
Rettet oder zerstört der EU-„Green Deal“ die europäische Industrie? Gewerkschaftschefin Kirton-Darling sorgt sich um die Zukunft der Arbeitsplätze.
Brüssel/Straßburg. – Mit ihrem „Green Deal“ hat die EU versprochen, neue Arbeitsplätze in grünen Industrien zu schaffen, um den Verlust in traditionellen Sektoren auszugleichen. Doch die Generalsekretärin der größten EU-Industriegewerkschaft, Judith Kirton-Darling von IndustriAll Europe, befürchtet, dass diese Arbeitsplätze nicht in Europa, sondern vor allem außerhalb Europas entstehen werden. In einem Interview mit Euractiv am 3. September warnte sie vor einer „brutalen wirtschaftlichen Periode“ für die europäische Industrie, sollte sich dieser Trend fortsetzen.
Während die Welt auf erneuerbare Energien und Elektroautos setze, sieht Kirton-Darling Europa in einer prekären Lage. Produktionsstätten dieser Zukunftsindustrien stünden in Europa „kurz vor der Schließung“, was langfristig zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könne. Besonders kritisch sieht sie die Situation in der Automobilbranche, die sie als „Rückgrat der europäischen Industrie“ bezeichnete. In Deutschland steht Europas größter Autohersteller Volkswagen nach deutschen Medienberichten kurz davor, seine Garantie zur Sicherung von 110.000 Arbeitsplätzen aufzugeben und mindestens ein Werk zu schließen.
Versäumnisse in der politischen und unternehmerischen Führung
Kirton-Darling sieht die Verantwortung für die aktuelle Situation sowohl bei den politischen Entscheidungsträgern als auch bei der Unternehmensführung. Letztere hätten „Kostenwettbewerbsfähigkeit über Investitionen und Innovation gestellt“, was zur aktuellen Krise beigetragen habe. Sie fordert eine Umkehr dieser Entwicklung, um einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale zu entgehen.
Besonders besorgt zeigte sich die Gewerkschaftschefin über die Zukunft der europäischen Stahlindustrie. Nach internen Berechnungen von IndustriAll Europe würden die von den europäischen Herstellern angekündigten Dekarbonisierungsprojekte nur die Hälfte der derzeitigen Primärstahlproduktion abdecken. Dies sei alarmierend, da ab 2039 im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems keine neuen Emissionszertifikate mehr zur Verfügung stünden.
Strategische Bedeutung der Stahlindustrie
Kirton-Darling betont die strategische Bedeutung der Stahlproduktion sowohl im Kontext der Verteidigung als auch der Energiewende. Sie kritisiert, dass die politischen Entscheidungsträger diese Bedeutung nicht ausreichend erkennen und fordert eine aktivere Industriepolitik in der EU. Diese sollte sich an den erfolgreichen Beispielen von Ländern wie China und Indien orientieren, die massiv in ihre Stahlkapazitäten investieren, um im globalen Wettbewerb zu dominieren.
Trotz der Herausforderungen setzt Kirton-Darling auf Initiativen wie den von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten „Clean Industrial Deal“. Dieser könne ein Schritt in die richtige Richtung sein, um die Transformation der europäischen Industrien zu unterstützen. Sie weist jedoch darauf hin, dass die Politik zunächst das Ausmaß der notwendigen Investitionen erkennen müsse. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 stehe nicht infrage, aber der Weg dorthin sei noch unklar und voller Herausforderungen.