Die vierte Lesung: (K)eine Lektion aus Sachsen & Thüringen
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben Grüne und SPD schlechter abgeschnitten als bei den letzten Wahlen. Aus parteitaktischer Sicht mache es aber keinen Sinn, wegen zwei Landtagswahlen im Osten die eigenen Positionen vorschnell über Bord zu werfen, so der Politikberater Robert Willacker in seinem Kommentar für FREILICH.
Saskia Esken schwäbelt. Die weich klingende Sprachfärbung vermittelt eine sorglose Offenheit, als sie sagt: „Gerade aus diesem Anschlag lässt sich, glaube ich, nicht allzu viel lernen.“
Diese Reaktion der deutschen SPD-Chefin auf den islamischen Terroranschlag von Solingen war sowohl in politischer als auch in kommunikativer Hinsicht heillos naiv. Politisch, weil der Zusammenhang mit den chronisch ungelösten Migrationsproblemen augenscheinlich ist; kommunikativ, weil sie damit ein Naturgesetz der Politik verletzt hat. Wie der Donner dem Blitz folgt und der Spott dem Schadensfall, so muss auf das politische Ereignis die Lektion folgen. Der normunterworfene Steuerzahler verlangt von seinen politischen Vertretern zurecht das schnelle Erkennen von Handlungsbedarf. Mitunter ist das mit der korrekten Deutung von Ereignissen in der Politik aber gar nicht so einfach. Das anschaulichste Beispiel hierfür sind Wahlen wie jene am vergangenen Sonntag in Sachsen und Thüringen.
Verschiedene Erklärungsmodelle für den Ampelabsturz
Noch während sich kurz nach Schluss der Wahllokale die bunten Balken auf den Handybildschirmen in die Höhe kämpften, kursierten in den Sozialen Medien bereits fertige Analysen, Spins und Kommentare zu den Lektionen aus Sieg und Niederlage der einzelnen Parteien. Vor allem Erklärungsmodelle für das schwache Abschneiden der Ampelparteien SPD, Grüne und FDP erfreuten sich großer Beliebtheit. Mangelhafte Kommunikation des eigenen Politikansatzes, zu viel öffentlicher Koalitionsstreit und eine grobe Missachtung des Volkswillens waren der Kern der gängigen Eigen- und Fremddiagnosen in den Medien.
Ein politischer Scheuklappenritt in Energie-, Finanz- und Migrationsfragen galt vor allem auf X schnell als Hauptursache für die mangelnde Zustimmung. Und ja: 3,2 Prozent Wählerstimmenanteil für die Grünen in Thüringen klingen nach einem Debakel – immerhin regiert diese Partei Deutschland mit. Die Art und Weise, wie sie das tut, wird dabei zweifellos ins grüne Landesergebnis eingeflossen sein. Zur Wahrheit gehört aber auch: In den acht Landtagswahlen seit der Wiedervereinigung hat die Partei den Einzug in den thüringischen Landtag nicht nur einmal, sondern gleich viermal verpasst.
Ihr bestes Ergebnis schafften die Grünen dort im Jahr der Wiedervereinigung mit 6,5 Prozent. Ein grünes Politikangebot findet in Thüringen also seit jeher nur wenige Abnehmer. Ähnlich sieht es für die SPD in Sachsen aus: 7,3 Prozent der Stimmen sind nicht gerade ein Grund für übertriebene Feierlichkeiten, aber es ist auch nur ein Verlust von 0,4 Prozentpunkten gegenüber der Landtagswahl 2019. Zudem kam die Sozialdemokratie in Sachsen in den letzten 25 Jahren ohnehin nie über 12 Prozent Zustimmung hinaus – meist rang man mit der prozentualen Zweistelligkeit.
Chance für die FDP?
Der Ruf aus den Sozialen Medien, doch endlich eine politische Kurskorrektur vorzunehmen, erreicht die Ampelparteien zweifelsohne, schließlich ist er laut genug. Jedoch ergibt es aus parteitaktischer Sicht schlichtweg keinen Sinn, die eigenen Positionen aufgrund von zwei Landtagswahlen im Osten vorschnell über Bord zu werfen. Zumindest nicht, solange man als Grüne Partei in nahezu allen westdeutschen Bundesländern komfortabel zweistellige Umfrage- und Wahlergebnisse verbuchen kann. Auch die SPD wird den Teufel tun und sich nun in eine (ernsthafte) Programmdebatte mit ungewissem Ausgang begeben. Immerhin werden sieben deutsche Bundesländer – fünf davon im Westen – sozialdemokratisch regiert.
Die Politikangebote der Parteien werden in den Ländern seit jeher teils ganz unterschiedlich aufgenommen und die Niederlage im einen Bundesland verheißt den Sieg im anderen. Man kann das gut oder schlecht finden, aber so funktioniert die inhärente Logik von Parteien. Natürlich gibt es auch hierbei eine Ausnahme: die FDP. Sie ist die einzige Partei, die sich schadlos einer therapeutischen Selbstfindungsreise unterziehen könnte (und auch sollte), denn ihre Bäume wachsen weder im Osten noch im Westen in den Himmel. Für SPD und Grüne lässt sich hingegen, glaube ich, gerade aus diesen beiden Wahlen nicht allzu viel lernen.